Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung: "Rechtsunsicherheit per Ansage"

Der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren lässt nach Ansicht von Kritikern viele Fragen offen.

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Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung: "Rechtsunsicherheit per Ansage"

(Bild: Lars P., CC BY 2.0)

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Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco lehnt den Referentenentwurf aus dem Justizministerium für eine neue Vorratsdatenspeicherung entschieden ab. Es drohe "erneut Investitions- und Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen sowie ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der Bürger", meint eco-Rechtsvorstand Oliver Süme. Es sei "unverantwortlich und inakzeptabel, dass die Bundesregierung ein so folgenschweres Gesetz derart hastig erarbeitet und jetzt im Eiltempo durchsetzen will". Eine dringend erforderliche politische Grundsatzdebatte werde so im Keim erstickt.

"Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 ist klar, dass eine verfassungskonforme Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht möglich ist", meint Süme. Der Entwurf werfe "viele Fragen auf und dokumentiert, dass sich die Bundesregierung im Detail nicht über die rechtlichen und technischen Herausforderungen einer solchen anlasslosen und flächendeckenden Datenspeicherung bewusst ist". Leidtragende seien auch dieses Mal die betroffenen Internet- und Telekommunikationsunternehmen, die auf geschätzten Kosten von rund 600 Millionen Euro sitzenblieben.

Das anstehende "Blitzgesetz" enthält diverse Verweise auf andere rechtliche Normen, die nur schwer zu überblicken und teils selbst in ihrer Reichweite nur schwer zu bestimmen sind. Das beginnt mit einem neuen Paragraphen 100g in der Strafprozessordnung (StPO), nach dem Ermittler eingeschränkt auch beim Verdacht, "dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat mittels Telekommunikation begangen hat", Verbindungs- und Standortdaten bei Providern abrufen dürfen. Es geht hier auch um das weite Feld der Delikte mit "Tatmerkmal Internet".

Diese Klausel bezieht sich zwar "nur" auf den Paragraph 96 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und damit auf "Verkehrsdaten", die Telekommunikationsfirmen "für geschäftliche Zwecke" mehr oder weniger kurzfristig speichern können. Allerdings enthält er eine Öffnungsklausel, wonach die Metainformationen auch "durch andere gesetzliche Vorschriften begründete Zwecke" verwendet werden dürfen.

Auch Juristen können noch nicht abschließend einschätzen, was dies für die Zugriffsmöglichkeiten von Strafverfolgern bedeutet. Der Berliner Richter Ulf Buermeyer etwa sagte heise online, dass dem Abruf der eigentlichen Vorratsdaten, um einfachen Cybercrime aufzuklären, ein recht passabler Riegel vorgeschoben werde. Dieser sei aber "verfahrensrechtlich schlecht abgesichert", weil in Anordnungen nicht aufgenommen werden müsse, dass keine anlasslos erhobenen Metainformationen genutzt werden dürften. So könne "schnell mal was schiefgehen".

Der linken Netzpolitikerin Halina Wawzyniak stößt der umformulierte Paragraph 100g StPO und das sich um diesen herumrankende Verweislabyrinth übel auf. So werde dort etwa der Zusatz "ohne Wissen des Betroffenen" zur Speicherbefugnis gestrichen und explizit auf Paragraph 96 TKG verwiesen. Dies setze voraus, dass die Informationen "auch vorhanden sind", sodass aus der "Erlaubnisnorm" rasch eine Verpflichtung herausgelesen werden könne. So oder so werde die Telekommunikationsfreiheit eingeschränkt.

Wawzyniak moniert ferner, dass das Justizministerium keine Belege für die These erbringe, dass ohne Vorratsdatenspeicherung "Lücken bei der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr" bestünden. Dabei belege eine von dem Ressort bestellte Studie, dass sich die Speicherung nicht wesentlich auf die Aufklärungsquote auswirke.

Dazu kommt, dass das geplante Gesetz eine Hintertür für Ermittler nicht schließt, um an Verbindungs- und Standortdaten heranzukommen. Sie wird aufgestoßen mit Paragraph 100 TKG, auf dessen Basis Zugangsanbieter derzeit zur "Störungsabwehr" Verkehrsdaten für Zeiträume vorhalten, die zwischen einigen Tagen und sechs Monaten liegen. Diese umstrittene Passage soll mit dem geplanten IT-Sicherheitsgesetz sogar noch erweitert werden.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung beklagt, dass "sehr unklar geregelt ist", wann die Metadaten verwendet werden dürften. Es solle Strafverfolgern offenbar einfach gemacht werden, auch im Kampf gegen Filesharer oder Trickbetrüger im Netz darauf zuzugreifen. Generell greife der Vorstoß tief in die Grundrechte ein und verstoße gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung auf Bundes- und EU-Ebene. Die Bürgerrechtler rufen daher zur Teilnahme an der Demonstration "Freiheit statt Angst" am Samstag in Hamburg auf. Sie haben auch eine Bundestagspetition initiiert.

Der Berliner Rechtsanwalt Matthias Bergt hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass nach dem Wortlaut des geplanten Paragraphen 113 TKG etwa auch "jeder Freifunker" und "jedes Café mit WLAN" Verkehrsdaten auf Vorrat speichern müsste. Auch bei diesen handle es sich um "Erbringer öffentlich zugänglicher Internetzugangsdienste". Offen sei, ob darunter zudem Anbieter von Anonymisierungsnetzwerken fielen.

Weitere Unklarheiten könnten sich mit dem geplanten neuen Paragraphen 202d des Strafgesetzbuches zur "Datenhehlerei" ergeben, der eigentlich vorschreiben solle, dass mit den Metainformationen sachgemäß umgegangen werden soll. Das Justizressort orientiert sich dabei weitgehend an einem Antrag des Bundesrats und will den staatlichen Ankauf von Daten über mögliche Steuerbetrüger weiterhin zulassen. Datenschützer können eine Strafbarkeitslücke für personenbezogene Informationen aber nicht erkennen. Sie warnen zudem davor, dass sich die Klausel auf Daten beziehen könnte, die Journalisten zu investigativen Zwecken erlangen oder die Whistleblower öffentlich machen. (anw)