Hintergrund: Gemischte GefĂĽhle nach Microsoft-Urteil
Auch wenn sich die Kontrahenten weiter beharken: Der GroĂźteil der Branche nimmt trotz unterschiedlicher Ansichten das erwartete Urteil im Microsoft-Prozess gelassen.
"Nach einem solchen Richterspruch", poltert Richard Roy, Vorsitzender der Geschäftsfuhrung von Microsoft Deutschland und Vizepräsident von Microsoft Europa, "muss jeder Jungunternehmer, der mit einer guten Idee eine erfolgreiche Firma aufbaut, zweifeln, ob seine Investition wirklich sinnvoll ist. Es besteht schließlich die Gefahr, dass der Staat regulierend eingreift und ihm dieses Eigentum einfach wegnimmt." Der markige Spruch ist aber wohl nicht mehr als ein Hinweis, wie dünn die Haut mancher Microsoft-Manager mittlerweile ist. Bill Gates erklärte gleich, der Kampf habe gerade erst begonnen. Er wiederholte in mehreren Fernsehinterviews, er habe nichts falsch gemacht und bereite sich jetzt mit aller Energie auf die nächste Instanz vor. Dort werde Microsoft sicher siegen. Gates kündigte auch an, dass Microsoft neben dem Berufungsantrag eine Aussetzung der anderen Auflagen erwirken werde, damit den Verbrauchern bis zum Abschluss der Berufung kein Schaden entstehe.
Das sieht das Justizministerium natürlich anders: Es sprach von einem gerechten Urteil. Die Aufteilung in zwei getrennte Unternehmen werde den Wettbewerb stimulieren und damit große Auswirkungen auf Innovation und Marktentwicklung haben, sagte Justizministerin Janet Reno auf einer Pressekonferenz in Washington. Das Urteil sei zudem ein Signal, dass Verstöße gegen das Kartellrecht ein äußerst ernster Vorgang seien. Der Kartellrechtschef im Justizministerium, Joel Klein, erklärte, Microsoft habe sich das Urteil einzig und allein selbst zuzuschreiben. Der Konzern habe wiederholt gegen die Gesetze verstoßen, Konkurrenz im Keim erstickt und dem Verbraucher schwer geschadet. Das Urteil nütze dem Verbraucher, da er künftig freier entscheiden könne, welche Software er installieren wolle.
Mögen sich die Kontrahenten des Verfahrens auch nach dem Urteil weiter beharken – der Rest der Welt dagegen nimmt das Spaltungsurteil bemerkenswert gelassen. An der Wall Street zog der Kurs der Microsoft-Aktie sogar kurzfristig etwas an. Die meisten Investoren warten offensichtlich die Chancen der Redmonder im Berufungsverfahren ab. Einige Wall-Street-Analysten verwiesen darauf, dass inzwischen alle schlechten Nachrichten bezüglich Microsoft bekannt seien.
Auch die Konkurrenz nimmt das Urteil größtenteils unaufgeregt zur Kenntnis, auch wenn sie sich über die Auswirkungen nicht unbedingt einig ist. Mindestens ein Jahr, schätzt etwa Netscape Chef James Barksdale, dürfte vergehen, bevor Venture-Kapitalisten maßgeblich in Start-Up-Firmen investieren, die Microsoft Konkurrenz machen könnten. Sun nannte die richterliche Entscheidung, eine "angemessene ernsthafte Antwort auf die schwerwiegenden und anhaltenen Microsoft-Kartellrechtsverstöße". Sun-Chef Scott McNealy erklärte, die Entscheidung sei "monumental wichtig für die Branche und die Verbraucher". Nach Ansicht des Vizechefs von AOL-Europe, Stan Sugarman, birgt das Urteil auch Chancen für die Industrie. "Die starke Einheit für Anwendungssoftware kann jetzt auch offensiv für andere Computersysteme als Windows entwickeln."
Nicht alle sehen das allerdings so wie die Microsoft-Konkurrenz: "Unternehmer und kleine Firmen werden geschädigt. Viele kleine Firmen verwenden Microsoft-Produkte und andere sind Zulieferanten des Unternehmens", betonte Raymond J. Keating, der Chefökonom des Small Business Survival Committee, eines Kleinunternehmerverbands mit 60.000 Mitgliedern. "Technologiefirmen und Verbraucher in den ganzen USA sind die Verlierer", erklärte Jonathan Zuck, der Präsident des Verbands für Wettbewerbstechnologie, dem viele kleinere Technologiefirmen angehören. Anscheinend stimmt dem auch die Merheit der amerikanischen Online-Nutzer zu: Nur 28 Prozent haben sich nach einer Umfrage der Internet-Marktforschungsfirma Greenfield Online für eine Aufspaltung von Microsoft ausgesprochen. 55 Prozent der 1.800 Befragten glauben nicht, dass Microsoft die Verbraucher geschädigt hat.
Aber immerhin gilt auch ein in "Micro" und "Soft" aufgespaltener Konzern an der Wall Street und im Silicon Valley immer noch als nicht zu unterschätzender Faktor. Die amerikanische Tageszeitung USA Today etwa schätzte, dass eine Betriebssystem-Nachfolgegesellschaft von Microsoft im Geschäftsjahr 2000 rund zehn Milliarden Dollar umsetzen und insgesamt 13.000 Mitarbeiter haben würde. Ein Microsoft-Nachfolger für Anwendungssoftware würde es nach den Schätzungen der Zeitung auf einen Umsatz von etwa 13 Milliarden Dollar bringen und 17.000 Beschäftigte bekommen.
Richter Jackson erklärte inzwischen in einem Interview der Washington Post, er hätte bis zuletzt eine außergerichtliche Einigung bevorzugt. Ihm wäre es lieber gewesen, beide Seiten wären über ihren Schatten gesprungen und hätten sich geeinigt. So aber sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Zerschlagung anzuordnen. Kurzfristig habe er sogar eine Dreiteilung erwogen.
Der Richter und das Justizministerium wollen das Berufungsverfahren nun beschleunigen und direkt vor den Obersten Gerichtshof ziehen, was in großen Kartellverfahren möglich ist. Sollte der Oberste Gerichtshof den Fall annehmen, könnte das Verfahren nach Einschätzung der Washington Post bereits Ende des Jahres beendet werden. Microsoft will die Berufung jedoch erst in die nächst höhere Instanz bringen, die in der Vergangenheit zu Gunsten des Softwaregiganten entschieden hatte. In diesem Fall könnte sich das Verfahren zwei Jahre oder länger hinziehen. Die Berufungsaussichten von Microsoft beurteilten mehrere Beobachter übrigens skeptisch. Microsoft werde nicht ganz unbeschadet herauskommen, erklärte der Kartellexperte Lawrence Sullivan. Der Softwaregigant müsse gegen ein sehr gut formuliertes Urteil eines sehr cleveren Richters angehen. (wst)