Meinung: Technopanik und Googlephobie

Sind die Deutschen ein Volk von hasenfüßigen Fortschrittsverweigerern? Das zumindest werfen ihnen Technologen immer wieder vor – zuletzt der US-Publizist Jeff Jarvis. Aber nur, weil man es oft wiederholt, wird es noch lange nicht richtig.

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Sind die Deutschen ein Volk von hasenfüßigen Fortschrittsverweigerern? Das zumindest werfen ihnen Technologen immer wieder vor – zuletzt der US-Publizist Jeff Jarvis. Aber nur, weil man es oft wiederholt, wird es noch lange nicht richtig.

Gregor Honsel, TR-Redakteur, nimmt sich regelmäßig vor, andere Suchmaschinen zu nutzen, landet aber immer wieder bei Google.

Ich mache mir Sorgen um Technologie in Deutschland", schreibt Jeff Jarvis in einem Essay für die "Zeit". Der US-Publizist ist einflussreicher Blogger, Journalistik-Professor und profilierter Advokat eines freien Internets. In seinem Beitrag wirft er den Deutschen "Technopanik" und "Fortschrittsfeindlichkeit" vor.

Das ist starker Tobak für ein Land, dessen Ingenieure zu den besten der Welt gehören. Jarvis stützt sich vor allem auf die angebliche "Googlephobie" der Europäer und der Deutschen. Als Beispiele nennt er das Leistungsschutzrecht, die Verpixelung von Häusern auf Google Street View, das Urteil zum "Recht auf Vergessen" sowie das Bestreben des EU-Parlaments, Google zu zerschlagen.

Zugegeben: Jarvis legt seine Finger in die richtigen Wunden. Jeder Fall mag anders gelagert sein, aber viele Positionen der Europäer sind in der Tat befremdlich – etwa das Ansinnen, Google zur Löschung alter Suchergebnisse zu nötigen. Ähnliches gilt für das Leistungsschutzrecht. Es verpflichtet Suchmaschinenbetreiber, dafür zu bezahlen, kurze Anreißer von Nachrichtenmeldungen in ihren Trefferlisten zu zeigen. Dieses Gesetz ist aber allein Sache der Verlagslobby. Der Durchschnittsdeutsche nimmt es allenfalls kopfschüttelnd-belustigt zur Kenntnis, wenn überhaupt. Es ist zwar ein gutes Beispiel für eine kurzsichtig-protektionistische Politik. Doch daraus eine generelle Google-Feindlichkeit zu konstruieren, ist abstrus.

Und von einer "Technopanik" kann hierzulande schon gleich gar nicht die Rede sein. Die Deutschen lieben nach wie vor technisch hochgerüstete Autos. Sie wagten sich an die Energiewende, sicherlich eines der größten technologischen Projekte weltweit. Die Deutschen sind sogar große Google-Fans, wie Jarvis selbst eingesteht: "Es waren die deutschen Nutzer, die Google seinen zweitgrößten Anteil im weltweiten Suchmaschinenmarkt beschert haben – er liegt rund 50 Prozent über dem in den USA." So viel zum Thema Googlephobie. Die Deutschen sind höchstens skeptischer als andere. Und das ist gut so.

"Das Problem ist, dass Google-Leute Ingenieure sind", schreibt Jarvis weiter. "Wie Mister Spock aus ,Star Trek' verabscheuen sie alles Unlogische. Aber Menschen und vor allem Politiker sind unlogisch." Das mag vorkommen. Aber es gibt auch gute – und logische! – Gründe für Skepsis gegenüber Google. Immerhin spielt der Konzern so etwas wie einen Torwächter, der darüber entscheidet, welche Informationen zu uns gelangen.

Diese Rolle erfüllt Google übrigens sehr gut. (Weitaus besser jedenfalls, als ich es einer staatlichen Suchmaschine zutrauen würde.) Aber das ist gar nicht der Punkt. Die eigentliche Frage ist: Wollen wir uns mit Lawrence Lessigs berühmter Feststellung "Code is law" abfinden? Dann würde ein Großteil unseres Lebens von anonymen Programmierern bestimmt. Dies ist es teilweise heute schon: Weil beispielsweise die Nutzung eines Android-Smartphones fest an einen Google-Account gekettet ist, muss ich entweder Teil des Google-Universums mit all seinen Regeln werden, oder ich bin komplett von dieser Technik ausgeschlossen.

Und wer Android-Handys bauen will, muss mittlerweile sage und schreibe 20 vorinstallierte Google-Apps auf seinem Gerät mit ausliefern, die der Nutzer nicht oder nur mit großem Aufwand entfernen kann. Zur Erinnerung: Microsoft bekam vor einigen Jahren massiven Ärger mit der EU, nur weil es seinen eigenen Browser bei Windows vorinstalliert hatte – der sich zudem völlig problemlos deinstallieren und ersetzen ließ. Was waren das für niedliche Probleme damals.

Wenn Code = Law ist, wo ist dann der Gesetzgeber, wo sind die Gerichte? Genauso wenig wie das Gewalt- darf sich der Staat das Gesetzgebungsmonopol aus der Hand nehmen lassen. Deshalb ist es durchaus logisch, dass internationale Digitalkonzerne immer wieder mit der Politik aneinandergeraten. Natürlich kann man es albern finden, wenn Hausbesitzer ihre Gebäude im Netz verpixeln lassen wollen, obwohl sie für jeden Passanten öffentlich sichtbar sind. Trotzdem muss die Politik das Recht und die Möglichkeit haben, in solchen Fällen einzugreifen. Mit "Fortschrittsfeindlichkeit" oder gar "Technopanik" hat das Ganze nur bedingt etwas zu tun.

"Es ist zu früh, viel zu früh, das Internet jetzt zu definieren und zu limitieren", schreibt Jarvis. Das ist naiv. Das Internet ist zentraler Teil unseres Lebens. Wenn die Politik sich da nicht einmischen darf, wo dann? (grh)