Arbeitnehmer in Deutschland: "Die Ansprüche wachsen im Quadrat ihrer Erfüllung"

Gerade ist wieder eine Studie über die große Unzufriedenheit der Angestellten mit ihren Arbeitsplätzen erschienen. Gähn! Wie langweilig! Nicht die Arbeit ist das Problem, sondern unsere Erwartung und unser Anspruch an sie.

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Von
  • Damian Sicking

Lieber DGB-Chef Michael Sommer,

sicher kennen Sie das 1985 erschienene Buch "Wir amüsieren uns zu Tode" des inzwischen leider ebenfalls verstorbenen amerikanischen Wissenschaftlers Neil Postman. In diesem Buch widmet sich Postman unter anderem dem zunehmenden Anspruch der Menschen, alles müsse Spaß und Vergnügen bringen. Was dies nicht tue, sei bäh. Beispiel Schule: Unter Pädagogen und Eltern, kritisierte Postman, greife immer mehr die Meinung um sich, Schule und Lernen müsse Spaß machen. Alles, was mit Anstrengung verbunden sei, gehöre verboten. Für Postman ein kompletter Bullshit und eine kollossale Fehlentwicklung. Denn wenn unsere Kinder nur bespaßt werden und nicht lernen, dass man viele Dinge im Leben schlicht und ergreifend einfach tun und erledigen muss, auch wenn man dabei kein Vergnügen, sondern im Gegenteil vielleicht sogar Anstrengung oder Langeweile empfindet, dann werden diese Kinder lebensuntauglich. Denn Leben, so Postman, bedeute eben nicht nur Spaß, sondern vor allem auch Anstrengung, Entbehrung und Verzicht.

DGB-Chef Michael Sommer

(Bild: DGB)

Wie komme ich heute auf Postman? Ganz einfach, weil der Deutsche Gewerkschafts Bund (DGB) wieder eine dieser mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Studien über die Zufriedenheit oder besser Unzufriedenheit der Arbeitnehmer an ihren Arbeitsplätzen auf den Markt geworfen hat. Zum wievielten Mal eigentlich erfahren wir, dass eine Mehrheit – in diesem Fall sind es rund zwei Drittel der 8.000 Befragten – mit ihren Jobs unzufrieden sind? Vor allem monieren sie, dass sie zu viel Stress und dafür zu wenig Geld sowie zu wenig Freizeit haben. Ganz ehrlich, lieber Herr Sommer, diese Studien hängen mir zum Halse raus. Es ist wie mit der Schule bei Neil Postman: Nicht die Arbeit ist das Problem, sondern unsere Erwartung bzw. unser Anspruch. Wenn wir mit einer Erwartungshaltung an die Arbeit gehen, dass sie uns Spaß machen soll, dann können wir nur enttäuscht werden. Denn Arbeit ist Anstrengung, Entbehrung und Verzicht. Niemand bezahlt uns dafür, dass wir Spaß haben, sondern dass wir Leistung und Ergebnisse erbringen. Wenn wir die dafür erforderliche Arbeit gerne tun – hey, umso besser, was für ein Glück für uns! Aber wenn wir unsere Arbeit nur erledigen, sofern und so lange sie uns Spaß macht, was geschieht dann mit der Arbeit, wenn der Spaß verloren geht? (In einem Zeitungsinterview antwortete Bayer-Chef Werner Wenning kürzlich auf die Frage, ob es ihm Spaß machen würde, noch länger Bayer-Chef zu sein: "Es geht nicht um meinen Spaß, sondern um eine gute Entwicklung für unser Unternehmen." That´s it!)

Ich bin ziemlich sicher, dass das Ergebnis der DGB-Umfrage, wenn wir sie vor 100 oder 200 Jahren durchgeführt hätten, nicht viel anders ausgesehen hätte. Nur waren die Arbeitsbedingungen damals unter objektiven Kriterien sicher deutlich schlechter als heute (in manchen Regionen auf dem Globus sind sie allerdings auch heute noch so miserabel wie bei uns damals). Und ich wage die Behauptung, dass sich die Zufriedenheit der Angestellten in 100 Jahren auch nicht großartig verbessern würde. Den Grund nennt der DGB auf der Homepage "DGB-Index Gute Arbeit" selbst: "Gut ist eine Arbeit, die den Ansprüchen der Beschäftigten gerecht wird", heißt es da. Klingt gut, wenn man das so liest. Allerdings hat das mit den Ansprüchen seine ganz besondere Bewandtnis. Die Ansprüche nämlich wachsen im Quadrat ihrer Erfüllung. Und weil das so ist, sind wir nie zufrieden. Dann finden wir es irgendwann unerträglich, dass uns der Arbeitgeber zwar kostenlos Apfelschorle auf den Schreibtisch stellt, aber keine Cola-light, dass wir zwar eine Klimaanlage im Büro haben, uns das Zimmer aber mit dem blöden Schulze teilen müssen, dass der Chef uns zwar in die Entscheidungsfindung einbindet, uns aber letzte Woche in dem Meeting nicht lobend erwähnt hat.

Wie gesagt: Vielfach ist die Arbeit nicht das Problem, sondern unsere Haltung ihr gegenüber. Letztlich ist Arbeit nichts anderes als das, was getan werden muss.

Was mich besonders nervt an den Leuten, die immer über ihre Arbeit, ihren Arbeitgeber, ihren Chef, die Arbeitsbedingungen, die miese Bezahlung und alles andere jammern, ist, dass sie dies mit einer unglaublichen Ausdauer über Jahre hinweg tun können, ohne irgendetwas zu ändern. Sie ändern nichts an ihrer Haltung ("love it"), sie ändern nichts an den Umständen, die sie so plagen ("change it"), und vor allem tun sie auch nichts, um sich dieser Situation zu entziehen ("leave it") – außer hin und wieder mal krank zu feiern. Diese Passivität und dieses Phlegma machen mich wahnsinnig.

Es ist doch so: Wie die DGB-Studie ausweist, ist jeder Dritte mit seinem Job unzufrieden. So groß kann der Leidensdruck dann aber doch wohl nicht sein. Denn sonst hätten wir sicher mehr Leute, die aus ihren Job aussteigen und ihr eigenes Ding machen. Gerade konnten wir lesen, dass Deutschland bei der Zahl der Firmengründer unter 18 vergleichbar entwickelten Ländern den vorletzten Platz einnimmt. Nur 1,4 Prozent der 18- bis 64-Jähringen ist gegenwärtig dabei, eine Firma zu gründen, weitere 2,4 Prozent haben sich in den vergangenen dreineinhalb Jahren selbstständig gemacht. Aber zwei Drittel der Arbeitnehmer sind mit ihrer Arbeit unzufrieden. Klar, meckern und jammern ist ja auch viel einfacher als die Anstrengung und das Risiko einer Firmengründung oder der Selbstständigkeit.

Aber vielleicht sieht es mit der Zufriedenheit der Arbeitnehmer ja doch gar nicht sooo schlecht aus, wie die DGB-Studie behauptet. Eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kommt nämlich zu deutlich anderen und vor allem deutlich besseren Ergebnissen. Danach sind die Mitarbeiter "zufriedener als gedacht". Acht von zehn der im Jahr 2006 insgesamt 37.000 Befragten gaben an, mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein. Als "sehr zufrieden" bezeichneten sich danach 31 Prozent, 40 Prozent sagten, sie seien "ziemlich zufrieden" mit ihrer Arbeitssituation. Knapp zwei Drittel gaben sogar an, stolz auf ihren Arbeitgeber zu sein. Wenn man sich fragt, wie diese Ergebnisse und die der DGB-Studie zusammenpassen, landet man irgendwann bei dem berühmten Satz, der dem ehemaligen britischen Premierminister Winston Churchill zugeschrieben wird: "Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe."

Beste Grüße

Damian Sicking

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