31C3: Enthüllungsreporter hält die NSA für eine kriminelle Vereinigung

Bestseller-Autor James Bamford hat auf dem Hackerkongress Einblicke in die hundertjährige Kooperation zwischen britischen, US-amerikanischen Geheimdiensten und der Telecom-Industrie gegeben. Rädelsführer will er im Knast sehen.

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31C3: Enthüllungsreporter hält die NSA für eine kriminelle Vereinigung
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Die enge Zusammenarbeit zwischen US-Telekommunikationsfirmen und der NSA, die im vergangenen Jahr mit den Enthüllungen Edward Snowdens über das PRISM-Programm einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, reicht historisch viel weiter zurück. Dies erläuterte James Bamford, der 1982 mit "The Puzzle Palace" das erste Buch über die damals allenfalls von Insidern als "No such Agency" oder "Never say anything" bezeichnete National Security Agency herausbrachte, am Sonntag auf dem 31. Chaos Communication Congress (31C3) in Hamburg.

Die Briten hätten es Anfang des 20. Jahrhunderts vorgemacht, erläuterte Bamford. Die Geheimdienste Ihrer Majestät seien damals ungeniert weltweit an die Unterseekabel herangegangen, da die zugehörigen Betriebe sowieso in Staatsbesitz gewesen seien. Mehr Überzeugungsarbeit habe der NSA-Vorläufer "The Black Chamber" mit Sitz in Manhattan 1920 leisten müssen. Damals sei in den USA bereits ein rudimentäres Fernmeldegeheimnis gesetzlich festgeschrieben gewesen, sodass ohne Kooperation mit den damaligen Telegraphenfirmen nichts gegangen wäre.

Schwarze Kammer

Der Behördenchef Herbert Yardley hat dem Enthüllungsjournalisten zufolge daher bei den großen Telegramm-Dienstleistern angeklopft und Zugang zu allen Fernschreibern weltweit gefordert. Bei Western Union sei ihm dieser schier bedenkenlos gewährt worden, während das Postal Telegraph Headquarters und eine andere Firma zumindest ihre Juristen eingebunden hätten. Doch noch im Laufe des ersten Tätigkeitsjahres der "Schwarzen Kammer" hätten alle einschlägigen Betriebe "illegal und geheim" das gesamte Telegrammaufkommen weitergeleitet, so wie heute Telcos E-Mails, Telefongespräche und Verbindungs- sowie Standortdaten an die NSA lieferten.

1929 wurde die Black Chamber laut Bamford mit einem zunehmenden Datenschutzbewusstsein zunächst dichtgemacht, ihre Arbeit mit dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen und Mitte der 1940er noch einmal eingestellt. Kurz darauf habe sich Preston Corderman, damals Chef der Army Security Agency, zunächst ein blaues Auge geholt bei Gesprächen mit der Telekommunikationswirtschaft: AT&T habe ihn sogar rausgeworfen, als er sein Kooperationsansinnen vorgebracht habe. Western Union habe dagegen eingewilligt, aber genauso wie RCA auf eine Autorisierung durch das Justizministerium gedrängt. So sei AT&T doch auf Kurs gebracht worden.

Schon die Black-Chamber, der Vorläufer der NSA, hatte in den zwanziger Jahren "illegal und geheim" Zugriff auf das gesamte Telegrammaufkommen in den USA

Die gewünschte Immunitätszusicherung, die der US-Gesetzgeber den Telcos 2008 offiziell gegeben hat, kam aber nicht. Die inzwischen aufgebaute NSA richtete dagegen in New York ein geheimes Büro ein, ihre Mitarbeiter kamen täglich nach Mitternacht durch Hintertüren zu den dortigen Operationszentren der TK-Riesen, sammelten Bänder mit den angelaufenen Telegrammen und Aufzeichnungen von Telefongespräche ein, duplizierten diese in den "eigenen vier Wänden" und lieferten die Originalmedien vor Eintreffen der Tagesschicht wieder bei ihren Kooperationspartnern ab. Die gesamten Daten liefen in einen "Harvest Computer" ein, mit dessen Hilfe die NSA das Material ohne Richtergenehmigung etwa nach Namen und Inhalten durchsuchen konnte.

Vor allem RCA verlangte nach wie vor eine schriftliche Genehmigung des klandestinen, nächtlichen Treibens. General Dwight D. Eisenhower habe unter Präsident Harry S. Truman ein Befürwortungsschreiben übermittelt, was dem Konzern aber nicht ausgereicht habe, erzählte Bamford. Der damalige Verteidigungsminister James Forrestal habe mündlich zugesichert, dass alles in Ordnung wäre, sei aber alsbald zurückgetreten und aus dem 16. Stock einer psychiatrischen Klinik in den Tod gestürzt, sodass die Telcos noch aufgebrachter gewesen seien. Schließlich hätten sie ein "Memorandum" bekommen, das Truman initialisiert, aber nur sein Justizminister Tom Clark mit Initialen gezeichnet habe.

1975 untersuchte das Church-Komitee des US-Kongresses erstmals umfassend die Arbeit der US-Geheimdienste. Bamford war nach eigenen Angaben kurz davor selbst bei einem NSA-Horchposten auf Puerto Rico tätig und habe dort mitbekommen, wie Telefongespräche auch von US-Amerikanern belauscht worden seien. Damals habe das Programm "Minaret" vermeintliche Terroristen wie Jane Fonda, Muhammed Ali oder Martin Luther King als "gehärtete Ziele" geführt. Er habe darüber den Gremiumsvorsitzenden Frank Church informiert, der Mitarbeiter überraschend zur NSA auf die Karibikinsel geschickt habe. Diese hätten bestätigt, dass der Geheimdienst seine angeblich eingestellte Praxis des Abhörens von US-Bürgern fortgeführt und die Abgeordneten belogen habe. Parallel habe die Abgeordnete Bella Abzug trotz des Widerstands von Donald Rumsfeld und Dick Cheney in einer eigenen Anhörung Telco-Chefs vernommen, die dabei sogar Ziellisten preisgegeben hätten.

Das US-Justizministerium erstellte dem Reporter zufolge 1976 eine Kriminalakte der NSA, in der es die "ganze Institution als kriminelle Organisation wie die Mafia eingestuft" habe. Diese sei ihm auf ein Informationsfreiheitsgesuch hin übergeben, auf Drängen des Geheimdienstes später aber wieder als "streng geheim" eingestuft worden. Der NSA-Chronist veröffentlichte sie jüngst in einem Bericht für das Online-Magazin "The Intercept", in dem er die damalige Einschätzung aus Regierungskreisen teilt.

Geheimgericht

In Folge der Arbeit des Church-Komitees wurde das Geheimgericht FISC zur Kontrolle der strategischen Fernmeldeaufklärung der NSA eingerichtet. Dieses nicke alle Überwachungsanträge aber nur ab, monierte Bamford. Trotzdem habe die NSA den 11. September 2001 weitgehend verschlafen und erst wenige Wochen vor den Anschlägen mitbekommen, dass die Terroristen bereits im Lande seien. Dass diese sich im "Valencia Motel" in zwei Meilen Abstand von der NSA-Zentrale in Fort Meade eingerichtet und beide Seiten in den gleichen Supermärkten eingekauft hätten, sei den Überwachern entgangen.

Ex-Präsident George W. Bush habe im Anschluss entschieden, selbst die weitgestrickten gesetzlichen Aufklärungsvorgaben mit dem inländischen Spionageprogramm "Stellar Wind" zu umgehen. AT&T habe zu dieser Zeit freiwillig angeboten, die eigenen Daten weiterzugeben. Dies habe selbst die NSA überrascht, die sich eine wackelige Genehmigung vom Justizressort eingeholt und einen ersten geheimen Raum zum Ausleiten der Telekommunikation bei dem Konzern in San Francisco eingerichtet habe. Wo man über PRISM nicht weitergekommen sei, habe man mit "Muscular" Datenzentren von Internetkonzernen wie Google direkt abgehört. Dies alles hätten Whistleblower wie William Binney, Thomas Drake, Kirk Wiebe, Chelsea Manning und letztlich die greifbaren Dokumente Snowdens nach und nach ans Tageslicht gebracht.

Bamford ruft nun nach einer umfassenden strafrechtlichen Untersuchung von NSA und CIA. Anders als beim Church-Komitee müssten an deren Ende Verantwortliche aber auch vor Gericht und ins Gefängnis gebracht werden: Wenn etwa der Ex-NSA-Direktor Keith Alexander eine Weile einsäße, werde er im Anschluss Snowden sicher als Held feiern. Den größten Nutzen aus der Massenüberwachung habe keinesfalls die amerikanische Bevölkerung gezogen, sondern die mit Aufträgen überschüttete Rüstungs- und Sicherheitsindustrie. (as)