Magischer Halbleiter-Stoff

Das exotische Material Graphen beschäftigt Forscher seit Langem. Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass es tatsächlich Silizium ablösen könnte.

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Das exotische Material Graphen beschäftigt Forscher seit Langem. Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass es tatsächlich Silizium ablösen könnte.

Dieser Text ist der Print-Ausgabe 4/2008 von Technology Review entnommen Das Heft kann man noch immer hier online portokostenfrei bestellen.

Hongjie Dai, Chemieprofessor an der Stanford University, hat mit seinem Team einen neuen chemischen Prozess demonstriert, mit dem sich enorm dünne Stränge aus dem auf Kohlenstoff basierenden Material Graphen erzeugen lassen. Gleichzeitig konnte Dai zeigen, dass diese Bänder in einer Transistorschaltung exzellente elektrische Eigenschaften haben, wie sie bislang nur theoretisch vorhergesagt worden waren. Die Entdeckung dürfte den Rummel um das exotische Material noch weiter verstärken, für das sich bereits jetzt Forscher bei IBM, HP und Intel interessieren. Denn letztlich könnte es einen weitaus leistungsfähigeren Ersatz für das Standard-Halbleitermaterial Silizium liefern.

Graphen ist eng verwandt mit Grafit, wie es beispielsweise in schnöden Bleistiften verwendet wird. Aber Graphen besteht nur aus jeweils einer einzigen atomaren Lage von Kohlenstoff - ein Graphen-Plättchen ist also so etwas wie ein der Länge nach ausgerolltes Kohlenstoff-Nanoröhrchen. "Bis vor wenigen Jahren sind wir davon ausgegangen, dass so etwas gar nicht existiert", sagt Andre Geim von der University of Manchester, dessen Gruppe 2004 erstmals Graphen-Plättchen hergestellt hat.

Was die Wissenschaftler besonders fasziniert: Graphen ist ein zweidimensionales Material in einer dreidimensionalen Welt - der Leitungsmechanismus für elektrische Ladungen funktioniert bei ihm deshalb komplett anders als bei allen bekannten Metallen und Halbleitern.Das hat interessante Folgen: Die Ladungsträgerbeweglichkeit, die unter anderem die Schaltgeschwindigkeit eines elektronischen Bauteils definiert, liegt theoretisch bei 20.0000 Quadratzentimetern pro Voltsekunde. "Das ist magisch", schwärmt Geim, "um Größenordnungen mehr als bei allen anderen existierenden Materialien." Graphen-Transistoren könnten so bis zu tausendmal schneller sein, als es die heutige Siliziumtechnik erlaubt.


Allerdings hat Graphen einen gravierenden Nachteil. Obwohl ein Graphen-Transistor an- und ausgeschaltet werden kann, ist der Unterschied zwischen dem Strom im gesperrten und im leitenden Zustand ("An/Aus-Kennzahl") nicht besonders hoch. Im Gegensatz zu Silizium, das sich vollkommen abschalten lässt, überträgt Graphen also auch im "Aus"-Zustand noch Elektronen. Ein Chip aus Milliarden solcher Transistoren würde dadurch massiv Energie verschwenden und deshalb kaum praktikabel sein. Geim hält Transistoren aus Graphen deshalb "für das am wenigsten wahrscheinliche Szenario einer Anwendung". Stattdessen ließe sich das Material als extrem gut leitende, transparente Beschichtung für Solarzellen verwenden oder als Ersatz für das teure Indiumzinnoxid, aus dem Leiterbahnen auf den Glasträgern von Displays gefertigt werden.


Andere Forscher verfolgen allerdings schon seit Längerem die Theorie, dass sich die An/Aus-Kennzahl verbessert, wenn Graphen-Blätter in Bänder von nur wenigen Nanometern Breite geschnitten werden. Erste Erfolge damit hatten Forscher bei IBM und der Columbia University, doch ihre Werte erreichten nie die von Silizium. Dais Gruppe hat nun erstmals in der Praxis solche Effekte beobachtet.
Dais Schlüssel zum Erfolg ist die Produktionsmethode: Statt der üblichen lithografischen Verfahren verwendete der Forscher eine chemische Lösung. Dazu begann er mit Grafit-Flocken, die aus übereinandergestapelten Graphen-Blättchen bestehen. Dann führte er Schwefel- und Salpetersäure-Moleküle chemisch zwischen diesen Flocken ein und erhitzte sie mit hoher Geschwindigkeit, sodass die Säure verdampfte und die Graphen-Blätter auseinandergetrieben wurden. "Das erinnert an eine Explosion. Die Blätter trennen sich, und das Grafit dehnt sich um das 200-fache aus", erzählt Dai.
Im nächsten Schritt hängte Dai die Graphen-Blätter in eine Lösung und setzte sie Ultraschallwellen aus. Diese Wellen zerbrachen die Blätter in kleinere Stücke. Überraschenderweise entstanden dadurch aber keine Flocken, sondern dünne und sehr lange Bänder - das dünnste davon war weniger als zehn Nanometer breit und mehrere Mikrometer lang.

Nachdem Dai erste Transistoren mit diesen Bändern geschaffen hatte, registrierte er einen An/Aus-Quotienten von 100.000 zu 1 - sehr attraktiv für Prozessoren. Zuvor lag die Kennziffer bei experimentellen Graphen-Bändern nur bei 30 zu 1. Bevor sich allerdings wirklich Chips mit der Technologie herstellen lassen, müssen noch viele Hürden genommen werden. So müssten die Bänder aus Dais Prozess zunächst sortiert werden, um zu große oder falsch geformte Teile zu entfernen. Außerdem muss ein Weg gefunden werden, die Bänder in die passende Form für komplexe Schaltkreise zu bringen.


Erste Lösungskonzepte gibt es bereits. So besitzen Graphen-Bänder deutlichere Bindungen an ihren Kanten, sodass sich dort chemische Moleküle anlagern ließen, um sie mit anderen Bauteilen zu verbinden. Eine weitere Methode kennt Peter Eklund, Physikprofessor an der Penn State University: Graphen lässt sich in großen Blättern züchten. Mit optimierten Lithografie-Techniken ließen sich die benötigten Bandstrukturen möglicherweise in sie hineinätzen - mitsamt den Schaltkreisen, versteht sich. (bs)