Kommentar: Keine Angst vor der digitalen Demenz

Das Land Bayern speichert seine digitalen Schätze auf gläsernen DVDs und hofft, diese so für seine Urenkel konservieren zu können. Ein Irrglaube, meint Hartmut Gieselmann.

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Kommentar: Keine Angst vor der digitalen Demenz
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Wie jeder Fotograf hat auch das bayrische Landesamt für Denkmalpflege Angst, seine Bilder durch einen Daten-Crash zu verlieren. So weit, so verständlich. Nun haben sich die Verantwortlichen der Behörde dazu entschlossen, rund 100.000 Bilder aus den Anfängen der Fotografie in digitaler Form auf gläsernen DVDs zu archivieren. Der Hersteller Syylex verspricht, dass seine GlasMasterDisc mehr als hundert Jahre hält. Der bayrische Wissenschaftsminister Ludwig Spänle hofft, diesen "wertvollen Schatz" damit für Generationen konserviert zu haben. Die Speicherung auf Glas-DVD sei, so der Generalkonservator des Landesamtes, "ein Schritt in die Zukunft".

Dabei genügt ein kurzer Blick in die Vergangenheit, um zu erkennen, wie gestrig diese Vorstellungen von digitalen Archiven sind. Nehmen wir einmal an, die Glas-Disc von Syylex hält tatsächlich die nächsten hundert Jahre durch (auch wenn der Vergleich mit antiken Steintafeln des Herstellers natürlich Unsinn ist). Das Glasmaterial mag dazu geeignet sein und hoffentlich haben sie ihren den verwendeten Klebstoff und die aufgebrachte Reflexionsschicht aus Aluminium ausreichend in Klimakammertests geprüft. Aber auch bei solchen Tests wird die Alterung nur beschleunigt und die voraussichtliche Langlebigkeit extrapoliert – eine hundertprozentige Sicherheit kann daraus nie resultieren.

Ein Kommentar von Hartmut Gieselmann

Hartmut Gieselmann schreibt seit 1998 für c't und heise online. Neben Tests- und Artikeln zur Spiele-Entwicklung verfolgt der Redakteur aus dem Ressort "Software & Medien" die Pionier-Arbeit in der Vitual Reality, schreibt über Musik-Produktion und veranstaltet Remix-Wettbewerbe für c't.

Doch die Disc ist nur ein Glied in der Datensicherungskette, und sie ist beileibe nicht das schwächste, selbst wenn man keine Glasscheiben für horrende 190 Euro pro Stück verwendet. Viel schwieriger wird es in zehn oder zwanzig Jahren sein, überhaupt noch funktionstüchtige DVD-Laufwerke zum Auslesen der Scheiben zu finden. In Hundert Jahren werden sie vermutlich so selten sein wie heute Wachswalzen.

Doch in Unterschied zur Archivierung von analogen Bildern, bei denen die Konservierung des Datenträgers höchste Priorität hatte, ist der Datenträger im digitalen Zeitalter nebensächlich geworden. Digital lassen sich jederzeit verlustfreie Kopien erstellen und eine solche Kopie ist nicht vom Original zu unterscheiden. Archivare, die ihr Handwerk noch im analogen Zeitalter erlernt haben, müssen deshalb radikal umdenken.

Was tatsächlich an digitalen Daten nagt, ist der schnelle technische Fortschritt. Deshalb ist es unvermeidlich, dass man seine Datenschätze alle paar Jahre auf ein neues Medium umkopieren muss. Ein digitales Archiv bedarf der ständigen Pflege, egal ob mit oder ohne Glas-DVD. Wer jedoch weiß, dass eine Migration sowieso unausweichlich ist, wählt Speichersysteme, die eine solche Migration möglichst einfach und schnell ermöglichen – selbst ein relativ kurzes Verfallsdatum von zehn bis fünfzehn Jahren wäre dabei kein Problem.

Heutzutage sind das Festplatten, die man in mehrfacher Ausfertigung an verschiedenen Orten in sicheren Schränken verwahrt, damit die Sicherung nicht durch ein Missgeschick oder Feuer vernichtet wird. DVDs erschweren hingegen die Migration wegen ihrer niedrigen Transferrate und dem kleinen Speichervolumen unnötig. Nicht zuletzt ist der Speicherplatz einer Festplatte mitlerweile etwa um einen Faktor Tausend (!) günstiger als der einer Glas-DVD. Selbst wenn man die Daten dort alle fünf Jahre umzukopieren hätte, könnte man die nächsten hundert Jahre zum selben Preis die fünfzigfache Menge redundanter Kopien anlegen.

Update: Der Hersteller Syylex hat darauf hingewiesen, dass die Glas-DVD ihre Daten nicht wie im ursprünglichen Kommentar beschrieben in einer Fotolackschicht speichert, sondern das diese direkt ins Glas geätzt werden. Zur Kompatibilität mit DVD-Laufwerken würde eine Reflexionsschicht aus Aluminium aufgebracht.

Laut Syylex würde das bayrische Fotoarchiv auf etwa 100 Glas-Discs gespeichert. Ob aufgrund der hohen Kosten von etwa 20.000 Euro pro Sicherungssatz weitere redundante Kopien angefertigt würden, wollte der Hersteller nicht sagen. Seiner Aussage nach würde ein einzelner Satz genügen, der um weitere Kopien auf anderen Datenträgern, etwa Festplatten oder Magnetbändern zu ergänzen sei. Das Land Bayern wolle die Discs auf den Glas-DVDs nicht für Jahrhunderte konservieren, sondern plane "für die nächsten 30 bis 50 Jahre". Dann solle über eine eventuelle Migration der digitalisierten Daten neu entschieden werden. Die analogen Original-Fotos würden weiterhin nach den Regeln der analogen Archiv-Kunst konserviert. (hag)