re:publica 15: Der kontrollierte Boom in China

Die IT-Industrie ist Wachstumshoffnung für China – auch als Exportartikel. Die eigene Bevölkerung will der Staat mit einem Big-Data-Projekt kontrollieren.

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re:publica 15: Der kontrollierte Boom in China

(Bild: merics.org)

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Von
  • Torsten Kleinz

"Die chinesische Regierung will alles, insbesondere Informationen kontrollieren", erklärte Hauke Gierow vom Mercator Institute for China studies (Merics) auf der re:publica in Berlin. Die neusten Pläne der chinesischen Regierung offenbarten eine geradezu dystopische Zukunftsvision: Bis 2020 will die chinesische Regierung eine öffentliche Datenbank über alle chinesischen Bürger einführen.

Das "social credit system" habe eigentlich als Datenbank über die Zahlungsfähigkeit der Bürger begonnen, erläuterte Gierow. Bis 2020 will die chinesische Regierung das Angebot aber wesentlich ausbauen und neben der Kredithistorie auch einen Scoring-Wert des Online-Benehmens umfassen. Dazu setzt die Regierung auf vielfältige Datenquellen: Staatliche Überwachungsprogramme und private Unternehmen sollen gleichermaßen Informationen zuliefern, die genau erfassen, welche Kommentare welcher Bürger hinterlässt, welche Käufe er getätigt hat und was er online gelesen hat.

Bereits im vergangenen Jahr habe der Volkskongress derlei gefordert. Trotz rigider Internetzensur führen die bei Chinesen besonders beliebten sozialen Medien immer wieder zu unerwünschter Kritik. So sei es mittlerweile ein Volkssport, Fotos von Lokalpolitikern zu veröffentlichen, die sie bei unbotmäßigem Verhalten zeigten, sagte Kristin Shi-Kupfer von Merics. In den Kommentaren würden dann oft Details zu dem Privatleben oder gar zur Familie des kritisierten Politikers veröffentlicht. Den Unzufriedenen versucht die chinesische Regierung mit einem Twist entgegenzukommen: So sollen auch staatliche Behörden einen öffentlichen Scoring-Wert bekommen.

Solch umfassenden Überwachungsgelüsten kommt die Struktur der chinesischen Internetinfrastruktur entgegen. So haben sich einige wenige Anbieter in der breiten Bevölkerung Chinas durchgesetzt. Die Chat-Applikation WeChat sei beispielsweise zu einer umfassenden Plattform geworden, über die nicht nur mit Freunden und Arbeitskollegen kommuniziert wird, sondern über die auch Dienstleistungen wie Taxis geordert werden könne. Der WeChat-Account fungiere daher schon als Visitenkarten-Ersatz, erläuterte Shi-Kupfer. Solche Unternehmen leben in einer symbiotischen Beziehung mit den staatlichen Organen. Die Social-Media-Unternehmen müssen zum Beispiel staatliche Zensoren einstellen.

Der Erfolg der einheimischen Dienste ist freilich kein Zufall: Die chinesische Regierung betreibt Protektionismus, der es ausländischen Unternehmen fast unmöglich macht, im an sich lukrativen chinesischen Markt erfolgreich zu sein. Der Schutz, den die Regierung ihren Unternehmen bietet, geht aber zuweilen selbst chinesischen Unternehmern zu weit. So kritisierte Huaweis Chef Eric Xu kürzlich die IT-Strategie der chinesischen Regierung öffentlich und warnte davor, dass der exklusive Einsatz von einheimischen Produkten in kritischen Bereichen auf lange Sicht der IT-Sicherheit Chinas schade. "Wenn wir nicht die weltbeste Technik verwenden, werden wir nie richtige Informationssicherheit erreichen", sagt der Manager laut einem Bericht der South China Morning Post.

Ein gänzlich anderes Bild zeichnete Peng Zhang, Gründer des chinesischen Inkubators und Konferenzveranstalters Geek Park auf der re:publica. So seien viele westliche Firmen im chinesischen Markt tätig, ihr Mangel an Erfolg sei ihnen aber selbst zuzuschreiben: "Wer auf dem chinesischen Markt erfolgreich sein will, muss ständig innovativ sein und sich mit dem Markt weiterentwickeln. So habe der Erfolg junger Internet-Unternehmer mittlerweile zu einem richtigen Geek-Kult geführt. Chinesische Firmen seien mittlerweile auch auf ausländischen Märkten erfolgreich: So verwies Zhang auf die mittlerweile 200 Millionen Nutzer von GoLauncher außerhalb Chinas.

Aber auch andere Unternehmen streben westliche Märkte an. So müssten sich westliche Firmen darauf einstellen, dass chinesische Standards immer mehr Einzug in der IT halten, sagte Gierow. Der E-Commerce-Konzer Alibaba habe bereits seinen Zahlungsdienst AliPay in den USA etabliert, chinesische Handelsunternehmen bauten ihre Logistik auch in Europa aus. (anw)