Die "Blockade" der türkischen Medien

Staatspräsident Erdogan ist im Fernsehen überpräsent. Regierungskritische Medien stehen unter Druck. Kurz vor der türkischen Parlamentswahl sieht es düster aus für die Pressefreiheit im Land.

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(Bild: dpa, Karl-Josef Hildenbrand)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Mirjam Schmitt
  • dpa
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"Vor Gericht gestellt zu werden, ist zur Natur des Berufs geworden." Der Satz des türkischen Journalisten Can Dündar hat sich für ihn selbst wieder bewahrheitet. Gegen Dündar wird unter anderem wegen Terrorpropaganda und Spionage ermittelt. Es geht um die Veröffentlichung von Foto- und Videomaterial einer angeblichen Waffenlieferung an Extremisten in Syrien.

Die Verbreitung der Bilder wurde inzwischen verboten. Die Telekommunikationsbehörde forderte Dündars Zeitung "Cumhuriyet" dazu auf, sie von der Website zu löschen. Andernfalls werde man den Zugang blockieren - seit der Verschärfung des Internetgesetzes im Frühjahr ist das ohne vorherigen Gerichtsbeschluss möglich.

Der Fall zeigt, wie es kurz vor den Parlamentswahlen um die Medien in der Türkei bestellt ist. Immer wieder werden Inhalte zensiert oder Journalisten angeklagt. Gleichzeitig sind Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan überpräsent auf den Bildschirmen.

Das Fernsehen spielt im türkischen Wahlkampf eine wichtige Rolle. Mitglieder der Rundfunkbehörde RTÜK kritisierten kürzlich in einer Mitteilung, dass einige Fernsehkanäle ausschließlich Reden von Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu übertragen.

Ali Öztunc ist einer der vier Unterzeichner der Erklärung und sein Urteil fällt deutlich aus: "In der Türkei sind die Medien in keiner Weise frei", sagt er. Journalisten stünden unter politischem Druck. Öztunc war früher selbst Journalist unter anderem beim Sender NTV. Er sitzt für die Oppositionspartei CHP in der Rundfunkbehörde. Vier Ratsmitglieder werden von der Opposition gestellt, fünf von der AKP. Ihre Aufgabe ist es, den Rundfunk zu koordinieren und zu kontrollieren. Etwa könnte die Behörde Fernsehsender rügen, wenn sie einer Partei mehr Sendezeit einräumen.

Öztunc kritisiert, RTÜK sei nur formal unabhängig. Rügen würden durch die AKP-Mitglieder blockiert. Auf der anderen Seite werde kritische Berichterstattung mit hohen Geldstrafen geahndet, die "nicht gerechtfertigt" seien. So geschehen etwa bei den regierungskritischen Gezi-Protesten im Sommer 2013.

Nach Meinung von Öztunc geht es bei all dem um den Machterhalt der AKP: "RTÜK schwebt wie das Damokles-Schwert über den Herausgebern. Die Absicht dahinter ist, das politische System und die politische Führung zu schützen und aufrecht zu erhalten", sagt er. Der Journalist und Buchautor Mustafa Hos sieht das ähnlich: "Die AKP kann so erfolgreich sein, weil sie die Medien unter Kontrolle hat."

Die Struktur der türkischen Medien macht diese zusätzlich anfällig für staatlichen Einfluss. Die Zeitungen und Fernsehkanäle gehören nur wenigen großen Konzernen. Die sind noch in anderen Branchen wie der Industrie und dem Energiemarkt aktiv und oft abhängig von staatlichen Aufträgen. Viele Konzerne stehen der AKP nahe, wie die Calik Holding, die durch die Turkuvaz Media Gruppe im Besitz der Zeitung "Sabah" und des Senders ATV ist. Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak saß lange im Vorstand der Calik Holding.

Der Konzern Dogan besitzt ebenfalls viele wichtige Publikationen, wie die Zeitung "Hürriyet" und den Sender CNN Türk. Die Medien sind regierungskritisch, doch auch sie sind anfällig für staatlichen Einfluss. Dem Dogan Konzern wurden zudem immer wieder hohe Steuerstrafen auferlegt. Kritiker werten diese als politisch motiviert. Erdogan selbst greift Dogan in seinen Reden immer wieder scharf an.

Die türkische Führung ist trotz aller Kritik der Meinung, dass die Pressefreiheit in der Türkei gewährleistet sei. Der Europaminister Volkan Bozkir sagte vergangene Woche auf einer Pressekonferenz in Istanbul, Journalisten hätten "alle Freiheit, alles zu schreiben".

Journalist Hos ist ehemaliger Programmverantwortlicher des Senders Kanal 24 und arbeitete später bei NTV. Die direkte Einflussnahme habe er selbst miterlebt. "Bei jeder Zeitung, in jedem Sender gibt es Leute, deren einzige Aufgabe es ist, uns zu überwachen. Das ist schlimmer als in Russland", sagt er. Passe die Nachricht der Regierung nicht oder würden Reden von Erdogan oder Davutoglu nicht sofort übertragen, sei ein Anruf aus Regierungskreisen sicher.

Aus Angst ihre Arbeit zu verlieren, beugten sich die Chefs dem Druck. Alles drehe sich im täglichen Geschäft um die Frage, welchen politischen Einfluss die Nachricht habe. Die Folge sei Selbstzensur, die Hos als "Verbrechen" bezeichnet.

Hos selbst zog radikale Konsequenzen. Zurzeit arbeitet er nicht, weil er unter den Bedingungen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, wie er sagt. "Ich bin seit mehr als 20 Jahren Journalist, aber so schlimm wie heute war es noch nie." Der Druck habe in der letzten Regierungszeit der AKP noch zugenommen. Journalisten dürften keine Fragen mehr stellen. Das mediale Bild bestimme Erdogan. Regierungskritische Berichterstattung werde blockiert. ()