"Der physische Körper fällt weg"

Richard Bartle, vor 30 Jahren Co-Erfinder des ersten Mehrspieler-Games "MUD", spricht im Technology Review-Interview über Spieledesign als Kunstform - und warum die Politik die Spieler noch immer nicht versteht.

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Inhaltsverzeichnis

Richard Bartle, 48, lehrt an der University of Essex Spieledesign, berät Spielehersteller und entwickelt selbst neue Games. 1978 erfand er zusammen mit Roy Trubshaw das erste Multiplayer-Spiel "MUD", auf das fast alle Online-Rollenspiele zurückgehen. Technology Review unterhielt sich mit Bartle auf der "The Philosophy of Computer Games"-Konferenz in Postdam.

Technology Review: Herr Professor Bartle, was spielen Sie selbst gerade?

Richard Bartle: Wenn Sie Multiplayer-Online-Games (MMOs) meinen – dann keines. Natürlich werde ich "World of Warcraft: Wrath of the Lich King" spielen, wenn es herauskommt. Wenn ich da dann einen, zwei oder vielleicht drei Figuren auf Level 80 hochspielen muss, ist das schon okay. Ich muss mir ja schließlich meine Glaubwürdigkeit bewahren.

Normalerweise spiele ich aber keine MMOs, weil ich mich selbst als Spiele-Designer begreife. Meinen Spaß ziehe ich daraus, zu verstehen, wie ein Game aufgebaut ist. Manchmal beneide ich die Spieler aber auch darum, dass sie die Magie noch sehen können.

TR: Sie sind also der Mann hinter dem Vorhang?

Bartle: Wenn man da mal dahintergegangen ist und gesehen hat, wie all diese Zaubertricks funktionieren, will man sie nicht noch einmal sehen. Das ist so, als ob man in einer Schokoladenfabrik arbeitet, dann mag man auch keine Süßigkeiten mehr, kann sie nicht einmal mehr riechen. So ähnlich ist das. Einige Spieleerfinder sagen, sie könnten ihren Designer-Hut ablegen. Andere verstehen gar nicht, von was ich rede, weil sie eigentlich gar keine guten Designer sind. Je besser man Spiele gestalten kann, desto mehr Freude bezieht man aus diesem Prozess.

TR: Bezieht man nicht auch eine Befriedigung daraus, die Spieler dann in der eigenen Welt herumlaufen zu sehen?

Bartle: Es kommt darauf an, welche Motivation man hat, solche virtuellen Welten überhaupt zu schaffen. Für mich sind sie ein Ort, an dem Menschen die Freiheit haben, so zu sein, wie sie wirklich sein wollen, wo sie sich selbst finden können. Das an sich ist schon enorm befriedigend. Darüber würde ich aber mit Spielern nicht reden wollen, höchstens mit anderen Designern oder meiner Frau, weil es etwas arrogant klingt. Außerdem mögen die Spieler es nicht, wenn sie das Gefühl bekommen, manipuliert zu werden, im Game ganz bestimmte Erfahrungen zu machen, von denen ich als Designer bestimmt habe, dass sie Spaß bringen soll.

Wenn das wirklich so wäre, hätten sie damit ja auch Recht: Ihr seid nur Schachfiguren in meinem großen Kunstwerk! Was ich machen will, ist, Gamern einen Weg aufzuzeigen, wie sie sich selbst besser kennenlernen können. Wenn man seine Schwächen und Stärken kennt und Dinge über sich erfährt, die man bislang nicht wusste, kann das einfach nur fantastisch sein.

Im echten Leben ist man vielleicht klein oder einem fehlt ein Finger oder man hat die Asperger-Krankheit und findet keinen Zugang zu anderen Menschen. In der virtuellen Welt behandeln die anderen Spieler einen trotzdem als gleichwertig. Das alleine ist schon mal gut. Aber vielleicht respektieren mich die anderen dann sogar aufgrund dessen ganz besonders, was ich im Spiel sage und tue. Niemand wird mich dort zurückweisen, weil ich mit einem bestimmten Akzent spreche oder das falsche Geschlecht oder falsche Alter habe.

TR: All diese Hemmnisse lassen sich also ablegen.

Bartle: Der physische Körper fällt weg. Natürlich gilt das nicht immer – wenn man keine Hände hat, kann man auch nicht tippen. Aber grundsätzlich trennt sich hier der Körper vom Geist. Wenn das passiert, ist der Geist derjenige Teil des Menschen, der die wichtigste Rolle spielt. Ich habe schon Menschen erlebt, die sich völlig verändert haben, als ihnen dadurch ihr wirkliches Potenzial klar wurde. "Die Dinge müssen nicht so bleiben, wie sie sind, weil ich nicht derjenige bin, für den ich mich hielt. Ich bin besser."

Natürlich ergeben sich daraus auch Gefahren. Wenn jemand ein Fiesling ist, wird er nach dem Spielen dieser Games im echten Leben ein noch besserer Fiesling sein. Insgesamt bin ich aber davon überzeugt, dass die meisten Leute keine Fieslinge sind. Der Mensch an sich ist meiner Meinung nach normalerweise so viel besser als das, was zu sein er in seinem Leben gezwungen wird. Das Gute ist erreichbar. Deshalb schaffe ich virtuelle Welten. Darüber hinaus ist es so enorm spannend, mit einer leeren Leinwand anzufangen. Diese Phase der Vorproduktion genieße ich besonders.