Von der Börse an die Steckdose

Noch in diesem Jahr kommen die ersten intelligenten Stromzähler auf den deutschen Markt. Das dürfte nicht nur einen heilsamen Einfluss auf das Konto der Kunden haben, sondern auf die gesamte Stromversorgung.

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Noch in diesem Jahr kommen die ersten intelligenten Stromzähler auf den deutschen Markt. Das dürfte nicht nur einen heilsamen Einfluss auf das Konto der Kunden haben, sondern auf die gesamte Stromversorgung. Denn die Zunahme von Wind-, Solar- und anderen nicht ständig verfügbaren Technologien zur Stromerzeugung droht einen wachsenden Anteil fluktuierender Leistung im System zu erzeugen. Wie sehr profitieren Versorger und Verbraucher von der neuen Technik?

Manchmal kann auch die Lektüre von Bundestagsdrucksachen aufregend sein. Am 6. Juni verzeichnete der Deutsche Bundestag unter dem eher spröden Titel „Gesetz zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für den Wettbewerb“ (Bundestagsdrucksache 16/8306) eine Gesetzesvorlage, die auf dem deutschen Energiemarkt eine Informationsrevolution anzetteln wird. Sie verspricht nicht weniger als Sparen auf Knopfdruck – und zwar online und in Echtzeit.

Ab 2010 nämlich muss der Vorlage zufolge jeder Neubau mit einem so genannten „intelligenten Stromzähler“ ausgerüstet werden, der dem Stromkunden völlig neue Einblicke in sein Verbrauchsverhalten bietet – und damit auch völlig neue Energiesparmöglichkeiten. Ab 2011 sind die Energieversorger zudem dazu verpflichtet, auch von der Tageszeit oder dem Energie-Angebot abhängige Tarife anzubieten – der Festpreis für Strom ist damit Geschichte. Technisch wäre es dann erstmals überall möglich, Stromverbraucher wie Wasch- oder Spülmaschine so zu programmieren, dass sie nur dann laufen, wenn der Strompreis tief genug ist.

Das hätte nicht nur einen heilsamen Einfluss auf das Konto der Kunden, sondern auf gesamte Stromversorgung. „Durch die Zunahme erneuerbarer Energien und anderer dezentraler Technologien in der Stromerzeugung haben wir einen wachsenden Anteil fluktuierender Leistung im System“, sagt Annegret Agricola, Bereichsleiterin Energieeffizienz im Elektrizitätsbereich bei der Deutschen Energieagentur dena. Flexible Tarife würden helfen, die Nachfrage besser an das schwankende Angebot anzupassen. Eine groß angelegte Studie des Beratungsunternehmens wik-Consult und des Fraunhofer Verbund Energie hat weitere – zumindest theoretische – Vorteile solcher Konzepte aufgelistet: existierende Kraftwerke würden besser ausgelastet; beim Ablesen und Wartung der Zähler würden Kosten gespart; die uneffizienten Gaskraftwerke, die zur Bereitstellung der so genannten „Regelenergie“ bei Stromknappheit in Minuten angefahren werden können, müssten seltener anspringen.

Doch wie viel der Anreiz wirklich bringt, müsse nun erst einmal in der Praxis ermittelt werden, meint Agricola: „Sehr oft wird in der öffentlichen Diskussion Smart Metering mit Energie-Einsparungen gleich gesetzt. Das ist falsch. Die Technologie bietet erst mal nur das Potenzial zur Energieeinsparung.“

Diverse Modellversuche geben allerdings Anlass zu Optimismus: Hierzulande hatten bereits 1992 die Stadtwerke Eckernförde in einem zwei Jahre dauernden Demonstrationsprojekt gezeigt, was technisch machbar ist: 1000 zufällig ausgewählte Kunden hatten dabei einen lastabhängigen Tarif, der sich zwischen 11 und 70 Pfennig pro Kilowattstunde bewegte. Eine in den Haushalten installierten „Stromwertampel“ zeigte mit grünen, gelben und roten Leuchtdioden das momentane Preisniveau an. Im Ergebnis erzielten die Haushalte eine durchschnittliche Energieeinsparung von fünf Prozent pro Jahr.

2007 hatten das Pacific Northwest National Laboratory und IBM im amerikanischen „Gridwise“-Projekt ein System zum automatischen Abgleich von Angebot und Nachfrage getestet. Die rund 120 Teilnehmer wurden in drei verschiedene Gruppen aufgeteilt: Die erste Gruppe wurde dazu angehalten, ihren Verbrauch zu reduzieren, die zweite Gruppe erhielt Echtzeitinformationen zu Stromtarifen und die dritte Gruppe wurde mit automatisierten Haushaltsgeräten ausgestattet, die sich abhängig vom Strompreis an- oder ausschalten konnten. Der Strompreis wurde an einem von IBM entwickelten System generiert, das alle fünf Minuten Angebot und Nachfrage analysierte.

Das Ergebnis: Die Teilnehmer der ersten Gruppe senkten ihren Verbrauch kaum, die der zweiten Gruppe um 25 und die der dritten Gruppe um bis zu 75 Prozent. „Aber das waren natürlich ganz andere Bedingungen als hier“, sagt IBM-Energieexperte Ralf Thiemann. „Da hatten wir die ganz großen Stromfresser wie Klimaanlagen und Poolpumpen“. Für Deutschland schätzt der IBM-Experte allerdings, dass allein die zeitnahe Verbrauchsinformation fünf Prozent Einsparung bringen könnte – „und mit einem automatischen Energiemanagement vielleicht noch einmal fünf Prozent“.

Das „Potenzial der für mindestens eine Stunde verschiebbaren Leistung“ beläuft sich in Deutschland laut der Analyse von wik und Fraunhofer auf immerhin 4,5 Gigawatt – das entspricht der Leistung von drei bis vier großen Kraftwerken; 1,9 Gigawatt davon entfallen auf Industrie und Gewerbe. Diese Lastverschiebung ließe sich auch als Regelenergie verkaufen – für das Stromnetz spielt es schließlich keine Rolle, ob Lastspitzen durch zusätzliche Stromerzeugung oder durch verschobenen Stromverbrauch aufgefangen werden. Ein einzelner Haushalt mit Elektroherd, Waschmaschine, Wäschetrockner und Gefrierschrank könnte auf diese Weise knappe 72 Euro im Jahr erwirtschaften.

„Das sind aber im wesentlich bisher nur Gedankenspiele“, sagt Frank Merten vom Wuppertal Institut. „Was wirklich passiert, ist abhängig davon, was die Netzbetreiber investieren – und natürlich vom Verhalten der Konsumenten“. Um den Effekt auch sehr kleiner Lastverschiebungen beispielsweise wirklich nutzen zu können, sei es notwendig, das Verhalten sehr vieler Verbraucher zu bündeln. Wie sehr einzelne Kunden aber bereit seien, ihr Verbrauchsverhalten von außen steuern zu lassen, müsse man abwarten. Dennoch ist Merten überzeugt, dass Smart Metering „völlig neue Wege“ in der Energieversorgung ermöglichen würde: „Smart Meter erlauben erstmals, auf der untersten Ebene die Lastprofile der Haushalte zu erfassen." Erstmals würde der Strombedarf der Privathaushalte damit nicht theoretisch sondern nach dem tatsächlichen Bedarf geplant. "Ich rechne damit, dass diese Profile dann nach unten angepasst werden müssen", sagt Merten. Die Energieversorger müssten damit weniger Reservekapazität vorhalten. "Da ist schon richtig Musik drin“.

Über die Details, wie dieses Potenzial zu realisieren sei, schweigt sich der Gesetzgeber in Deutschland – anders als beispielsweise in den Niederlanden – allerdings aus. Die EU verpflichtet die Stromlieferanten lediglich, ihren Kunden bis 2012 die Energiekosten monatlich transparent zu machen. Und die Gesetzesvorlage, mit der die deutsche Regierung die EU-Vorgabe in nationales Recht umsetzt, ist recht weich formuliert. So heißt es vor fast allen gesetzlichen Forderungen: „Soweit dies technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar ist.“ Unter dieser Voraussetzung jedoch „haben Messtellenbetreiber ab dem 1. Januar 2010 beim Einbau von Messeinrichtungen in Gebäuden, die neu an das Versorgungsnetz angeschlossen werden oder einer größeren Renovierung unterzogen werden, jeweils Messeinrichtungen einzubauen, die dem jeweiligen Anschlussnutzer den tatsächlichen Energieverbrauch und die tatsächliche Nutzungszeit widerspiegeln.“

Bestehenden Kunden muss ein solcher Zähler zumindest angeboten werden. Zudem gilt: „Sofern der Letztverbraucher dies wünscht, ist der Lieferant verpflichtet, eine monatliche, vierteljährliche oder halbjährliche Abrechnung zu vereinbaren.“ In der zweiten Ausbaustufe kommt dann ein flexibler Stromtarif dazu: „Energieversorgungsunternehmen haben spätestens bis zum 30. Dezember 2010 für Letztverbraucher von Elektrizität einen Tarif anzubieten, der einen Anreiz zur Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzt“, heißt es im Gesetzentwurf, wie er nun vom Bundesrat verabschiedet werden soll. „Tarife im Sinne von Satz 1 sind insbesondere lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife.“

Obwohl es technisch betrachtet sehr viele Möglichkeiten gibt, diese Vorgaben zu erfüllen, wird es in Deutschland wahrscheinlich auf zwei Varianten hinauslaufen: Die eine Schule setzt auf die Vernetzung der intelligenten Zähler mit Hilfe von Powerline (siehe Kasten) – einer Technologie, die ohnehin unter anderem für die Steuerung von Stromnetzen entwickelt worden ist. Die andere Schule setzt auf Breitband-Internet-Anschlüsse beim Kunden, über die der Zähler mit dem Energieversorger kommuniziert. Das spart Kosten und teure Infrastruktur – ist aber nur dort möglich, wo bereits ein Internet-Anschluss vorhanden ist.

In einem Pilotversuch mit 1000 Kunden hat EnBW seit dem vergangenen Sommer Erfahrungen mit einem System auf der Basis von DSL gesammelt: Alle 15 Minuten schickt der Zähler die aktuellen Verbrauchsdaten an die EnBW-Zentrale – falls die Internet-Verbindung zusammenbricht, speichert er die Werte bis zu 60 Tage lang. Auf einer geschützten Internet-Seite kann der Kunde seine Daten statistisch aufbereiten, monatliche Rechnungen, aber auch Prognosen über die Rechnungshöhe bei gegebenen Verbrauchsverhalten erstellen – oder das Verbrauchsverhalten automatisch überwachen lassen. „Sie können zum Beispiel einen Leistungskorridor definieren, etwa eine Grundlast von 3000 bis 5000 Watt“, erklärt EnBW-Projektleiter Jörn Kröpelin. „Wenn das System diesen Korridor verlässt, bekommen Sie automatisch eine SMS oder eine E-Mail.“ Für die Zukunft strebt die EnBW an, mit Haustechnikherstellern wie Miele oder Bauknecht zu kooperieren, damit sich energieintensive Hausgeräte fernsteuern lassen.

Noch in diesem Jahr will das Unternehmen in seinem Versorgungsgebiet für alle Kunden einen intelligenten Zähler mit einem Tag- und einen Nachttarif anbieten. Details über Tarife und Preise wollen die Württemberger nicht verraten – nicht einmal den Starttermin. Der sollte eigentlich schon im Sommer erfolgen – „wir hoffen eben, dass es ein langer Sommer wird", scherzt EnBW-Sprecher Hans Jörg Groscurth. Nur soviel wird angedeutet: Der Spartarif für die Nacht wird einige Cent pro Kilowattstunde niedriger liegen als der Normaltarif.

Bundesweit wird die EnBW-Tochter Yello ebenfalls im Herbst diesen Jahres ein ähnliches auf DSL basierendes Produkt vermarkten. Die Tarife für Tag- und Nachtstrom sollen allerdings nur etwa einen Cent auseinander liegen. Denn anders als EnBW, die ihr eigenes Netz betreibt, hat Yello noch mit den Regularien des Strommarktes zu kämpfen: „Wir müssen, weil wir nicht selber das Netz besitzen, nach einem Standard-Lastprofil einspeisen – egal, wann der Kunde tatsächlich Strom verbraucht“, erklärt Yello-Geschäftsführer Martin Vesper. „Wenn wir jetzt Kunden motivieren, ihren Verbrauch in die Nacht zu verlegen, müssen wir trotzdem nach dem Standard-Lastprofil einspeisen. Der wirtschaftliche Vorteil, den tagsüber eingesparten Strom an der Börse zu verkaufen können, kommt aber nicht uns zu Gute, sondern dem so genannten Bilanzkreis-Verantwortlichen, und das ist in der Regel der örtliche Versorger.“ Man sei „massiv dran“, diese Regeln in Diskussionen mit der Bundesnetzagentur zu ändern, sagt Vesper, „aber das wird keine Sache von zwei bis drei Monaten sein“.

Den größten Modellversuch der Powerline-Schule fährt der Energieversorger RWE in Mülheim. Unter dem Motto „Mülheim zählt“ hat RWE Rhein-Ruhr am 1. Juli ein Pilotprojekt gestartet, bei dem 100.000 herkömmliche Zähler bis Ende 2011 in Mülheim gegen intelligente elektronische Messgeräte ausgetauscht werden. 20 Millionen Euro lässt RWE sich das Projekt kosten – für die Mülheimer Bürger entstehen hingegen keine Kosten.

Bei der Powerline-Kommunikation sammelt ein „Datenkonzentrator“ – beispielsweise im Schaltschrank eines Häuserblocks installiert –periodisch die Daten aller zugeordneten Zähler ein. In bestimmten Abständen, zum Beispiel einmal monatlich, werden die gesammelten Daten dann, weil die Datenrate der PLC-Übertragung zu gering ist, per Mobilfunk (GSM beziehungsweise GPRS) an die Leitstelle übertragen.

Eine unmittelbare Auslesung der Daten auf dem heimischen PC ist in der ersten Projektphase noch nicht möglich. Erst die Zähler der zweiten Generation sollen dann aber über Schnittstellen zu heimischen Computer verfügen. Bis diese Zähler-Generation verfügbar ist, können die Kunden ihren aktuellen Verbrauch nur über ein – noch einzurichtendes – Internetportal einsehen. Eine unmittelbare Kommunikation des Zählers mit intelligenten Haushaltsgeräten ist gegenwärtig allerdings ebenso wenig vorgesehen wie ein lastabhängiger Tarif.

E.On, der dritte große deutsche Versorger, will dagegen verschiedenste Technologien erproben: „Zunächst war nur klar, dass wir keinen DSL- oder Internet-Zugang voraussetzen“, sagt Projektleiter Robert Pflügl. Die bayerische Sektion des Energieversorgers hat erst vor kurzem ebenfalls einen Pilotversuch mit 10.000 Kunden gestartet, der ein bundesweites Angebot von E.On vorbereiten soll. Die erste Stufe im fränkischen Bad Staffelstein setzt, wie bei RWE, auf eine Vernetzung der Zähler per Powerline. „Falls der Kunde kein Internet hat, senden wir ihm den monatlichen Verbrauchsbericht auch per Post zu“, sagt Pflügl. „Inklusive Energiespartipps“. In der zweiten Stufe will E.On das Projekt dann auf ganz Bayern ausweiten, und dabei die verschiedensten Vernetzungen testen – etwa per Mobilfunk. Einen lastabhängigen Tarif bietet das Unternehmen bewusst noch nicht an. Zunächst wolle man auf diese Weise herausfinden, wie viel Sparpotenzial die zeitnahe Information der Kunden bringe. Erst wenn das klar ist, soll ein Spezialtarif eingeführt werden, über den es allerdings noch keine näheren Informationen gibt: „Aber völlig exotisch wird das nicht“, sagt Pflügl.

Welches dieser Systeme sich durchsetzen wird, wird erst der Wettbewerb entscheiden – anders als beispielsweise in Italien, wo der seinerzeit noch staatliche Energieversorger ENEL bereits 2001 rund 30 Millionen Kunden mit smarten Stromzählern ausgerüstet hat. „Die Systemintegration ist der große Knackpunkt“, sagt IBM-Experte Ralf Thiemann. „In Italien war es vergleichsweise einfach. Aber hier in Deutschland wollen wir die Zähler von der Kommunikations-Infrastruktur entkoppeln", da die Politik auf dem liberalisierten Strommarkt "hohe Wechselraten" erwarte, und der Wechsel von einem Stromanbieter zum anderen nicht durch technische Hürden erschwert werden sollte.

Eine Erfahrung, die auch Christoph Schaffer bestätigen kann: Sein Unternehmen ubitronix systems solutions ist gerade dabei, in Linz 100.000 elektronische Zähler einzubauen. „Das wird manchmal etwas verniedlichend dargestellt“, sagt Schaffer. „Das Entscheidende ist aber nicht das neue Feature am Zähler. Entscheidend ist die Frage, nach dem Gesamtsystem. Können Sie gewährleisten, dass die Daten wirklich zur richtigen Zeit da ankommen, wo sie benötigt werden?"

Während die deutschen Energieversorger noch dabei sind, den Stromzähler zu vernetzen, erprobt Schaffers Unternehmen die Technologie bereits für Gas- und Wasserzähler – und verbindet nicht nur Häuser mit Lastmanagement-Modulen, die beispielsweise die Warmwasserbereitung optimieren, sondern auch die Beleuchtung ganzer Straßenzüge. Zwar verwendet ubitronix in Linz auch mit Hilfe von Powerline vernetzte Zähler, auf eine bestimmte Technologie möchte sich Schaffer aber nicht festlegen. Das wichtigste seien offene Schnittstellen und eine gewisse Praxistauglichkeit, sagt Schaffer: „Da gibt es Modems am Markt, die muss ich erst mal eine halbe Stunde von Hand konfigurieren. So etwas kann ich in einem großen Rollout nicht verwenden. Vor allem aber müssen Sie sich vor Augen führen, dass das IT-Systeme sind. Da ändert sich die Technik sehr schnell. Sie müssen das System aber so konstruieren, dass es auch in 20 Jahren noch betrieben werden kann.“

Das ambitionierteste Projekt, das zur Zeit in Deutschland läuft, ist weitaus kleiner dimensioniert: Im Feldversuch der Mannheimer MVV Energie AG sind seit April 2008 20 Pilotkunden nicht nur mit einem vernetzten Stromzähler ausgestattet, sondern dazu noch mit einem „Energie-Butler“ genannten Managementsystem. Der Clou jedoch ist, dass sie einen variablen Strompreis bezahlen, der direkt an den Preisverlauf der Leipziger Strombörse (siehe Kasten) gekoppelt ist. „Der zeitvariable Tarif ist über einen Algorithmus mit dem Preis an der EEX verknüpft. Wir haben einen Faktor eingefügt, um den Preis noch volatiler zu machen, und so einen stärkeren Anreiz für eine Lastverlagerung zu bieten“, erklärt Projektleiter Sebastian Warkentin.

Diesen Preis kann der Kunde jederzeit über ein Online-Portal ablesen und sein Verhalten direkt daran anpassen. Außerdem ließen sich Verbraucher wie Spülmaschine, Waschmaschine oder Trockner automatisch preisabhängig betreiben. Möglich macht das der Energie-Butler. Er empfängt ein Mal am Tag die Strom-Tarife der nächsten 24 Stunden aus dem day ahead-Handel der EEX, um daraus und aus den Vorgaben des Kunden einen kostenoptimierten „Einsatzplan“ zu generieren. Über ZigBee-Funk schaltet der Butler dann Steckdosen ein und aus und verlegt so beispielsweise den Waschgang in die Nacht. „Wir liefern aber nur die Information über den Stromtarif, die Einsatzplanung der Geräte erfolgt vor Ort“, betont Warkentin. „Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, auf die Geräte des Kunden durchzugreifen.“

Sogar Kühl- und Gefrierschränke lassen sich auf diese Weise Kosten sparender betreiben. Denn die Geräte laufen nicht durch, sondern kühlen in mehr oder minder regelmäßigen Zeitabständen etwa alle zwei Stunden für kurze Zeit herunter, erklärt Warkentin: „Wenn der Energie-Butler nun weiß, dass der Strom in einer halben Stunde deutlich teuerer wird, kann er zum Beispiel die Taktung nach vorne verlegen.“ Das erfordert allerdings, einen etwas höheren technischen Aufwand, als nur die Fernsteuerung der Steckdose: In Kühlschrank muss ein ebenfalls über ZigBee angebundener Temperatursensor eingebaut werden, der dem Energiebutler seine Messwerte sendet,

Das System scheint zu funktionieren: „Wir sehen einen deutlichen Trend zum Nachtwaschen“, sagt Warkentin. Im Feldtest bringt das MVV-Konzept hochgerechnet 50 bis 70 Euro pro Jahr weniger an Stromkosten. Für den damit verbundenen technischen Aufwand sei das zunächst nicht viel, räumt der Projektleiter ein. „Aber Sie müssen zwei Megatrends in der Energiewirtschaft berücksichtigen“, argumentiert er. „Zum einen haben Sie eine immer stärkere Einbindung von regenerativen Energien. Und zum anderen haben wir immer mehr dezentrale Energieerzeuger wie etwa Mikro-Blockheizkraftwerke im Netz. Beides wird zu einer höheren Fluktuation im Angebot führen. Und entweder wir passen den Verbrauch an, oder die Strompreise werden noch stärker schwanken.“ (kd)