4W

Was war. Was wird. Von den Fehlern der Vergangenheit

Aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft lernen, das wär mal was. Doch die Gegenwart lehrt uns, dass es nicht ganz so einfach ist, auch nicht für Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 59 Kommentare lesen
Was war. Was wird. Von den Fehlern der Vergangenheit
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Dort, wo der Horizont unter der Brücke beginnt, weiden Kühe. Man könnte zu ihnen kraxeln, nur um eine weitere Weide mit Kühen zu sehen, denn hier ist tiefste Provinz, hier ist Unort. Es gibt ein Entkommen, sagt die aufgestelzte Brücke und der Ro 80 steht bereit, eine der beiden Richtungen zu nehmen und die Tristesse hinter sich zu lassen. Adrett und linkisch zugleich wankelt der Sohn, vom Papa exakt in der Mitte festgehalten.

*** In der deutschen Provinz zu Paderborn entstanden bei Nixdorf Computer, hier war der Erfindergeist zu Haus, bereit, die Welt zu erobern und die Tristesse hinter sich zu lassen. Ja, was soll all das Geplappere über Microsoft und Bill Gates, dessen BASIC doch nur abgekupfert war, wenngleich es nach Einschätzung von Gates eine große Leistung war, dies für den 8080er geschafft zu haben, in der Provinz von Albuquerque. Es war das kleinste. Doch halt, nicht alle sind dieser Ansicht und schreiben wider den Papageienjournalismus:

Nicht zuletzt in der Historie europäischer IT-Entwicklungen schlummern kaum bekannte Schätze, von denen auch das Silicon Valley profitierte. Ich habe bereits in den 60er Jahren bei Telefunken gejobbt und während der Altair erschien, arbeitete ich im Forschungszentrum der Nixdorf Computer AG. Seitdem beschäftigt mich auch die Frage, wie es geschehen konnte, dass einstmals technisch führende Unternehmen so rasch untergingen. Museen, Kuratoren und Journalisten sollten sich bei technikhistorischen Arbeiten der Möglichkeit bewusst sein, dass heute existierende Unternehmen und Politiker vieles aus den Fehlern der Vergangenheit lernen könnten.

*** Aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft lernen, das wär mal was. Doch die Gegenwart lehrt uns, dass es nicht ganz so einfach ist, lernend von der Provinz hinaus zu den Sternen zu gelangen. Selbst am Tag des Kosmonauten müssen wir die Grenzen sehen, dies im Unterschied zu unserer Regierung, die auch im Weltraum ungehindert schnüffeln will. Immerzu gibt es Umwege und Holzwege und dann sind da noch die Anderen in diesem Internet. Über Umwege hat es die unverzagte Chelsea Manning nicht nur geschafft, Guardian-Autorin zu werden, sondern ist seit dieser Woche auf Twitter präsent. Dazu kann man ihr eigentlich nur das Glück wünschen, nicht den Transgender-Hassern zu begegnen, die das schönste deutsche Diskussionsforum vandalisierten, weil es um Dinge ging, die nicht ihrem reaktionären Menschenbild entsprechen.

*** Zum dritten Mal in der Geschichte von heise online musste ein Forum zu einem Artikel geschlossen werden, weil dieser Artikel Anlass für ausfällige, üble Kommentare war. Anders als Sascha Lobo zu glauben scheint, ist dies kein deutsches Phänomen, sondern kann überall im Internet gesichtet werden, etwa bei der Verunglimpfung von Monica Lewinsky. Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass Nerds oder sonstwie an IT interessierte Menschen besonders tolerant sind und sachlich diskutieren können. Dabei ist ein offenes Forum mit einem größtmöglichen Maß an Freiheit, wie hier begründet, eine wichtige Sache. Nicht jedem müssen alle Kommentare schmecken, aber das gehört dazu zur großen Freiheit. In diesem Sinne sei die Beobachtung zitiert, die der wissenschaftliche Leiter der Hacker Foundation einst niederschrieb:

"Eher werden die Menschen ans Unvermeidliche fixiert als verändert. Vermutlich macht das Internet sie nochmals zu dem, was sie ohnehin sind, nur noch mehr so, als sie es ohnehin sind. Das entspräche der wirtschaftlich begründeten Gesamttendenz der gegenwärtigen Gesellschaft, in ihren Bewusstseinsformen nicht länger über sich selber, den status quo hinauszugehen, sondern diesen unablässig zu bekräftigen und, wo er etwa bedroht dünkt, wiederherzustellen. Der Druck, unter dem die Menschen leben, ist derart angewachsen, dass sie ihn nicht ertrügen, wenn ihnen nicht die prekären Leistungen der Anpassung, die sie einmal vollbracht haben, immer aufs neue vorgemacht und in ihnen selber wiederholt würden."

*** In der vorigen Wochenschau erwähnte ich die kühne Aussage des SPD-Chefs Sigmar Gabriel, der da zu glauben scheint, dass eine Vorratsdatenspeicherung die NSU-Mordserie nach den ersten Taten verhindert hätte. Nachzutragen ist an dieser Stelle, dass sehr wohl Daten vorhanden waren, wie es dank einer Anfrage des Bundestags-Abgeordneten Andrej Hunko von der Linksfraktion bekannt wurde: 20 Millionen Datensätze aus Funkzellenabfragen und 14.000 Bestandsdaten der Anschlussinhaber wurden von der "besonderen Aufbauorganisation" Bosporus untersucht, doch weil partout von "Döner-Morden" phantasiert wurde, nutzten die Datenberge genau gar nichts. Immerhin: jetzt sind sie nützlich, um den SPD-Chef als Ignoranten zu überführen, der seine Argumente nicht mal überprüfen lässt. Das Unwort der Döner-Morde wurde passend zur Untat von der deutschen Presse verbreitet, die damit kein Ruhmensblatt füllte.

*** Marokkanische oder algerische Islamisten sollen versucht haben, den Fernsehsender TV5 zu übernehmen. Dabei sollen leicht zu erratende Passwörter eine Rolle gespielt haben. Zu den besseren Nachrichten dieser Woche gehörten nicht nur die Penisdialoge von Whistleblower Edward Snowden und Komiker John Oliver, sondern ein kleines Gespräch über Passwörter und Passphrasen, das separat veröffentlicht wurde. Oliver befragte Snowden über die Sicherheit verschiedener Passwörter und dieser antwortete ganz im Sinne des Bundeskriminalamtes mit seinen Vorschlägen zu "Sicherheit und Aufbau von Passwörtern", dass etwa "MargaretThatcheris110%SEXY" eine Phrase wäre, die besseren Schutz bieten könne. Was Oliver wiederum völlig egal ist. Besser kann das Dilemma in der IT-Sicherheit nicht ausgedrückt werden.

*** Die letzte Ergänzung zur abgelaufenen Woche betrifft nicht unbedingt Margaret Thatcher, doch die Praxis der Massenüberwachung in Großbritannien, gegen die Amnesty International klagt, begann unter Thatcher, die die Geheimdienste anwies, die Gewerkschaften auszuspionieren. Seit Mittwoch werden in Großbritannien wieder die Pässe von Ausreisenden kontrolliert, die die Fähren oder den Eurotunnel benutzen. Die Exit Checks werden in einer Datenbank gespeichert, die locker die Speicherung der Passenger Name Records (PNR) überschreitet, gegen die gestern demonstriert wurde: 100 Millionen Daten pro Jahr werden von Menschen gespeichert, um 150.000 "Overstayer" zu finden, die länger bleiben, als vom Visum her erlaubt ist. Besonders bemerkenswert: Nicht Grenzbeamte kontrollieren und speisen die Daten ein, sondern Angestellte der Fähren- und Zugunternehmen. Diese dürfen dafür die Daten zu Marketingzwecken analysieren. Ein Wirtschafts-Ankurbelungsplan, wie er auch von unserem auf Vorrat irritierenden Wirtschaftsminister Gabriel stammen könnte.

Hat Kuba seinen 9. November erlebt? Der historische Händedruck ist nett, doch ohne weitere Schritte nur eine Art des Bakterientausches und ein Schlag in die Magengrube der USA. Da gibt es einen Pachtvertrag, über den sie verhandeln und ein historisches Übel beseitigen könnten. Start-Ups stehen bereit, dieses Internet auf Kuba auszuweiten.

Was mit der Provinz begann, endet mit der Provinz: Gleich neben Paderborn liegt Bielefeld, auch wenn das mancher nicht recht glauben will. Dort werden am kommenden Freitag wieder einmal die Big Brother Awards vergeben. An geeigneten Kandidaten dürfte in vielen Kategorien kein Mangel herrschen, schließlich enthüllten die Snowden-Häppchen wie die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses so manches preiswürdiges Detail der Arbeit deutscher Behörden und Dienste. Auch die Wirtschaft wird sich nicht lumpen lassen, wie bei den Biotechnologie-Firmen zu sehen ist, die zum Start der Medizinmesse ConHIT am Dienstag an die Tröge drängt.

Nur finanziell sieht es mau aus für Digitalcourage, die die Gala zur Preisverleihung veranstaltet. Diese soll 35.000 Euro kosten, die längst noch nicht gedeckt sind. Denn hinter den Datenschutzaktivisten steht keine fette Nixdorf-Stiftung oder Stiftung Westfalen. So schließt diese Wochenschau leicht bettelnd und mit einem dieser geflügelten Sätze aus der Provinz, direkt vom Fotografen: "Vor dem Himmel kommt das Leben auf Erden, und da gilt es, eine soziale Gesellschaft aufzubauen."

Unternehmensstandort Pontanusstraße, 1965

(Bild: Heinz Nixdorf MuseumsForum)

(anw)