"Da wird falsch gedacht"

Mit genauesten Zielgruppendefinitionen wollen soziale Netzwerke große Reklamegelder einnehmen. Der Online-Werbespezialist Stephan Noller sieht in der von Nutzern verhassten Technik nicht nur eine Gefahr für den Datenschutz – sie lohne sich schlicht nicht.

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Stephan Noller ist Vorstand Produkt & Technologie beim Berliner "Behavioral Targeting"-Spezialisten Nugg.ad, der Werbetreibenden anhand von Vorhersagemodellen ein genaueres Erreichen ihrer Zielgruppe ermöglichen will, kleinteilige Profile aber ablehnt. Zuvor war der Datenanalyse-Experte unter anderem in der Online-Marktforschung tätig.

Technology Review: Herr Noller, als Online-Werbespezialist müssten Sie sich ja eigentlich über die vielen neuen Möglichkeiten freuen, die die sozialen Netzwerke bieten. Tun Sie das wirklich?

Stephan Noller: Ja und nein. Ich bin selbst begeisterter Nutzer mehrerer solcher Netzwerke und habe durchaus einen Mehrwert aus der sich ergebenen Vernetzung. Ich ärgere mich allerdings über dumme Angebote, die tolldreist die Nutzerprofile zur Vermarktung freischalten wollen – wie zum Beispiel das Modell, das Facebook kürzlich vorgestellt hat.

Denn an sich ist man in einem sozialen Netzwerk potenziell sehr nah an wirklich relevanten Empfehlungen dran – das was Werbung sein könnte, wenn sie gut wäre. Die besten Empfehlungen kommen nämlich tatsächlich von unseren Freunden und Bekannten. Es fehlt aber noch das Modell, um dieses Potential zu nutzen, ohne dabei den Ärger der User hervorzurufen.

TR: Bei Facebook und demnächst auch beim deutschen Pendant StudiVZ soll man Werbung bis in die kleinste Zielgruppe hinein schalten können. Funktioniert das?

Noller: Kleinste Zielgruppen zu buchen könnte theoretisch tatsächlich funktionieren, zum Beispiel wenn ein Dessous-Laden regional werben will. Doch schon an diesem einfachen Beispiel tun sich Probleme auf: Sollen Frauen oder Männer angesprochen werden? Werden die Leute überhaupt "Dessous" als Interesse in Ihr StudiVZ-Profil eintragen? Und wenn ja – werden das diejenigen sein, die tatsächlich am Kauf von Dessous interessiert sind? Man sieht also: So einfach wie das klingt, ist es nicht – selbst wenn es überhaupt keine Datenschutzbedenken gäbe. Tatsächlich ist das meiste, was in den Profilen von sozialen Netzwerken steht, untauglich für Werbeschaltungen, zumindest wenn man die Werbung direkt darauf abstimmen will.

TR: Wollen Mediaagenturen und große Werbekunden derart genaue Nutzerdaten? Man hört von den Verlagen immer, die Nachfrage sei sehr groß.

Noller: Nein. Und zwar aus einem einfachen Grund: Es rechnet sich schlicht nicht, Werbung an derart feingliedrige und kleine Gruppen auszuliefern, denn die Werbung muss ja geplant, erzeugt und gesteuert werden. Das rechnet sich selbst bei Massenkampagnen manchmal nicht.

Mikrokampagnen wären daher ein reines Verlustgeschäft für diese Player. Außerdem funktioniert Werbung so gar nicht – Werbung muss an Massen ausgeliefert werden und das oft bewusst unscharf. Denn das Bedürfnis soll ja erst geweckt werden. Oder es soll ein sehr unterschwelliges Bedürfnis angesprochen werden (zum Beispiel nach fettarmer Salami).

TR: Hätten Sie sich vorstellen können, dass die Datenerhebung zu Werbezwecken im Internet einmal so weit gehen könnte?

Noller: An sich ist das keine Überraschung. Wenn Sie im Baumarkt an einem Gewinnspiel teilnehmen, machen die meisten auch ein Häkchen bei "Meine Daten dürfen zu Marketingzwecken verwendet werden" – wenn es eine Hoffnung gibt, einen neuen Akkuschrauber zu gewinnen. Von Kundenkarten mal ganz zu schweigen. Man muss sich als Werbetreibender halt überlegen, ob man solche Spielchen treiben will, die Frage ist durch das Internet nicht neu aufgekommen. Ich persönlich denke, dass gute Werbung so etwas nicht nötig hat.

TR: Ihr Unternehmen Nugg.ad setzt selbst auf so genanntes "Targeting" zur möglichst genauen Erfassung der Zielgruppe. Ist das denn weniger verwerflich?

Noller: Ja, davon bin ich überzeugt. Natürlich sind auch wir nicht die Caritas und wollen letztlich unseren Kunden helfen, Werbung intelligenter auszuliefern. Das kann man aber tun, ohne auch nur im entferntesten Missbrauch mit den Daten der Kunden zu betreiben. Die Werbeindustrie hat schlicht kein Interesse an irgendwelchen persönlichen Daten.

Das was unsere Maschinen errechnen, um die Werbung intelligent auszuliefern, ist meilenweit davon entfernt irgendwie personenbeziehbar zu sein – es handelt sich um rein statistische Profile. Die sind für die Werbung sogar viel brauchbarer als "echte" Profile wirklicher Personen, weil wir damit mehr Kontrolle über die Inhalte haben und die Profilierung auch bei Massendaten funktioniert.

TR: Es ist immer wieder zu hören, dass der Werbemarkt im Internet boomt. Dennoch kann er mit den Umsätzen, die mit Reklame in traditionellen Medien generiert werden, noch immer nicht mithalten. Wird das eines Tages anders sein? Oder wird Internet-Werbung immer billiger bleiben, weil die Werbeflächen potenziell unendlich sind?

Noller: Das Wachstum der Internet-Werbung ist unstrittig und ungebrochen – die Kräfteverhältnisse verschieben sich da ganz klar. Online hat bereits die Gattung Plakat überholt, im nächsten Jahr wird das Radio dran sein und der Platzhirsch Fernsehen muss erstmals seit Jahrzehnten rückläufige Umsätze vermelden.

Letztlich wird die Werbung vor allem da hingehen, wo die Leute sind. Und das ist nicht mehr nur bei jungen und männlichen Zielgruppen immer mehr das Internet. Man denke hier nur an Seiten wie Stardoll.com, die jugendliche Mädchen als Zielgruppe ansprechen. Wenn jetzt Werbung im Internet auch noch die Vorteile des Mediums nutzt und intelligenter wird als klassische Werbung, wird dieser Trend nur noch beschleunigt.