Ist Google Gott?

Google weiß praktisch alles über alles. Ist Google dann nicht Gott? Ich habe diese Frage immer nur für ein mäßig originelles Bonmot gehalten. Umso interessanter fand ich es deshalb, dass sich die Theologin Johanna Haberer ernsthaft mit dem Thema befasst hat.

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Google weiß praktisch alles über alles. Ist Google dann nicht Gott? Ich habe diese Frage immer nur für ein mäßig originelles Bonmot gehalten. Umso interessanter fand ich es deshalb, dass sich die Theologin Johanna Haberer ernsthaft mit dem Thema befasst hat.

Haberer ist Professorin an der Uni Erlangen-Nürnberg und hat vier Jahre lang für die ARD das Wort zum Sonntag gesprochen. In ihrem Buch „Digitale Theologie“ bezeichnet sie „Google, Facebook und Co.“ als „Götter einer neuen Zeitachse“, welche die „Subjektwerdung und Identität eines Menschen dominant zu bestimmen“ drohten. Sie spricht von Visionären, die dabei seien, die „Grenze zwischen Leben und Tod“ zu nivellieren. Von „Propheten mit einem allumfassenden Heilsanspruch“. Es gehe „um das Ganze des Menschen und des Menschseins“. Und um eine Ideologie, die „Gewissheit für die Heilung aller Menschheitsprobleme“ verspreche und mit „quasireligiösen Heilsversprechen die Züge einer säkularen Religion“ trage.

Ihre konkreten Kritikpunkte an der digitalen Welt: „Verflachung des Denkens“, Unverbindlichkeit, Narzissmus, Datensammelwut, Kommerzialisierung. Dabei hält sie sich an Marshall McLuhan, Jaron Lanier und Evgeny Morozov. Das Übliche halt. Vieles von den Vorwürfen ist berechtigt, nichts davon neu. Natürlich vertreten die ganzen Datenkonzerne nicht nur nüchterne Geschäftsinteressen, sondern auch eine bestimmte Weltanschauung. Nämlich die, dass sich die meisten Probleme mit Technik lösen lassen. Aber reicht das schon für eine (Quasi-)Religion?

Wikipedia definiert Religion als „Glaube an bestimmte transzendente (überirdische, übernatürliche, übersinnliche) Kräfte und damit verbundene heilige Objekte, die nicht im Sinne der Wissenschaftstheorie bewiesen werden können, sondern nur im Wege individueller intuitiver Erfahrung.“ Was bitteschön ist an einem Suchmaschinenalgorithmus übersinnlich? Wer auf dieser Welt hält Facebook für heilig? Welche mystischen Erlebnisse hat Twitter je hervorgerufen?

Aber wahrscheinlich meint Haberer eher „Ideologie“, wenn sie von „Religion“ schreibt. Dazu nochmals die Wikipedia: „Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff Ideologie zumeist abwertend nur für manipulative, unzulängliche oder nicht wissenschaftlich begründete Ideen-Systeme und Theorien verwendet, die im Interesse weltanschaulicher, wirtschaftlicher oder politischer Zielsetzungen der Verschleierung und Rechtfertigung von zweckdienlichen Interessen dienen. Anders lautende wissenschaftliche Erkenntnisse werden geleugnet, Kritiker verunglimpft und der Anspruch auf Allgemeingültigkeit, alleinige Wahrheit und Alternativlosigkeit wird wider besseren Wissens erhoben.“

Man kann dem Silicon Valley ja durchaus einiges vorwerfen, aber das dann doch nicht. Weder Google noch Facebook haben je zu einem Dschihad oder zu einem Kreuzzug gegen ihre Kritiker aufgerufen. Was Jaron Lanier, Evgeny Morozov oder Johanna Haberer über Google zu sagen haben, lässt sich leicht über Google finden. Außerdem haben die Digitalkonzerne meines Wissens noch nie jemanden aufgefordert, als Glaubensbeweis sein eigenes Kind umzubringen (im Gegensatz zum alttestamentarischen Gott bei Abraham). Die digitale Welt kennt weder Glaubensbekenntnis noch Taufe, weder Bibel noch Koran, weder Papst noch Inquisition. Für eine Ideologie mit angeblichem Allmachtsanspruch finde ich das ziemlich luschig.

Auch wenn sein Name nur am Rande auftaucht – offenbar hatte Haberer vor allem die Transhumanisten- und Solutionisten-Clique um Ray Kurzweil im Hinterkopf, um sich in Fahrt zu schreiben. Dabei wird diese (meinem Eindruck nach) auch von Digital-Junkies nicht sonderlich ernst genommen. Doch solche Differenzierungen interessieren die Autorin wenig. Für sie sind die Milliarden Internetnutzer offenbar ein homogener Block auf dem Marsch in die sittliche Verwahrlosung. Das ist ein beliebtes rhetorisches Mittel: Man unterstellt seinen Gegnern Extrempositionen, die diese gar nicht vertreten, um sich dann prima daran abarbeiten zu können.

Schade. Ich hatte gehofft, dass die Theologie schlaueres zum digitalen Wandel beizutragen wüsste. (grh)