Stadt-Allometrie mit Computerhilfe

Lebt es sich in einem Ballungsraum gesünder oder auf dem Land? Belgische Forscher nutzen Methoden aus der Data Science, um Gesundheitssysteme zu vergleichen.

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  • TR Online

Lebt es sich in einem Ballungsraum gesünder oder auf dem Land? Belgische Forscher nutzen Methoden aus der Data Science, um Gesundheitssysteme zu vergleichen.

In den letzten Jahrzehnten begreifen immer mehr Wissenschaftler Städte als "lebende" Organismen, deren Aktivitätsmuster sich über 24-Stunden-Abschnitte erstrecken – abhängig von der Größe einer Metropole.

Dies führt zu einem neuen Wissenschaftszweig, der die Allometrie, also die Lehre von der Beziehung zwischen Größe und Ausprägung eines Organismus, auf Städte überträgt. Untersucht wird dabei, wie sich die verschiedenen Aspekte des Lebens mit der Bevölkerungszahl eines Ballungsraums verändern, in dem sie ablaufen.

Luis Rocha von der Universität Namur in Belgien nutzt die dabei entwickelten Verfahren mit einer Prise Data Science nun, um zu untersuchen, wie stark sich Städtegrößen auf die Gesundheit ihrer Bewohner auswirken. Dabei ergaben sich einige überraschende Erkenntnisse.

Es steht außer Frage, dass Städte mehr sind als die Summe ihrer Teile. Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Stadtplaner wissen aber schon lange, dass viele Aspekte des Stadtlebens nicht linear mit der Größe eines Ballungsraums skalieren.

Beispielsweise sind Einkommen und wirtschaftliche Leistung einer Stadt superlinear – größere Städte haben einen größeren ökonomischen Output pro Einwohner als kleine. Im Gegensatz dazu wächst die Straßenfläche mit der Stadtgröße sublinear. Andere Faktoren wachsen dagegen weitgehend strikt linear, etwa die Zahl der Arbeitsplätze, der Behausungen und die Menge des Wasserkonsums.

Ein besseres Verständnis für diese Korrelationen wird immer wichtiger. Schließlich leben mehr und mehr Menschen in Städten. Überall auf der Welt wachsen die Metropolen, während ländliche Regionen Bewohner verlieren. Die Menschen gehen in die Ballungsräume, um ihr Glück zu suchen.

Ein wichtiger Faktor dabei ist die Gesundheit. Rocha und seine Kollegen untersuchten daher, wie sich dieser Bereich mit zunehmender Städtegröße verändert und ob Menschen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit krank werden, Unfälle erleiden, ihr Wohlbefinden sich verringert.

Bei ihrer Studie nutzten die belgischen Forscher die Gesundheitsdaten von Stadtbewohnern in Brasilien, Schweden und den USA. Verfügbar waren Statistiken zu Herzinfarkten, Diabetes, Geschlechtskrankheiten, Suiziden, Autounfällen, Vergewaltigungen, häusliche Gewalt und mehr.

Das Ergebnis ist interessant. So zeigte sich, dass die Rate von Infektionskrankheiten wie Chlamydia oder Meningitis superlinear mit der Städtegröße wächst, während die Menge an Herzinfarkten mit Todesfolge sublinear verläuft. Mit anderen Worten: In einer größeren Stadt bekommt man eher eine Grippe und stirbt seltener an einem Infarkt.

Die Gründe dafür sind nicht schwer zu erraten. Menschen in größeren Städten haben generell mehr Kontakt mit mehr Menschen und sind so Infektionskrankheiten stärker ausgesetzt. Gewaltverbrechen wachsen ebenfalls überdurchschnittlich, weil es mehr Menschen auf engerem Raum gibt. Die Suizidrate ist dagegen geringer – warum genau, ist nicht ganz klar. Möglicherweise nutzen Menschen in großen Städten soziale Netzwerke besser und erhalten mehr direkte Unterstützung.

Gleichzeitig sind größere Städte auch Magneten für Spezialkliniken und die darin beschäftigten Experten. So bekommt man bei einem Herzinfarkt eine bessere Versorgung. Die Menschen haben auch einen leichteren Zugriff auf gesünderes Essen und sind so aktiver, was eine geringere Diabetes-Rate erklärt. Möglicherweise gibt es aber in Städten auch eine bessere Diagnostik, so Rocha und Co.

Wo die genauen kausalen Zusammenhänge liegen, bleibt aber im Dunkeln. Das könnten mehr und genauere Daten aufdecken, die sich die Forscher in den künftigen Jahren erhoffen. ()