Und jetzt: Ihr Wetter

Mit immer mehr Daten und immer größeren Super-Computern erzielen Meteorologen bessere lokale Wettervorhersagen.

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Von
  • Joseph Scheppach

Mit immer mehr Daten und immer größeren Super-Computern erzielen Meteorologen bessere lokale Wettervorhersagen.

Allergiker unter den Walmart-Kunden atmeten erleichtert auf: Obwohl die Pollensaison überraschend früh eingesetzt hatte, lag Claritin, ein Mittel gegen Heuschnupfen, griffbereit im Regal der US-Supermarktkette. Das perfekte Timing war einer aufwendigen Analyse komplexer Wetterdaten verschiedenster meteorologischer Dienste zu verdanken. So konnte sich Claritin-Produzent Merck schon zehn Monate im Voraus auf die Wetterkapriole in großen Teilen der USA im Frühjahr 2013 einstellen. Auch Walmart war vorbereitet: Mercks Costumer-Care-Managerin Debbie Sonnentag vereinbarte mit ihrem Kunden eine Werbekampagne für Claritin, "die zu einem Umsatzplus von mehreren Millionen Dollar führte".

Weltweit versuchen Unternehmen verschiedenster Branchen Kapital aus Wetterprognosen zu schlagen, um sich bereits heute auf Probleme von morgen vorzubereiten. Der Logistiker DHL Express etwa sammelt akribisch Wetterdaten über Sichtverhältnisse, um täglich rund 3000 Flüge im Minutentakt zu koordinieren und Verspätungen zu minimieren. Der US-Energieriese Westar Energy scannt landesweit Unwetter, um Stromleitungs-Reparaturtrupps beizeiten in Alarmbereitschaft zu versetzten. Und die US-Versicherungsgesellschaft EMC Insurance kalkuliert die Wahrscheinlichkeit von Hagelschauern so genau, dass sie Prämien entsprechend der regionalen Gefahrenlage anpassen kann.

Ermöglicht wird all das durch ein immer gigantischeres Heer von Satelliten und Messstationen an Land und auf See, die eine nie zuvor gekannte Datenflut zusammentragen. "Damit aber klassische physikalische Wettermodelle realistische Ergebnisse liefern, muss das Gitterraster sehr feinmaschig sein", erklärt Tobias Reinartz, Diplom-Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst. "Und für jeden Rasterpunkt müssen viele Näherungsformeln berechnet werden, sonst wäre das Modell zu einfach für die Natur." Die Folge ist: Die Zahl der notwendigen Rechenschritte und der zu verarbeitenden Daten explodiert. Umso höher also die Rechenleistung der Supercomputer, desto genauer ist die klassisch-physikalische Wettervorhersage. Der Deutsche Wetterdienst hat in seiner Zentrale 30000 PCs zusammengefasst.

Gefühlt ist die Drei-Tages-Prognose zwar immer noch so ungenau wie vor 20 Jahren. Tatsächlich aber haben heute "die Sieben-Tages-Prognosen dieselbe Genauigkeit wie Anfang der neunziger Jahre die Fünf-Tages-Prognosen", schreibt das European Centre for Medium-Range Weather Forecasts (ECMWF) in seinem jüngsten Jahresbericht. "Wenn es um lokale Vorhersagen geht, greifen die physikalischen Modelle allerdings nicht so recht", erklärt Datenanalyst Nils Dorband vom Schweizer Wetterdienst Meteomatics. "Deshalb setzt man hier alternative Verfahren wie neuronale Netze ein."

Denn die können durch geschicktes Training selbstständig komplizierte Zusammenhänge und verdeckte Abhängigkeiten anhand von historischen Beispielmustern erkennen und diese Informationen für eine Prognose nutzen. Dabei vergleichen die Systeme die Vorhersagen und die tatsächlichen Daten vieler Jahre, kombinieren sie mit der dazugehörigen Großwetterlage und ermitteln daraus die Wahrscheinlichkeiten für die aktuelle Saison.

Mit dieser Methode wollen IBM-Forscher die Entwicklung von Regen mit bislang ungekannter Präzision voraussagen. Herkömmliche Wetterdienste haben die Welt in Karos von 2,5 bis 50 Kilometer Breite und Länge unterteilt. Bei IBMs "Deep Thunder" liegt die Auflösung bei nur noch einem Kilometer. Mehr noch: Das auf einem Supercomputer betriebene System soll bald sogar einzelne Straßenzüge mit maßgeschneiderten Wetterdaten versorgen. Davon könnten als erste die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro profitieren. Eine speziell entwickelte Wetter-App soll Regen unter dem Zuckerhut bis zu 40 Stunden im Voraus ankündigen – mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit.

Auch für die Energiekosten bei Arbeitsprozessen können genaue Wettervorhersagen relevant sein – insbesondere wenn ein Unternehmen bevorzugt "grünen Strom" nutzen will. "Wenn zu einem bestimmten Termin viele Maschinen laufen müssen, kann unsere Software ,Resource Intelligence' feststellen, ob Solar- oder Windparks ausreichend Energie liefern", sagt Britta Hilt, Gründerin der Firma "IS Predict". So kann frühzeitig zusätzlich Strom eingekauft werden, was günstiger kommt als nachzubestellen. Um die Energieerzeugung vorherzusagen, speist Hilt Wetterwerte und Prognosen aus dem Vorjahr sowie die damals erzeugte Energiemenge ein, und die neuronalen Netze modellieren und analysieren die Wetterszenarien.

Betreiber von Photovoltaikanlagen und Windparks profitieren ebenfalls von Hilts Software. Statt aus Wettervorhersagen umständlich zu berechnen, wie viel Strom jedes einzelne Windrad bei welcher Wetterlage oder jedes Modul bei welcher Sonneneinstrahlung erzeugt, trainieren sie die Software mit Wettervorhersagen für zurückliegende Zeiträume und der damaligen Stromproduktion des Solar- oder Windparks. Solch eine lernende Software testeten Siemens-Forscher bei einem großen Offshore-Windpark in Dänemark. Anhand der Vorhersagen für Windgeschwindigkeit, Temperatur und Luftfeuchte prognostizierten sie die Stromproduktion des Parks für die nächsten drei Tage auf wenige Prozent genau.

Der Blick in die Energie-Zukunft ist insbesondere für Netzbetreiber wichtig. Wind und Wetter sind schwer kalkulierbar. Und je höher der Anteil fluktuierender erneuerbarer Energien wird, desto gefährdeter ist die Stabilität des Stromnetzes. Blackouts drohen. Auch hier können ausgeklügelte mathematische Rechenoperationen helfen. "Was passiert in zehn Minuten bei veränderten Wetterbedingungen, wenn eine Station im Stromnetz aus Wartungsgründen abgeschaltet wird? Solche Fragen werden simuliert, und es wird berechnet, ob das Netz dann noch stabil ist", erklärt Michael Heine, Bereichsleiter Netzberechnungen bei der Berliner PSI Software AG.

"Dabei sammelt die Software bis zu 100000 Messdaten pro Sekunde aus dem gesamten Stromnetz, um den Operateuren in der Leitwarte ein möglichst genaues Bild zu vermitteln. Unser System versorgt die Operateure im Grunde wie ein Autopilot mit Informationen."

Trotzdem scheint eines sicher: Mithilfe von Big Data lassen sich zwar deutlich genauere Vorhersagen treffen als früher – aber die Launen des Wetters, besonders zu Zeiten des Klimawandels, werden auch den besten Prognostikern immer wieder ein Schnippchen schlagen. (bsc)