Internet Governance: Weltwirtschaftsforum will ein wenig mitregieren

Das Weltwirtschaftsforum will sich verstärkt der globalen Netzpolitik widmen. Die geplante NetMundial-Initiative soll Diskussionen anstoßen und Lösungshilfe leisten, trifft jedoch schon vor ihrer offiziellen Ankündigung auf Skepsis in der Netzgemeinde.

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Internet Governance: Weltwirtschaftsforum will ein wenig mitregieren

Einen Anstoß zu internationalen Standards in Bezug auf Netzneutralität und andere Aspekte der Netzpolitik soll die geplante Initiative NetMundial des Weltwirtschaftsforums geben. Hierbei sitzen Vertreter von Regierungen, Wirtschaftsunternehmen und verschiedenen Organisationen an einem Tisch.

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Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Vor dem Start des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos hat Richard Samans, Chef des WEF "Centre for the Global Agenda", die neue Agenda des Forums zum Themenkreis Internet Governance vorgestellt. Auf dem Programm der Jahrestagung, die am Montag beginnen soll, findet sich rund ein Dutzend Veranstaltungen rund um Netzpolitik, zum Regieren im digitalen Zeitalter, zu Bedeutung und Nutzung neuer Technologie sowie zur Zukunft der Geheimdienste. Zugleich will das WEF auch eine mehrjährige Initiative zur globalen Netzpolitik ankündigen, sagte Samans.Teile der Netzgemeinde empfinden die "NetMundial"-Initiative (NMI) allerdings als eine Art feindlicher Übernahme.

Das Weltwirtschaftsforum wolle seine "multidisziplinäre Multi-Stakeholder Plattform" für Internet-Governance-Debatten zur Verfügung stellen, um "Fortschritte" in der Netzpolitik zu ermöglichen und verlorenes Vertrauen zu erneuern, so Samans.

Richard Samans leitet das "Centre for the Global Agenda" beim Weltwirtschaftsforum.

(Bild: United Nations)

Ein eigenes Kurzkapitel des Berichts über aktuelle internationale Risiken (Risk Report, PDF) betont, wie wichtig dem WEF die globalen Rahmenbedingungen der auf digitale Vernetzung aufgebauten Wirtschaft sind. Im technischen Bereich, so heißt es dort, sorge zwar heute eine Reihe dedizierter Organisationen wie die Standardisierungsgremien IETF oder W3C und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) für Interoperabilität. In stärker politischen Fragen seien aber nationale Lösungen auf dem Vormarsch. Man müsse daher das Risiko eines "Datennationalismus" in den Blick nehmen. Samans wiederum sprach von einer drohenden "Balkanisierung" und "Fragmentierung" des Internet.

Zu den Themen, die bislang gewissermaßen Waisenkinder in puncto internationaler Regelungen sind, gehören dem Risk Report zufolge Cybercrime, Netzneutralität, Datenschutz und Meinungsfreiheit. Genau dort soll künftig die von WEF, ICANN und der brasilianischen Regierung getragene NetMundial-Initiative helfen, nach Lösungen zu suchen.

Dem frisch gebackenen NMI-Koordinierungsgremium gehören Vertreter aus Regierungen, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft an. Es soll sich nicht bereits im Rahmen der WEF-Tagung in Davos treffen, sondern erst zu einer konstituierenden Sitzung im März. Vorsicht beim Start der Initiative erschien den drei Partnern angeraten – nicht zuletzt wegen der massiven Kritik von Teilen der Zivilgesellschaft, aber auch von Seiten der technischen Community.

Man sehe keine Notwendigkeit, sich an der Initiative zu beteiligen, teilte das Internet Architecture Board für die offene Standardisierungsorganisation Internet Engineering Task Force (IETF) mit. Die Techie-Sitze im Koordinierungsgremium blieben vorerst vakant. Viele zivilgesellschaftliche Vertreter rügten ihrerseits die Top-Down-Manier der WEF-Vorarbeiten.

Überdies gleichen die NMI-Pläne verdächtig dem Mandat, das vor bald 10 Jahren dem Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen übertragen wurde: Es soll um die Diskussion aller Netzpolitikfragen und um die Suche nach den besten Lösungen auf internationaler Ebene gehen. Das Problem des IGF jedoch blieb über die Jahre die fehlende Bereitschaft vieler Staaten, dem Forum die Verabschiedung von Empfehlungen zu umstrittenen Netzpolitikbereichen zuzugestehen.

Wolfgang Kleinwächter, Professor für International Communication Policy and Regulation an der Universität Aarhus, Dänemark, gehört zum ICANN-Vorstand.

(Bild: ICANN)

Netzpolitikexperte Wolfgang Kleinwächter, der als NMI-Botschafter fungiert, erhofft sich einiges von dem neuen Ansatz. Die Initiative des WEF könne nicht nur neue Ressourcen, Expertise und Autorität für die Netzpolitik-Debatte erschließen. Wenn das WEF einlädt, kommen – anders als zum IGF der UN – gern auch die Regierungschefs. Für die kommende Woche werden 40 von ihnen in Davos erwartet. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft, und so könnte die Bewegung seitens des WEF laut Kleinwächter auch dem IGF einen Anstoß geben.

Brasiliens Regierungsvertreter Virgilio Almedia leitete im April 2014 die NetMundial-Konferenz, die nach den Enthüllungen Edward Snowdens aus dem Boden gestampft worden war. Er unterstrich gegenüber heise online, das IGF bleibe die Anlaufstelle für netzpolitische Debatten.

Informatikprofessor Virgilio Almedia von der Universidade Federal de Minas Gerais (UFMG) ist als Vertreter der brasilianischen Regierung an der NetMundial-Initiative des WEF beteiligt.

(Bild: UFMG)

Das NMI, so Almedia, werde als Clearingstelle versuchen, neue Netzpolitikprobleme aufzugreifen und Lösungsvorschläge dafür einzusammeln. Über die Details der Arbeit und darüber, wie die Initiative das ihr entgegengebrachte Misstrauen abbauen will, müssen sich die Beteiligten noch einigen. Wie schwierig das werden könnte, zeigt ein Blick auf die Vertreter aus Regierungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Wirtschaftsunternehmen: Der chinesische Minister für Cyberspace Affairs gehört ebenso dazu wie EU-Kommissar Andrus Ansip und der ägyptische Telekommunikationsminister Atef Helmy. Der argentinische Datenschutzbeauftragte Juan Cruz Gonzalez Allonca ist dabei, ebenso US-Wirtschaftsministerin Penny Pritzker. Sie müssen sich mit Vertretern des Telekommunikationsmultis Telefónica und des chinesischen Internet-Konzerns Alibaba, aber auch mit Leuten von Human Rights Watch und anderen NGOs verständigen.

Zum Hauptrisiko in diesem Jahr hat der WEF Risk Report übrigens nicht etwa den Cyberwar erkoren, sondern den Terrorismus. Aber der findet ja nach Ansicht vieler Regierungen auch im Internet statt. (psz)