Nano? Nanoe!

Wie japanische Haushaltsgerätehersteller mit für Westler befremdlicher Spitzentechnologie die Kundschaft zu immer neuen Einkäufen bewegen.

vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling

Haben Sie schon einmal von so genannten Minus-Ionen gehört? In Deutschland scheint dieser Trend noch in der esoterischen Ecke zu schweben. Laut meiner Stippvisite im Internet sollen die wundersamen negativ geladenen Teilchen hier zu Lande vor allem aus Armbändern aufsteigen und ihre gestressten und von bösen positiven Ionen bombardierten urbanen Träger erfrischen.

In Japan hingegen sind Minus-Ionen bereits seit der Jahrtausendwende ein absolutes Marketing-Muss für Haushaltselektronik- und selbst Autohersteller. Staubsauger, die nur saugen, Klimaanlagen, die nur die Luft kühlen, Föne, die nur die Haare trocknen, sind in Japan kaum noch verkäuflich. Sie müssen mindestens gleichzeitig die Raumluft mit einer Anionen-Brise in Meeres- oder Waldluft verwandeln.

(Einige dieser Produkte sind inzwischen auch schon in Deutschland zu finden: Ein Luftreiniger von Sharp, ein Braun-Haartrockner und ein Panasonic-Fön. Beworben werden sie hier zu Lande allerdings kaum.)

Während sich in japanischen Städten in der Raumluft oft nur 500 Minus-Ionen pro Kubikzentimeter finden, rechnen die Vermarkter vor, vitalisieren auf dem Land 1000 bis 2000 negativ geladene Ionen in einem Kubikzentimeter Atemluft die Menschen, im Gebirge 3000 und an Wasserfällen und in der Meeresbrandung gar bis zu 50000. Die gerne als "Vitamine der Luft" bezeichneten Teilchen sollen demnach neben Allergien, Asthma oder Heuschnupfen auch Ängste, Depressionen und Stresssymptome lindern. Denn In der Raumluft freigesetzt, binden die guten Ionen nun böse Pollen und Bakterien und reinigen so die Luft.

Ich will hier nicht die Validität der Behauptungen diskutieren und auch nicht, dass die "Waldluft aus der Steckdose" bei einigen Erzeugungsmethoden auch Atemwegs reizendes Ozon mit in die Raumluft pustet (wobei die Geräteanleitungen in Japan dann erwähnen, dass die Konzentration unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte läge). Mir geht es nur um das Phänomen, wie Japans beinharter Wettbewerb zwischen einem runden Dutzend von Haushaltsgeräteherstellern aus Marketing-Gründen neuen Techniken zum Massendurchbruch verhilft.

Wie sehr, zeigt die japanische Wikipedia-Ausgabe. Unter "Ma-i-na-su-i-o-n" diskutiert ein Aufsatz mit mehr als 17.000 Zeichen und fast 50 Fußnoten Geschichte, Mythos und Wirklichkeit des Phänomens. Bereits in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre begannen danach Unternehmen, Minus-Ionen-Quellen in ihre Geräte einzubauen. Den Höhepunkt erreichte die Hype bereits 2002. Seither hat sich die Bewegung verselbständigt. Inzwischen widmen sich neben den Herstellern zwei mehr oder weniger wissenschaftliche Organisationen der Aufgabe, immer neue Anwendungsgebiete für Ionen zu entdecken.

Ein neues Produkt ist beispielsweise eine elektrische Zahnbürste von Matsushita Electric Industrial (besser bekannt unter Panasonic), die dem Zahnbelag mit Minus-Ionen zu Leibe rücken will. Der Hightech-Zahnreiniger erzeugt am Bürstenkopf eine kleine elektrische Spannung. Von der Bürste freigesetzte Minus-Ionen sollen die elektrische Bindung von Zahnbelag und Zähnen senken und so der Bürste die Reinigung erleichtern.

Doch da Minus-Ionen inzwischen jeder Hans und Franz verwendet, toppte Panasonic die Rivalen und drückt mit hohem Werbeaufwand "Naneo-Ionen" in den Markt. In der Wortschöpfung der Marketing-Abteilung ist alles enthalten, was in Fortschritts-affinen Gesellschaften wie den ostasiatischen irgendwie gut klingt. "Nano" für Nanotechnologie, "e" für Elektronik, schließlich ist man ja ein Elektronikhersteller, und als gewohnter Aufhänger für die Kunden das Schlagwort Ionen. Während Braun und Panasonic auf ihren deutschsprachigen Seiten die Verbraucher mit wenigen Worten über Ionen abfertigen, informiert Panasonics daheim auf fünf ausführlichen Internetseiten über Nanoe-Ionen.

Geduldig erklärt dort der zuständige Forscher Toshiyuki Yamauchi interessierten Testerinnen unterstützt mit netten Grafiken, Fotos und handgemalten Bildchen in einem Gespräch, dass sich wissenschaftlich gesehen hinter den Nanoe-Ionen die elektrostatische Zerstäubung von Wasser in 20 Nanometer große Tropfenverbirgt. An die Zerstäubereinheit werde eine Spannung von 6000 Volt angelegt, sagt Yamauchi an einer Stelle. Diese Nanoe-Ionen enthalten laut dem Konzern 1000 mal mehr Wasser als ein Minus-Ion und weisen statt einem neutralen PH-Wert von 7 mit einem PH-Wert von 5,5 den der Haut auf. Außerdem vernichteten sie besonders gut schlechte Gerüche und bänden natürlich weit besser als das gemeine Minus-Ion Schmutz, Pollen und Viren - also all den Horror verwöhnter, urbaner Wohlstandskinder.

Zuerst wurde die Technik in Föne eingebaut, die der Konzern mit einem Preis von fast 100 Euro rund 30 Euro teurer - und trotzdem vielleicht sogar besser - als einen Minus-Ionen-Fön der Konkurrenz verkaufen kann. Kein Wunder, dass Panasonics Haushaltsgerätesparte zu den profitabelsten der Welt gehört. Vorige Woche folgten ein Luftreiniger, ein Luftbefeuchter und ein Luftreiniger-Befeuchter. Am 21. August wird mit der Serie "Nanoe-Care" die nächste Vermarktungsstufe gezündet. Auf den Zusatz "Ionen" meint der Konzern offenbar inzwischen verzichten zu können.

Befremdlich ist dieser technische Fortschrittsdrang vielleicht für deutsche Leser. Auch ich zweifle, ob der Preis den Nutzen rechtfertigt und rubbele mir weiter die Haare trocken. Aber gleichzeitig sehe ich einen Sinn darin. Denn die Verspieltheit und schnelle Umsetzung neuer Technologien trägt mit dazu bei, die asiatischen Elektronikkonzerne agil und wettbewerbsfähig zu halten. Das ist im Übrigen auch gut für deutsche Spitzenforscher. Denn in der Nanotechnologie sitzt ein wachsender Teil ihrer lukrativen Kunden in Japan. (wst)