Anders Fernsehen

Wer schon einmal mit einem digitalen Videorekorder gespielt hat, will schnell nicht mehr ohne: Merkwürdig eigentlich, dass sich Bequem-TV-Geräte wie Tivo in Deutschland noch nicht durchgesetzt haben.

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Fernsehen in Deutschland in seiner aktuellen Form ist so ziemlich das am wenigsten interaktive, was man sich vorstellen kann: Man schaltet zumeist hin und her, bis man etwas gefunden hat, das einen interessiert, und bleibt dann dabei (zumindest bis zur nächsten Werbepause). Die wenigsten Zuschauer machen sich dabei die Mühe, vorher eine Programmzeitschrift zu lesen und gezielt auszuwählen - vorm TV will man sich eben berieseln lassen.

Dabei geht es längst anders und vor allem besser: Digitale Videorekorder, kurz DVRs, sind bereits seit mehreren Jahren auf dem Markt. Doch merkwürdigerweise hat sich die Technik, die etwa in den USA gar ein eigenes Verb hervorgebracht hat ("to tivo" - Aufnehmen mit dem gleichnamigen DVR), hier zu Lande noch nicht weitläufig durchgesetzt.

In seiner einfachsten Form bietet ein DVR die Möglichkeit, das aktuelle TV-Programm anzuhalten und im bereits aufgenommenen Material beliebig vor und zurück zu spulen - mit der gleichen, hohen Qualität. Am besten sind dabei die DVRs, die alles aufnehmen, also auch den Umschaltprozess: So kann man dann beispielsweise die "Heute"-Nachrichten von vor einer Stunde im ZDF ansehen, während man den DVR längst auf den "Tatort" in der ARD eingestellt hat, den man später schauen wollte.

Mit dieser auch Time-Shifting genannten Funktion wird Fernsehen ganz anders: Man schaltet den DVR einfach kurz vor der interessanten Sendung ein und schaut sich dann vielleicht eine Viertelstunde später an, was es gab. Ist schon ein bisschen Videomaterial im Zwischenspeicher (der eigentlich nie groß genug sein kann, man hat ja den Tag über besseres zu tun), überspringt man danach beliebig Programmstellen, die einen nicht interessieren - etwa Werbeblöcke. Es gibt DVR-Benutzer, die ihr Gerät so den ganzen Abend über auf ihrem Lieblingskanal eingestellt lassen, um dann am nächsten Tag nur die Sendungen auszuwählen, die wirklich interessieren.

Ergo: Selbst Time-Shifting ohne große weitergehende Logik oder Programmführertechnik verändert den TV-Konsumenten fundamental, weil man nicht mehr passiv auf den Schirm starren muss, wenn einen etwas nicht interessiert. Man spult dann einfach vor.

Doch DVRs können noch mehr - insbesondere, wenn sie eine gute Programmführersoftware enthalten. So kann man sich beim populärsten US-Gerät Tivo etwa alle Episoden einer Serie automatisch auf die Festplatte speichern lassen oder sich Vorschläge holen, was vielleicht anhand bestehender Programmvorlieben interessant wäre. Außerdem haben aktuelle Tivo-Modelle mindestens zwei Tuner - man kann also eine Sendung aufnehmen, während eine andere bereits läuft. (Immer mehr für den PC erhältliche DVR-Karten können das übrigens auch.)

Der ultimative DVR wäre wahrscheinlich der, der alle gewünschten Kanäle gleichzeitig aufzeichnen könnte (also z.B. mindestens 100 Empfangsteile besitzt), um sie dann beliebig zu navigieren - "on demand". Bei der britischen BBC experimentiert man bereits mit einem solchen Gerät, das allerdings enorme Speichermengen braucht, wenn man eine adäquate Bildqualität haben möchte.

Aber auch schon mit einem ganz normalen DVR entwickelt sich aus einem bestehenden Medium mit neuer Technik ein deutlich verbessertes. Wer schon mal einen DVR hatte, will bald nicht mehr zurück - bei Freunden ohne ein solches Gerät sucht man auf der Fernbedienung dann immer die Vorspultaste. (wst)