Fleisch oder Pflanze?
Dass inzwischen nicht mehr nur eingefleischte Vegetarier, sondern auch andere ernährungsbewusste Verbraucher zu den Imitaten greifen, beobachtet auch DIL-Experte Knoch: "Früher gab es ja fast nur Tofu, das eher ein Reformhaus-Produkt war. Heute greifen auch Kunden nach den Ersatzprodukten, die sich für eine moderne, abwechslungsreiche Ernährung entschieden haben."
Sie könnten künftig noch weit fantasievollere Lebensmittel erwerben. Das Start-up Muufri aus San Francisco beispielsweise hat eine synthetische Variante von Milch in Arbeit. "Wenn man die richtigen Zutaten hat, lässt sich Milch überraschend einfach selbst herstellen", sagt Firmengründer Ryan Pandya. Sein Ersatzprodukt soll einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten – immerhin benötigen Landwirte ungefähr 1000 Liter Wasser, um einen Liter Milch herzustellen.
Muufri will die Kühe daher durch eine biotechnologische Anlage ersetzen. Das Rezept klingt denkbar einfach: Man nehme sechs Pflanzenproteine und acht Fettsäuren. Je nach Mischungsverhältnis lässt sich daraus wahlweise Kuhmilch, Ziegenmilch oder Büffelmilch produzieren – ohne industrielle Massentierhaltung. "Wir vermeiden auch das Risiko durch Pestizide, Hormone oder Bakterien in der Milch", argumentiert Pandya. "Die Herstellung verläuft ähnlich wie bei Medikamenten oder Insulin, super steril."
Ob das Ergebnis wirklich so sinnvoll ist, bezweifeln einige Experten allerdings. "Milch ist ein optimaler Kalziumlieferant, weil der Mineralstoff darin mit dem Milcheiweiß Casein verbunden ist, das in den Milchdrüsen der Kühe gebildet wird", erklärt Hans Meisel vom Max-Rubner-Institut in Kiel. "Dieser Mechanismus ist im Laufe der Evolution entstanden und sorgt dafür, dass die Milch im Darm besser verfügbar ist. Das kann man nur schwer imitieren, wie sich ja auch bei der Säuglingsnahrung zeigt." Die Gründer von Muufri lassen sich von solchen Einwänden indes nicht von ihrem Weg abbringen und wollen bis spätestens 2017 erste Produkte auf den Markt bringen.
Wer zwar auf Fleisch, aber nicht komplett auf tierisches Eiweiß verzichten will, kann auf einen Fleischersatz des niederländischen Molkereiriesen FrieslandCampina zurückgreifen. Für seine Produkte der Marke Valess nutzt das Unternehmen Milch als Ausgangsmaterial: Ähnlich wie bei der Käseherstellung wird das Eiweiß Casein mithilfe einer Pilzkultur zum Gerinnen gebracht, um die Milch "dickzulegen". Die Konsistenz von Fleisch entsteht durch die Zugabe von Pflanzenfasern aus Algen und Hühnerei-Eiweiß, während Kräuter und Gewürze für den gewünschten Geschmack sorgen. Aus dem Teig produzieren die Niederländer seit Jahren eine breite Palette von Fleischersatzprodukten, darunter Schnitzel, Bratwürste und fleischfreie Filets zum Grillen.
Doch trotz aller Raffinesse bei der Herstellung – alle bekannten Fleischerzeugnisse können die Lebensmitteltechnologen nicht imitieren. "Es ist beispielsweise nicht möglich, einen ganzen Braten im Extruder herzustellen", so Knoch. "Denn dafür müsste der Düsendurchmesser sehr groß sein, und die Wärme des Produktes ließe sich nicht mehr abführen." Wer keine Tiere töten will, für den sind auch medium gebratene Steaks außer Reichweite. Imitieren lässt sich nur gegartes Fleisch. Jedenfalls derzeit. Denn selbst das könnte sich in den nächsten Jahren ändern.
Das New Yorker Start-up Modern Meadow will Steaks im Labor wachsen lassen. "Wenn wir in Zellkulturen künstliche Haut züchten können, können wir dann auch Leder erzeugen? Und wenn wir Muskeln wachsen lassen können, können wir dann auch Fleisch herstellen?", fragt Mitgründer Andras Forgacs rein rhetorisch – denn genau das ist das Ziel seines Unternehmens. Erste "Steak Chips" aus Muskelzellen in den Geschmacksrichtungen Teriyaki und Shiitake-Pilz hat Modern Meadow bereits produziert und im privaten Kreis getestet. "Wir hoffen, dass wir die Steak Chips in den nächsten fünf Jahren verkaufen können", so Forgacs, der mit seinem Petrischalen-Fleisch den großen Wasser-, Land- und Energieverbrauch für die Fleischproduktion vermeiden will. Einige Investoren glauben dran: Zehn Millionen Dollar hat seine Firma diesen Sommer eingeworben.
Noch radikaler will das Start-up Soylent aus Los Angeles unsere Essgewohnheiten ändern: "Man braucht Aminosäuren und Fett, keine Milch. Und man braucht Kohlenhydrate und kein Brot", verkündet Firmengründer Rob Rhinehart und pro- pagiert statt der aus seiner Sicht teuren und aufwendigen klassischen Ernährung den Verzehr seiner Produkte, in denen unter anderem Kohlenhydrate, Proteine, Fettsäuren, Vitamine, Kalzium, Kalium und Zink stecken. Soylent-Esser müssen ein beiges Pulver mit Wasser und einer speziellen Öl-Mixtur mischen und können ihre Mahlzeiten dann bequem trinken. Kosten für ein Monatsabonnement: 70 Dollar.
Dass dabei vom Essgenuss nichts übrig bleibt, ist für Rhinehart kein Problem. Er betrachtet Essen als große zeitliche und finanzielle Belastung und behauptet, bereits über ein Jahr ausschließlich von seinem Pulver zu leben. Ernährungsexperten sind hingegen skeptisch und verweisen darauf, dass in natürlicher Nahrung wichtige Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe enthalten sind, über deren Aufgabe beim Verdauungsprozess teilweise noch kaum etwas bekannt ist – nicht auszuschließen also, dass die Soylent-Fanatiker eines Tages an Mangelerscheinungen leiden.
Schon der Produktname ist ein schlechtes Omen: Er stammt aus dem Science-Fiction-Film "Soylent Green", in dem er ein futuristisches Nahrungsmittel bezeichnet, das angeblich aus Plankton hergestellt wird. Tatsächlich besteht es aber aus Menschenfleisch. Auch wenn klar ist, dass es sich bei dem Namen eher um eine verbale Geschmacksverirrung handelt, sind viele Experten wenig begeistert: "Die ganze Idee ist grauenhaft", sagt die Ernährungsexpertin Susan Roberts von der Tufts-Universität in Boston. "Wir werden wohl niemals einen gemütlichen Dinner-Abend mit Freunden verbringen und dabei dieses Getränk genießen." (bsc)