Kolumne: Zur Insolvenz von Leo Computer

Nach Maxdata hat gestern ein zweiter deutscher PC-Hersteller Insolvenz anmelden müssen: Leo Computer in Appenweier. Für Heise-resale-Kolumnist Damian Sicking Anlass, ein Plädoyer für eine wichtige Personengruppe zu halten: die Bedenkenträger.

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Von
  • Damian Sicking

Lieber Leo-Geschäftsführer Torsten Duffner,

Sie mussten gestern für das Unternehmen Leo Computer (Umsatz 2006: 43 Millionen Euro, 400.000 Euro Gewinn, rund 100 Mitarbeiter) Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit anmelden. Das ist bitter. Nach Maxdata schon der zweite deutsche PC-Hersteller, der innerhalb weniger Wochen zu diesem Schritt gezwungen war.

In einer Stellungnahme übernahmen Sie die volle Verantwortung für die Schieflage des Unternehmens. Nun kann man fragen: Wer sonst? Sie sind schließlich der Chef. Aber in den Teppichetagen unserer Unternehmen hat es sich eingebürgert, für eigene Versäumnisse und Fehlentscheidungen gerne einen Subalternen verantwortlich zu machen und ihn auch gleich zu köpfen. Dieses Verhalten unserer Wirtschaftskapitäne erinnert mich immer an den Dreijährigen, der sich in die Hose gemacht hat und mit treuem Augenaufschlag seiner Mutter schwört "Das war ich nicht."

Die Chefs können und müssen vieles delegieren, aber eines können sie nicht delegieren: die Verantwortung. Aus diesem Grunde ist der Chef die wichtigste Person in einem Unternehmen. In jedem Unternehmen. Darüber kann man nicht ernsthaft diskutieren. Die wirklich spannende Frage lautet daher: Wer ist der zweitwichtigste Mensch in einem Unternehmen?

Ja, wer ist der zweitwichtigste Mensch in einem Unternehmen? Der Vertriebsleiter? Der kaufmännische Leiter? Die Chefsekretärin? Die Frau vom Chef? Oder gar der Betriebsratsvorsitzende? Nach meiner Meinung ist das wie in der Politik. Wer ist – nach dem Bundeskanzler beziehungsweise der Bundeskanzlerin – der zweitwichtigste Mensch im Bundestag? Ganz eindeutig: der Oppositionsführer. Zum einen, weil der Oppositionsführer die Personifizierung der demokratischen Staatsform ist, zum anderen aber auch, weil der Oppositionsführer der größte Kritiker des Kanzlers und der Regierung ist. Der Oppositionsführer ist quasi von Amts wegen der oberste Bedenkenträger der Nation. Denn er hat aus Prinzip Bedenken, dass das, was der Kanzler und sein Kabinett beschließen, zum Wohle des Volkes ist.

In den Unternehmen ist es nicht viel anders. Auch hier ist die zweitwichtigste Person der Bedenkenträger. Der Unterschied zur Politik besteht darin, dass der Bedenkenträger im Unternehmen der Regierung angehört oder zumindest dasselbe Parteibuch besitzt.

Bekanntlich hat der Bedenkenträger ein ganz schlechtes Image, es liegt ungefähr mit dem des Erbsenzählers auf einer Stufe (allerdings steigt das Ansehen guter Erbsenzähler in diesen harten Zeiten rapide an). Diese Diskreditierung des Bedenkenträgers ist ungerecht, kleingeistig und dumm.

Der Bedenkenträger ist wichtig, und zwar für den Erfolg der Firma. Warum? Weil sein wesentlicher Job darin besteht, Fehlentscheidungen zu vermeiden. Der Bedenkenträger ist in einem Unternehmen derjenige, der die Courage hat, dem Chef Contra zu geben. Der die Entscheidungen des Chefs in Frage stellt. Der dazu mahnt, die Sache, um die es geht, auch von der anderen Seite zu betrachten und dies dann auch tut. Der Bedenkenträger ist der, der schlicht und ergreifend "zu bedenken gibt", der also Argumente ins Feld führt, die zu beachten sind, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Wichtig: Der Bedenkenträger ist nicht zu verwechseln mit dem Miesmacher und dem Pessimisten. Mit denen hat der Bedenkenträger nichts gemein, nur das schlechte Image.

Übrigens braucht man den Bedenkenträger auch in schlechten Zeiten. Ja man braucht ihn vor allem in schlechten Zeiten. Denn in guten Zeiten kann sich ein Unternehmen eine falsche Entscheidung viel eher leisten als in schlechten.

Stellt sich die Frage, wer in einem Unternehmen die Funktion des Bedenkenträgers übernehmen kann. Eine wichtige Voraussetzung ist zweifellos, dass er über die relevanten Informationen verfügt. Daher muss er nahe an den Personen sein, welche am Ende des Tages die Entscheidungen treffen. Der Bedenkenträger kann auch ein Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsführung sein, das wäre sogar eine ideale Konstellation. Bedenkenträger kann aber auch der Aufsichtsrat, der Beirat oder ein Mitglied des Managements sein. Der Bedenkenträger kann auch heute dieser, morgen jener Mitarbeiter sein.

Nur eine Person darf auf keinen Fall der Bedenkenträger sein: der Chef selbst! Der Chef muss ein Macher sein, ein Gestalter, mit Mut, Ideen und mit Tatkraft. Aber der Chef, zumindest der gute Chef, weiß auch, wie wichtig der Bedenkenträger für den Erfolg des Unternehmens ist. Denn der Bedenkenträger ist derjenige, der den Chef vor sich selber schützt. Deshalb duldet der Chef den Bedenkenträger, deshalb hält er ihn aus, auch wenn er ihm immer wieder auf die Nerven geht, deshalb ist er sogar froh, dass er einen Bedenkenträger hat in seinem Unternehmen.

In seinem Buch "Die 10 Gebote für ein gesundes Unternehmen" schreibt der Unternehmensberater und Geschäftsführer des SchmidtCollegs, Cay von Fournier: "Der größte Kostenblock in einem Unternehmen sind nicht die Mitarbeiter, sondern die Fehlentscheidungen des Managements." Gerade aus diesem Grund ist der Bedenkenträger wichtig, ist ein offenes Klima in den Unternehmen notwendig, ein Klima, in dem Mitarbeiter ohne Angst vor negativen Konsequenzen ihre Kritik an Managemententscheidungen anbringen dürfen.

Lieber Herr Duffner, ich kenne die Verhältnisse bei Leo Computer zu wenig, um mir ein Urteil darüber anzumaßen, was genau zu dem jetzigen Schlamassel geführt hat. Ich weiß nicht, ob Sie einen Bedenkenträger an Ihrer Seite hatten oder nicht. Was aber feststeht, ist, dass sich einfach viel zu viele Manager für so toll halten, dass sie sich von anderen nichts sagen lassen. Beratungsresistent nennt man so etwas. Ein großer Fehler, der viele Unternehmen immer wieder teuer zu stehen kommt.

Ich drĂĽcke den Mitarbeitern von Leo die Daumen, dass alles gut wird.

Mit den besten GrĂĽĂźen

Damian Sicking

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