re:publica 15: Die Netzgemeinde in der Mitte der Gesellschaft

Zwar streikte die Bahn, doch die "liebe Netzgemeinde" telebustierte sich umgehend nach Berlin: Am ersten Tag der re:publica mit 6000 Teilnehmern beschäftigte sie sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Netzpolitik.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
re:publica 15:  Die Netzgemeinde in der Mitte der Gesellschaft

Dobusch (l.), Beckedahl

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Jeder Hype-Zyklus kennt es, das Tal der Enttäuschung, das durchschritten werden muss, ehe das Plateau der Produktivität erreicht wird und die Erfolge genossen werden können. Nach 15 Jahren Netzpolitik und zwei Jahren Snowden-Enthüllungen ohne Folgen berichteten Markus Beckedahl und Leonard Dobusch vom Gefühl, das Tal gerade hinter sich gelassen zu haben.

Denn alle klassischen Themen der Netzpolitik sind welche, die die Politik in der Bundesrepublik bewegen: der BND-Skandal erschüttert die Große Koalition, Breitbandausbau und Urheberrecht werden auf europäischer Ebene diskutiert. "Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", meinte Beckedahl im proppenvoll gefüllten neuen Großsaal 2 und machte der Netzgemeinde Mut.

Mit Open Source, Open Government oder Open Education mit frei zugänglichen Lernmaterialien seien Themen besetzt worden, die gerade wieder aktuell werden nach dem Hype um Limux im Jahre 2003. Und Netzthemen wie die Vorratsdatenspeicherung, das TTIP-Abkommen und der NSA-Skandal spielten in der Politik eine wichtige Rolle. "Es gibt keine Netzgemeinde mehr, sondern wir sind die digitale Gesellschaft", erklärte Beckedahl.

Frank Rieger: Menschenwürde nach Dagobert Duck

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

Frank Rieger vom Chaos Computer Club zeigte der Netzgemeinde anschließend, was aus Nerd-Perspektive auf der Agenda steht. "Disruptive" Unternehmen wie Uber und AirBnB zerstörten gesellschaftliche Regeln mit ihrer Digitalisierung von Arbeitsprozessen. Auch geistige Fließbandarbeit werde von dieser Automatisierung erfasst. Dabei stehe die Entwicklung erst am Anfang und werde an Fahrt aufnehmen, wenn schmalbandige künstliche Intelligenz und Sensorik zusammen "dank" der Netzwerkeffekte weitere Lebensbereiche erfassen.

Gegen diese Umformung müsse eine große politische Vision her, die als kollektive Aufgabe geschaffen werden müsse: "Der Ausgangspunkt sollte eine positive Definition davon sein, wie wir leben wollen." Riegers schlug vor, dabei gleich die ganz großen Entwürfe zu nehmen: Artikel 3 des Grundgesetzes, Artikel 19 und Artikel 23 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie Satz 1 der Hackerethik seien ausreichend, die Vision festzuzurren. Aus ihnen lasse sich eine positive Vision von "guter Arbeit" ableiten, aber auch eine politische Forderung wie die Umverteilung der Automatisierungs-Dividende.

Nach einer amüsanten Darstellung des Netzpolitik-Autors Andre Meister zu den "Lügen über die Vorratsdatenspeicherung", bei der Justizminister Heiko Maas gleich mit mehreren Ehren-Pinocchios für seine Verdrehungen und Nebenabreden bedacht wurde, ging es noch einmal ans Eingemachte. Anna Biselli von Netzpolitik und Rüdiger Weiß von den Cryptolabs zeigten anhand einer Chronologie der laufenden Unsicherheitsmeldungen von Heise Security, wie unsicher Computer und Smartphones sind. Abseits der politischen Vision müsse das Nahziel "Gerätehoheit" erkämpft werden.

Anna Biselli und Rüdiger Weiß: Horror-Szenario nach Heise-Security

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

Besonders beunruhigend seien die verschiedenen Meldungen, wie Microsoft die Boot-Prozeduren so verändere, dass nur Microsoft-genehme Produkte Rechner starten können. So seien Linux und das Ökosystem der freien Software direkt von den Patch-Fähigkeiten von Microsoft abhängig: "Microsoft versucht, ein geschlossenes System aufzubauen", warnte Weiß die Zuhörer. Zusammen mit Biselli rief er dazu auf, wann immer möglich Verschlüsselung einzusetzen, um das "Rauschen" zu verstärken, in dem die Dienste nach Informationen suchen müssen. In der Kryptomagie, dem Zusammenspiel von Kryptographie und Open-Source-Software liege die Chance der Gesellschaft, sich von der Überwachung zu befreien. (anw)