Übungen in Geschmeidigkeit
Die Ausfahrten in Mercedes 300 SL Coupé und Cabriolet überraschen mit einer eleganten Bestätigung der eigentlich selbstverständlichen Lust am ungefilterten Erlebnis. Der Verlust an Unmittelbarkeit kann einen schon nachdenklich machen angesichts eines - sagen wir - Mercedes AM GT
- David Staretz
Tag eins: Das Coupé
Das Lenkrad ist so groß, dass man es wie einen aufgeklappten Stadtplan in den Händen hält. Seine vielfältige Bedeutung wird sich später noch herausstellen; vorläufig ist man fasziniert von dem Klappmechanismus mit Zentralverschluss, der es erlaubt, den Ringkranz an der Achse schräg zu legen, so dass er oben heraus-, die untere Hälfte nach hinten klappt zum leichteren Einbringen der Knie. Denn der Einstieg, ein Einstieg für Millionäre damals und erst recht heute, bedarf einiger Geschicklichkeit über den dreißig Zentimeter breiten Schweller hinweg. Man möchte keine Gummistreifen ziehen mit den Schuhen, also bringt man die am besten zuerst unter. (Nach einiger Zeit der Übung in Geschmeidigkeit vergisst man auf das Lenkradmanöver.)
Übungen in Geschmeidigkeit (18 Bilder)

Allein die schwebeleichte Türfunktion ist faszinierend genug und man ist überrascht, wie praktikabel, leicht und satt die Möwenschwinge (Gullwing) schließt und sich wieder öffnen lässt. Endlich wieder ein Dreiecksfenster. Lange hat man es vermisst. Ein sympathisches Gartenlauben-Detail, unerreicht in seiner simplen Funktion und Anschaulichkeit. Alles hier ist so, wie soll man es sagen, dem Menschen zugewandt, wertvoll aber uneitel, handwerklich nachvollziehbar und dadurch von höchster Güte. Analog und fein ziseliert. Keine Rede von "Materialwahrheit". Na was denn sonst?
Das Drehen des Startschlüssels, als würde man eine wertvolle Standuhr aufziehen, setzt sich mechanisch fort durch tickende Relais in das ausrückende Starterritzel, das klackend in die Schwungradverzahnung eingreift, zwei, drei Umdrehungen werden zählbar, und mit einem beiläufigen Räuspern setzt sich der Motor in Gang. Sanft geht der Wagen in die Kupplung, strömt umstandslos voran, vier Gänge und keiner mehr, plötzlich erscheint diese Einfachheit im Komplizierten wie ein Geschenk, zumal die Schaltung wie durch Unschlitt schneidet, präzise und elegant. Der Duft von Benzin und Werkstatt verdichtet den Innenraum zur Atmosphäre konzentrierter Gelassenheit, die sich gut mit dem offenen System der Wellen und Zahnräder, der Buchsen und Schraubenfedern fügt, dem Zusammenspiel feingefügter Technik. Eine kurze Nervosität flackert heiß auf, Nachklang der Angst, man hätte die links am Schweller liegende Handbremse zu lösen vergessen. Vier Trommelbremsen – da möchte man keine beleidigen. Achtung auch auf den Blinkgeber, er ist nicht selbstrückstellend und gerade in diesem Auto möchte man nicht als Autofahrer mit Hut und Fäustlingen gelten. Zumal sich der Innenraum enorm aufheizt – der Metallrahmen ist ein guter Wärmeleiter und das Fehlen von abnehmbaren Seitenfenstern erweist sich an heißen Tagen als Manko.