Big Data soll den Fracking-Boom am Leben halten

Der sinkende Ölpreis hat die Ölförderung aus Schieferschichten in den USA ausgebremst. Moderne Rechentechnik soll sie wieder anschieben.

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Von
  • Richard Martin

Der sinkende Ölpreis hat die Ölförderung aus Schieferschichten in den USA ausgebremst. Moderne Rechentechnik soll sie wieder anschieben.

Die Anzahl aktiver Ölquellen in den USA ging auch im Mai erneut zurück. Der niedrige Ölpreis sorgt mehr und mehr dafür, dass die Betreiber ihre Produktionsstätten zumindest temporär schließen. Seit Ende Mai 2014 fiel der Wert von 1.536 auf 646 in Betrieb befindliche Anlagen – ein Minus von 58 Prozent laut der Analysefirma Platts.

Der niedrige Ölpreis und die schrumpfende Zahl aktiver Ölquellen, heißt es in den Medien blank, könnte das Ende des Fracking-Booms in den USA bedeuten, der bis Anfang 2015 dazu geführt hatte, dass fast 10 Millionen Barrel pro Tag gefördert wurden.

Allerdings muss das nicht stimmen, meinen Experten: Wer bereits den Tod der "Schieferöl-Revolution" ausrufe, vergesse nämlich, dass es einen parallel verlaufenden Trend gebe. Der niedrige Ölpreis sorge für deutlich mehr Innovationen im Ölsektor. Und die haben das Ziel, die Ölmenge pro Anlage zu steigern und dabei die Kosten zu reduzieren.

Ablesen lässt sich das unter anderem an der Tatsache, dass zwar die Zahl aktiver Förderanlagen deutlich zurückgegangen ist, die Produktionsmenge an sich aber gleich blieb – beziehungsweise sogar stieg. Im Eagle-Ford-Gebiet, einer großen Schieferölformation im Süden von Texas, fiel die Produktion im April 22 Prozent höher aus als im gleichen Monat des Jahrs 2014, schreibt Platts.

Einige Beobachter sehen denn auch schon eine zweite Welle technischer Innovationen in der Schieferöl-Branche, die gleichwertig mit dem "Boom 1.0" ausfällt oder diesen sogar übertrifft. Dieser basierte noch auf horizontalen Bohrverfahren und dem berühmten Fracking. "Schieferöl 2.0" setzt dagegen auf Fortschritte bei der Datenanalyse. Denn: Die Firmen nutzen zunehmend Big-Data-Methoden, um ihre Ölquellen besser auszunutzen, wie es in einem Bericht des Manhattan Institute ("Shale 2.0") heißt.

Die Branche ist auch aus einem einfachen Grund besser dran: Übung macht den Meister. Die Gewinnung von Kohlenwasserstoffen in "engen", geologisch komplexen Formationen bedeutet, dass sehr viele Quellen gebohrt werden – deutlich mehr als bei konventionellen Ölfeldern. Das Bohren tausender Quellen seit dem Beginn der Schieferöl-Revolution im Jahr 2006 erlaubt es den Produzenten – von denen viele relativ klein und daher flexibel sind – gewonnene Erkenntnisse schneller umzusetzen als die Konkurrenz in der konventionellen Ölindustrie.

Dieses "High Iteration Learning", wie Judson Jacobs, Seniordirektor des Bereiches Upstream-Analyse bei der Energieforschungsfirma IHS es nennt, bedingt auch noch etwas anderes: Den Umstieg auf sogenannte "Walking Rigs", die sich von einem Ort zum nächsten verschieben lassen, um mehrere Bohrlöcher gleichzeitig auszubeuten. Fortschritte bei Bohrköpfen und der verwendeten Fracking-Flüssigkeit aus Wasser, Spezialsand und Chemikalien sorgen ebenfalls für mehr Effizienz. Viele Anlagen werden zudem mittlerweile in Echtzeit ferngesteuert.

Gleichzeitig haben Produzenten gelernt, wann sie Pausen einlegen sollten. Mehr als die Hälfte der Kosten einer Schieferölquelle fällt in der Fracking-Phase an, wenn es darum geht, die unter Druck stehende Flüssigkeit in die Erde zu pumpen, um das Gestein zu knacken. Dies nennt man auch "Well Completion" – und Hunderte Quellen in den USA sind bereit dafür, warten aber noch auf einen höheren Ölpreis, der es wirtschaftlich lohnenswert macht. Verschiedene Ölfirmen-Manager glauben, dass ein Anstieg des Ölpreises auf 65 Dollar pro Barrel (Anfang Juni stand er bei 62,92 Dollar) den erhofften Produktionsschub bringen wird. Das könnte dabei helfen, dass die USA Saudi-Arabien als denjenigen Produzenten ersetzt, der seine Ölförderkapazität schnell anfahren und wieder stoppen kann – in Reaktion auf Preisveränderungen.

Die wirkliche Revolution steckt aber nicht in Bohrhardware oder verbesserten Abläufen, sondern in den gewonnenen Daten, meinen Experten. Dank neuer Sensortechnik entstehen bei modernen unkonventionellen Bohrungen enorme Informationsmengen, die bis zu einem Megabyte pro US-Fuß betragen, der gebohrt wird, heißt es im "Shale 2.0"-Bericht des Manhattan Institute. Pro Ölquelle fallen zwischen 1 und 15 Terabyte an, je nach Länge der in den Boden eingebauten Rohrsysteme. Mit der Datenflut lässt sich die Lage des Bohrkopfes optimieren, bessere Erdkarten können erstellt und höhere Produktions- und Transporteffizienzen genutzt werden. Zudem kann man besser voraussagen, wo die nächste spannende Formation liegt. Viele Ölfirmen investieren mittlerweile soviel Geld in IT und Datenanalyse wie in die konventionelle Ölsuche und die Produktion.

Gleichzeitig gibt es zahlreiche neue Öl-Start-ups wie Ayata, FracKnowledge oder Blade Energy Partners, die neue Analysetechnik für traditionelle Ölfirmen anbieten, die sich in dem Bereich nicht auskennen. Frühe Ansätze, Datenanalysesysteme in die Industrie zu bringen, seien gescheitert, so Judson Jacobs von IHS: "Die Ölfirmen stellten ein Paar Data Scientists ein, um ihnen beizubringen, als Erdölingenieure zu arbeiten. Das klappte nicht so gut. Die neue Idee ist es, Ölingenieure mit technischen Experten zusammenzubringen, die die analytische Leistung liefern. Wir 'verheiraten' beide Gruppen."

BP aus Großbritannien schuf beispielsweise 2012 ein neuartiges "Entscheidungsanalysenetzwerk", das nun mehr als 200 Menschen beschäftigt. Dort sucht man nach neuen Big-Data-Ideen und passenden Anwendungsmöglichkeiten im Konzern.

Wenn diese und ähnliche Initiativen erfolgreich sind, könnte moderne Rechentechnik den Schieferöl-Boom verlängern und in andere Länder bringen. IHS sagt in einem Bericht voraus, dass die in den USA gewonnenen Erkenntnisse bis zu 141 Milliarden zusätzliche Barrel in Regionen wie China, Iran, Russland oder Mexiko erschließen könnten. (bsc)