Die Jahresendfrage

2007 – das war das Jahr, in dem der Klimawandel in die Weltpolitik zurückkehrte. Vorerst folgenlos. Kann der globale Kapitalismus noch die Kurve bekommen und "nachhaltig" werden?

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Von
  • Niels Boeing

2007 – das war das Jahr, in dem der Klimawandel in die Weltpolitik zurückkehrte. Und das gewissermaßen mit Brief -– nämlich dem vierten Klimareport des IPCC – und Siegel – dem Friedensnobelpreis für IPCC und Klimaschutz-Agitator Al Gore. Australien, mit den USA der letzte westliche Kioto-Protokoll-Verweigerer, änderte seinen Kurs nach dem Wahlsieg der Labor-Partei und ratifizierte das Protokoll.

Wenn wir allerdings realistisch sind, werden Bericht und Nobelpreis das einzige sein, was vom „Klimajahr“ 2007 bleibt. Wirklich einschneidende Maßnahmen zur Verminderung von Treibhausgasemissionen werden, wie auch in den Jahren zuvor, nicht folgen. Die Chance dazu wäre auf der Klimakonferenz auf Bali dagewesen. Herauskam, dass man weiter reden wird. Mehr nicht.

Udo E. Simonis hat das Scheitern von Bali in Anspielung auf Jared Diamonds Analyse kollabierender Kulturen im Freitag kürzlich so beschrieben: „Die Weltgesellschaft hat mit dem Klimawandel ein gravierendes Problem, dessen Ursachen sie nicht wahrhaben will und dessen Folgen sie nicht voraussieht; sie unternimmt keine hinreichenden Anstrengungen, das Problem zu lösen und Teile der politischen Eliten schotten sich vom eindeutigen Urteil der Wissenschaft ab.“

Sehr pointiert. Aber etwas fehlt noch.

Der Kapitalismus ist ja durchaus ein lernfähiges System, wenn es darum geht, seinen Fortbestand zu sichern. Innere und äußere Bedrohungen sind schnell integriert und in neue Märkte oder Produktionsweisen verwandelt worden. Der Sarkasmus der Pop Art wurde zur neuen Warenästhetik umgemünzt, der kulturelle Frontalangriff der 60er im Hedonismus von ökonomischen "Leistungsträgern" gebannt. Eins der letzten Beispiele ist das Anti-Lohnarbeitsethos der früheren Autonomen, das als Ein-Mann-Ein-Laptop-Betrieb des digitalen Bohemiens zur kapitalistischen Tugend geworden ist.

Kohlendioxidkonzentrationen oder global gemittelte Temperaturen sind nun keine Bedrohungen, für die der gegenwärtige Kapitalismus irgendein Sensorium hätte. Sie sind einfach zu abstrakt. Jeder langhaarige oder vollbärtige Querulant ist konkreter – deshalb schreitet ja auch der Aufbau etwa des europäischen Überwachungsstaates so rasant voran, zugleich kreiert er neue Märkte – die Schnüffelei erfordert Maschinen – und scheint dabei keiner etablierten Branche unvertretbare Zusatzkosten aufzubürden.

Der Kapitalismus wird den Klimawandel erst dann als Bedrohung wahrnehmen können, wenn erste konkrete Folgen sichtbar werden, auf denen sich „Produkte“ oder „Dienstleistungen“ aufsetzen lassen. Darauf werden wir ja möglicherweise nicht mehr so lange warten müssen.

Meine Vermutung: 2012, wenn der fünfte IPCC-Bericht rauskommt und das Kioto-Protokoll endet, wird das Thema Prävention – also Verhinderung des Schlimmsten und wenigstens Stabilisierung der Treibhausgasemissionen – Schnee von gestern sein. Ab jetzt wird das Pendel hin zum „Management des Klimawandels“ ausschlagen.

Denn eigentlich fehlt mindestens hierzulande die kritische Masse, um Klimaschutz/Prävention wirklich noch massiv voranzutreiben: etwa bei den Verbrauchern, die gerade zu Hunderttausenden zu den billigstmöglichen, aber nicht zu den CO2-ärmsten Stromanbietern wechseln; etwa bei der Autoindustrie, die die EU-Ankündigung strengerer CO2-Grenzwerte pro Kilometer als Arbeitsplatzvernichtung bezeichnet; oder bei der Bundesregierung, die sich erst vor kurzem angesichts ihres ehrgeizigen Klimaschutzpakets auf die Schultern geklopft hatte und jetzt Richtung Brüssel geifert, es gehe gegen deutsche Autos.

Das alles geschehen in den letzten Wochen, am Ende eines Jahres, in dem wirklich ausreichend von der Dramatik des Klimawandels die Rede war.

Die spannende Frage, die Jahresendfrage gewissermaßen, ist für mich: Wenn der Kapitalismus also erst beim Thema „Anpassung“, im unmittelbaren Angesicht des Klimawandels und nicht schon bei seiner Möglichkeit darauf anspringen kann – wird er sich auch diesmal wie Münchhausen an seinem Schopfe herausziehen? Anders formuliert: Ist ein „nachhaltiger Kapitalismus“ möglich? Für die eine oder andere ernst gemeinte Antwort wäre ich dankbar. (wst)