Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Eine Renaissance der Atomkraft steht meiner Meinung nach nicht an – und das nicht nur, weil der erste europäische Reaktor-Neubau nach den Tschernobyl-Desaster mittlerweile 18 Monate hinter dem Zeitplan liegt.
Große Aufregung an der Medienfront: Merkel bereitet Comeback der Atomkraft vor" titelt Spiegel Online bereits kurz nach dem Ende des dritten Energiegipfels im Kanzelamt. Schöne Schlagzeile, aber krass übertrieben. Eine Renaissance der Atomkraft steht meiner Meinung nach nicht an – und das nicht nur, weil der erste europäische Reaktor-Neubau nach den Tschernobyl-Desaster mittlerweile 18 Monate hinter dem Zeitplan liegt.
Wieso ich mir da so sicher bin? Ich kann es mir an dieser Stelle sehr einfach machen und zitieren, was der werte Kollege Tom Schimmeck in der Januar-Ausgabe von Technology Review geschrieben hat: "Ist eine Renaissance der Atomkraft trotz aller Probleme möglich? Die politische Großwetterlage begünstigt die Verfechter der Atomenergie: die hoch gespannte Lage in den ölreichen Ländern des Nahen Ostens, der rapide wachsende Energiehunger Chinas und Indiens und der immer deutlicher sichtbar werdende Klimawandel (TR 12/06). Vor allem der letzte Punkt spielt Atomkraft in die Hände: Die „volle nukleare Energiekette“ von der Urangewinnung bis zur Lagerung der Abfälle emittiert nur ein bis sechs Gramm Kohlenstoff pro Kilowattstunde, erklärte Alan McDonald von der IAEO. Damit liegt Atomstrom fast gleichauf mit Wind- und Sonnenenergie.
Im Jahr 2000 rief die US-Regierung zudem das „Generation IV International Forum“ ins Leben; unter dessen elf Mitgliedern sind Länder wie Kanada und Südkorea sowie der Verbund Euratom, zu dem auch Deutschland gehört. Ziel ist die Entwicklung von Reaktoren der „vierten Generation“, die alle Probleme weginnovieren: Das Atomkraftwerk der Zukunft soll hoch effizient sein und inhärent sicher, kaum noch Müll erzeugen und nicht zur Proliferation von Atomwaffen beitragen. Sechs Konzepte gelten als besonders vielversprechend: Durch Gas, Natrium oder Blei gekühlte schnelle Brutreaktoren, der Salzschmelze-Reaktor, der superkritische Leichtwasserreaktor und der gasgekühlte Hochtemperaturreaktor. Auch an der Idee der Transmutation – der Umwandlung extrem langlebiger Isotope in kurzlebige – wird weiter geforscht. Das 6-Milliarden-Dollar-Programm für die Entwicklung der sechs Konzepte soll bis 2030 erste Prototypen präsentieren. Allerdings: Selbst wenn eine der Visionen Wirklichkeit werden sollte, wäre doch keine von ihnen „in der Lage, alle Ziele gleichzeitig zu erfüllen“, warnen die MIT-Experten in ihrer Studie.
Letztlich werden aber nicht Gammastrahlen, Terrorgefahr oder das Müllproblem den Ausschlag geben. „Von allen Faktoren, die ein echtes Wachstum der Kernenergie im 21. Jahrhundert berühren, sind die Kosten der wichtigste“, urteilt John Ritch, Generaldirektor der WNA. Abschreckend sind vor allem die Startinvestitionen: Der Bau eines Atomkraftwerks kostet pro Kilowattstunde zwischen 1500 und 2200 Dollar. Standardisierung könnte den Betrag auf 1200 Dollar drücken, aber ein Gaskraftwerk kostet nur die Hälfte. Erst mit langem, störungsfreiem Betrieb kommen die deutlich niedrigeren Brennstoffkosten zum Tragen. In der Zwischenzeit aber drohen politische Wechsel, Störfälle und Konkurrenz durch andere Technologien – alles Faktoren, die prospektive Atomkraftwerksbetreiber zur Sicherheit zweimal rechnen lassen." (wst)