Kann Bitcoin den Absturz verdauen?

Ein Wertverfall bei der Digitalwährung Bitcoin droht das System durcheinanderzubringen: Wenn zu viele Mitwirkende ausscheiden, könnten sich Transaktion drastisch verlangsamen.

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Von
  • Tom Simonite

Ein Wertverfall bei der Digitalwährung Bitcoin droht das System durcheinanderzubringen: Wenn zu viele Mitwirkende ausscheiden, könnten sich Transaktion drastisch verlangsamen.

Wer gern die Digitalwährung Bitcoin beobachtet oder mit ihr handelt, könnte eine interessante Woche vor sich haben.

Ungefähr so lange nämlich wird es dauern, bis die dezentrale Software für die Währung die Folgen eines Absturzes beim Wert von Bitcoins seit Anfang dieses Jahres korrigiert hat. Derzeit kostet ein Bitcoin nur noch 200 Dollar, die Spitze wurde Ende 2013 bei mehr als 1000 Dollar erreicht.

Der niedrige Preis ist eine Bedrohung für das Geschäft der „Miner“, die mit leistungsstarken Computern neue Bitcoin-Münzen errechnen – und auf diese Weise auch Bitcoin-Transaktionen verarbeiten. Während der Wert neuer Münzen gesunken ist, sind die Kosten für Computer und Strom stabil geblieben. Das ähnelt den Problemen von Ölfirmen durch den gesunkenen Ölpreis.

Mehrere Bitcoin-Unternehmen haben in der vergangenen Woche den Betrieb eingestellt. Zur Begründung hieß es, eine profitable Tätigkeit sei nicht mehr möglich. Auch kleine Miner berichten in Foren, sie hätten ihre Maschinen ausschalten müssen.

Wie viele Miner insgesamt betroffen sind, lässt sich kaum sagen, denn ihre Strompreise und Kostenstrukturen sind höchst unterschiedlich. Mehrere am vergangenen Freitag von Technology Review kontaktierte Firmen reagierten nicht. Daten aus dem Bitcoin-Netzwerk sprechen jedoch dafür, dass sich der von allen Minern zusammen pro Tag generierte Umsatz seit Beginn dieses Jahres ungefähr halbiert hat.

Theoretisch sollte die selbstregulierende Auslegung von Bitcoin verhindern, dass dadurch signifikante Probleme für die Währung selbst entstehen. Ein Mechanismus in der Softwware soll dafür sorgen, dass es immer genügend Miner gibt, um Bitcoin am Laufen zu halten und die Produktion zu regulieren. Dazu wird der Schwierigkeitsgrad der Arbeit, die von der Mining-Software zu erledigen ist, so verändert, dass die Gesamtproduktion aller Miner stets dieselbe bleibt. Seit dem Start von Bitcoin im Jahr 2009 wurden die Berechnungen immer aufwendiger, um die zunehmende Spezialisierung von Mining-Computern auszugleichen und dafür zu sorgen, dass nicht zu viele Bitcoins entstehen.

Mit dem jetzt schwindenden Mining-Interesse müsste der Schwierigkeitsgrad wieder fallen, damit das Bitcoin-Netz weiter problemlos läuft. Miner würden dadurch Stromkosten sparen. Allerdings wird der Schwierigkeitsgrad nur alle zwei Wochen angepasst (der exakte Zeitpunkt hängt von der Gesamtproduktion aller Miner ab). Das letzte Update gab es direkt vor einem plötzlichen Absturz des Bitcoin-Preises am vergangenen Mittwoch. Vor kommender Woche ist also nicht mit einer Reaktion des Systems zu rechnen.

Benjamin Edelman, Associate Professor an der Harvard Business School, der die Ökonomie von Bitcoins untersucht hat, hält das für zu spät. Nach seinen Worten wird die Verzögerung dafür sorgen, dass weitere Miner in Schwierigkeiten geraten.

„Ich glaube, dass sich Miner zurückziehen und vorhandene Bitcoins auf den Markt werfen, um den verlorenen Umsatz auszugleichen, was aber selbst auf den Preis drückt“, sagt Edelman. Diejenigen, die das Mining fortsetzen, würden weiter zu dem Problem beitragen, weil sie neu errechnete Bitcoins sofort wieder verkaufen müssten.

In den Augen von Edelman könnte ein solcher Ausverkauf dauerhaft werden, weil Bitcoin noch nicht genügend echte Anwendungen gefunden hat.

„Auf den meisten Märkten haben Vermögenswerte irgendeinen fundamentalen Wert“, erklärt er. So könnten die laufenden Einnahmen oder die Immobilien eines Unternehmens den Absturz seiner Aktie bremsen. „Bei Bitcoins aber ist nicht klar, worin der fundamentale Wert liegt – sie sind nur dann wertvoll, wenn andere sie als wertvoll ansehen.“ Das Gleiche könnte man zwar auch über staatliche Papierwährungen wie den Dollar sagen, doch die haben die Unterstützung der jeweiligen Zentralbanken und Regierungen. Um etwa in den USA Steuern zu zahlen oder Staatsanleihen zu kaufen, braucht man Dollar.

Gavin Andersen, Chefwissenschaftler für die Bitcoin Foundation, ist optimistischer. Auch er rechne zwar mit einer Senkung des Schwierigkeitsgrades, „aber nicht mit einem Massenexodus von Minern. Ich glaube, dass sich das System schnell genug anpassen kann.“

Andersen wäre nach eigenem Bekunden nicht einmal dann besorgt, wenn plötzlich jeder zweite Miner aufgeben würde. „Die Folge wäre nur ein Monat, in dem die Verarbeitung einer durchschnittlichen Transaktion statt 10 Minuten 20 dauert“, sagt er. „Für Bitcoin-Nutzer wäre das lästig, aber keine Katastrophe.“

Aber nicht jeder findet eine solch plötzliche Verlangsamung bei Bitcoin unkritisch. Die automatischen Mechanismen der Währung könnten bei Finanzschocks – die zum Beispiel zu plötzlichen Änderungen der Massenpsychologie führen – nicht so schnell reagieren wie staatliche Zentralbanker, erklärt Edelman. „Das System ist selbstabstimmend und selbstoptimierend, aber nur zum Teil“, warnt er.

(sma)