Fleisch oder Pflanze?

Weltweit arbeiten Unternehmen an Fleischersatz aus Pflanzen oder Zellkulturen, die wie das Original schmecken sollen – ohne Massentierhaltung und schädliche Inhaltsstoffe wie Cholesterin. Sogar für Milch gibt es ein Rezept.

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Von
  • Christian Buck
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Weltweit arbeiten Unternehmen an Fleischersatz aus Pflanzen oder Zellkulturen, die wie das Original schmecken sollen – ohne Massentierhaltung und schädliche Inhaltsstoffe wie Cholesterin. Sogar für Milch gibt es ein Rezept.

Wenn Sie in ein saftiges Schnitzel beißen, sind Sie wirklich sicher, dass es aus Fleisch ist? Ja? Dann hat Christian Zacherl eine irritierende Erkenntnis für Sie. Er ist Geschäftsfeldmanager Lebensmittelprozesse und -produkte am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising und hat Metzger zur Blindverkostung gebeten. Zacherl präsentierte ihnen ein echtes paniertes Schnitzel und ein Ersatzprodukt aus dem Fraunhofer-Labor. "Acht von zehn konnten keinen Unterschied feststellen", erzählt er. Und sein Labor ist nur eines der vielen weltweit, in denen gerade eine wundersame Entwicklung geschieht: Gemüse wird zu Fleisch, ohne dass die Geschmackssinne es registrieren.

Ein gutes Essen ohne Fleisch ist für viele Menschen keine schöne Vorstellung. Dabei gibt es tatsächlich viele Gründe, ganz oder zumindest teilweise auf Fleisch zu verzichten – zum Beispiel die Zustände in der Massentierhaltung, den Landverbrauch bei der Fleischproduktion sowie den hohen Fett- und Cholesteringehalt von Würsten, Steaks und Schnitzeln. Ein echtes Dilemma: Was die Vernunft rät, findet der Gaumen gar nicht gut.

Mit Fleischersatzprodukten will die Lebensmittelindustrie dieses Dilemma auflösen. Und tatsächlich war es noch nie so einfach, fleischlos zu essen, ohne auf das gewohnte Geschmackserlebnis aus der Metzgerei verzichten zu müssen – selbst für jene Menschen, die seit ihrer Kindheit ein Tofuwurst- oder Grünkernbratling-Trauma mit sich herumschleppen. Denn der Lebensmittelindustrie gelingt es zunehmend besser, nicht nur den Geschmack, sondern auch das typische "Mundgefühl" von Fleischprodukten nachzuahmen. Darum findet man seit einigen Jahren immer mehr Schnitzel, Bratwürste oder Filetstreifen in den Lebensmittelregalen, für die kein einziges Rind, Schwein oder Huhn sterben musste.

"Ziel ist, dass in Zukunft alle beispielsweise am gleichen Grill sitzen und ein Steak oder eine Bratwurst essen können", so Zacherl, der im Projekt "Like Meat" (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Handelsmarke) gemeinsam mit Partnern neue Fleischersatzprodukte entwickelt hat, die voraussichtlich 2015 auf den Markt kommen werden. "Als Kunden haben wir nicht nur Vegetarier oder Menschen im Blick, die schrittweise auf Fleisch verzichten wollen", erklärt er. "Interessant für uns ist auch die wachsende Gruppe der ,Flexitarier' – das sind Menschen, die wenig Fleisch essen, sich aber sonntags gern ein gutes Bio-Steak gönnen. Ihnen wollen wir das gleiche Geschmackserlebnis mit einem Ersatzprodukt bieten."

Die Rechnung scheint aufzugehen: "Der Markt für Fleischersatzprodukte wächst jedes Jahr zwischen 10 und 20 Prozent", hat der emeritierte Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann beobachtet. "Die Vielfalt der Angebote ist inzwischen kaum noch zu überblicken, der Fantasie der Lebensmitteldesigner sind offenbar keine Grenzen gesetzt."

Den Rohstoff für die neuen Fleischersatzprodukte liefern meist proteinreiche Hülsenfrüchte wie Sojabohne oder Erbse. In ihnen steckt besonders viel von dem begehrten Eiweiß, das die Grundlage für das fleischlose Fleisch ist. Grundsätzlich sind die Unternehmen immer auf der Suche nach Ausgangsmaterialien, die aus nachhaltigem Anbau stammen, regional verfügbar und nicht genetisch verändert sind – schließlich stellt die Kundschaft hohe Ansprüche an die Umweltverträglichkeit ihrer Nahrungsmittel.

Vom eingesetzten Rohstoff hängen aber auch die Farbe und der Geschmack des Endproduktes ab. Das noch immer weit verbreitete Soja liefert zwar einen hübschen grau-beigen Farbton, gilt unter den Produktdesignern aber nicht als der optimale Geschmackslieferant. Bei ihnen steht Erbseneiweiß als Ausgangsmaterial hoch im Kurs, weil seine gelbe Farbe attraktiv aussieht und die Hülsenfrucht einen schönen Geschmack beisteuert. Für welche Pflanze sich ein Hersteller entscheidet, hängt aber nicht nur von Aussehen und Geschmack, sondern auch vom Preis des Eiweißpulvers ab. "Inzwischen ist es wegen der hohen Nachfrage nach Fleischersatzprodukten schwierig geworden, in Europa überhaupt noch Erbsenprotein zu bekommen", berichtet Achim Knoch, Leiter der Produktentwicklung am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) in Quakenbrück. Das spiegelt sich im Preis wider: Ein Kilogramm Erbsenprotein kostet mitunter das Dreifache der gleichen Menge Sojaeiweiß.

Aber egal welches Gemüse an der Wiege des Pflanzenfleischs steht – der Herstellungsprozess verläuft immer nach dem gleichen, recht einfachen Schema: Das Eiweißpulver wird mit Wasser und Gewürzen vermischt und dann durch einen Extruder geschickt, der wie ein überdimensionierter und beheizter Fleischwolf arbeitet. Schneckenförderer in seinem Inneren transportieren den Teig durch die Maschine, die ihn auf bis zu 160 Grad Celsius erhitzt. "Dadurch schmilzt das Eiweiß etwas und ändert seine Struktur", erklärt Fraunhofer-Experte Zacherl.

"Ursprünglich sieht es so ähnlich aus wie ein Wollknäuel – aber am Ende des Herstellungsprozesses sollen sie ja lang gestreckte Fasern bilden, die sich im Mund wie die Muskelfasern von Fleisch anfühlen." Dafür sorgt eine Düse am Ende des Extruders. Durch sie verlassen die heißen Proteine die Maschine wieder unter hohem Druck von bis zu 100 Bar. "Je nach gewünschtem Endprodukt wird der Teig durch kleine oder größere Öffnungen gepresst und verlässt die Maschine als eine Art Spaghetti-Eis aus Proteinen", so Martin Schüring, Leiter Forschung und Entwicklung am Forschungszentrum ttz in Bremerhaven. "Wer beispielsweise Gehacktes produzieren will, nutzt eine kleine kreisrunde Öffnung. Sollen hingegen Schnitzel entstehen, lässt man die Masse durch eine Düse mit einem eher rechteckigen und großen Querschnitt austreten."

Wie appetitlich die Verfahren sind, muss jeder für sich selbst entscheiden. Gesund sei das Ergebnis aber, betont Ernährungswissenschaftler Leitzmann: "Die Produkte enthalten wenig Fett, und die Fettsäuren liegen überwiegend in ungesättigter Form vor. Auch wertvolle Ballast- und sekundäre Pflanzenstoffe sind darin in unterschiedlichen Mengen vorhanden", so der Mitbegründer der Vollwertkost. "Und schließlich ist allen Produkten gemeinsam, dass sie im Gegensatz zu Fleisch kein Cholesterin enthalten."