Mashups: Aus alt mach neu

Junge Musiker, die vorhandenes Songmaterial kunstvoll am Rechner vermischen, wirbeln die Plattenindustrie auf.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Larry Hardesty
Inhaltsverzeichnis

Girl Talk heizt ein: Knapp fünf Minuten nachdem sein Konzert begonnen hat, drängen sich bereits Hundert tanzende Menschen auf der Bühne des "Starlight Ballroom" in Philadelphia. Trockeneisnebel wabert durch den Club, dazu zucken farbige Lichter. Girl Talk selbst, der im echten Leben Gregg Gillis heißt, 27 Jahre alt ist, aus Pittsburgh stammt und ursprünglich Biomediziningenieur gelernt hat, beugt sich über seinen Laptop auf einem Tisch vorne an der Bühne. Knapp 15 Minuten später springt ein junger Mann mit nacktem Oberkörper auf den Tisch und tanzt dort weiter. Ein Kabel von Gillis' Technik löst sich und die Musik verstummt. "Das hilft jetzt wirklich nichts, dass die Leute auf dem Tisch tanzen", sagt Gillis in ein noch funktionierendes Mikrofon hinein und fummelt an den auf den Boden gefallenen Kabeln herum. Buhrufe aus dem Publikum holen den tanzenden Unfallverursacher schließlich von der Bühne.

Solche Probleme kann man schon mal haben, wenn man im Zeitalter der Mashups eine Live-Performance gibt. Die noch junge Kunstform bricht die Grenzen zwischen Künstler und Konsument auf, Girl Talks Show sind das ideale Beispiel. Ein Mashup ist eine digitale Neukombinierung von Musikelementen, die aus verschiedenen Aufnahmen stammen – etwa der Gesangsstimme eines Songs, dem Klavierpart eines zweiten und dem Schlagzeug eines dritten. Einige Beobachter verorten den Ursprung der Technik bei Avantgarde-Experimenten mit Bandmaschinen-Loops in den Siebzigern, andere sehen das Sampling existierender Platten, das durch den Rap ab den Achtzigern bekannt gemacht wurde, als Beginn. Trotzdem sind Mashups ein eindeutiges Phänomen des 21. Jahrhunderts. Schließlich funktioniert die Technik nur deshalb so gut, weil digitale Musikdateien in großer Zahl vorliegen und entsprechende Software-Werkzeuge zu ihrer Manipulation immer besser und billiger werden.

Gillis gehört zu den beliebtesten Mashup-Künstlern der Vereinigten Staaten. Er stellte schon die Vorgruppe von Beck und er trat auf dem Rockfestival "Lollapalooza" auf. Seine MySpace-Seite bekommt mehr Aufrufe als die der Indierock-Helden Wilco. Wenn er auf Tour geht, füllt er große Clubs wie den "Starlight Ballroom", in dem mehr als Tausend Leute tanzend zur Bühne drängten.

Gillis dürfte auch deshalb so populär sein, weil er mit einer enormen Menge an Sample-Material für seine Mashups arbeitet. "Play Your Part (Pt. 1)", der erste Track auf seinem jüngsten Album "Feed the Animals", enthält laut Wikipedia allein 24 Quellen. Der Track beginnt mit Vocals der Hip-Hop-Formation UGK, kombiniert mit einem Instrumentaltrack von "Gimme Some Lovin'" von der Spencer Davis Group. Nach 42 Sekunden ist ein rhythmischer Chor zu hören, der "Pump that shit up" von sich gibt – er stammt von einem gleichnamigen Song. Dann folgen wieder UGK-Reime, dann etwas später hört "Gimme Some Lovin'" auf. Das "Pump that shit up"-Fragment wird geloopt und ist dann über einem Drumsample eines R&B-Songs von Cupid aus Louisiana zu hören. Die Stimme verstummt, das Schlagzeug geht weiter. Dann ist eine bekannte Synthesizer-Sequenz aus Pete Townshends "Let My Love Open the Door" zu hören. Neue Samples wechseln sich für weitere dreieinhalb Minuten ab. Zu hören sind unter anderem die Rapper Ludacris, Bridman und T.I. sowie die Bands Twisted Sister, Rage Against the Machine und Temple of the Dog. Und das war noch nicht alles.

Ein gutes Mashup kann selbst lange Bekanntes wiederbeleben, indem es in einen neuen Kontext gestellt wird. Für das Publikum in Philadelphia tat das Girl Talks Musik ganz eindeutig. Jubel brandete jedes Mal auf, wenn erkennbare Instrumental-Teile in den Mix einflossen. Teile der Tänzer sangen die gesampelten Hip-Hop-Lyrics mit oder bewegten sich mit einem Enthusiasmus, den die Ursprungstitel bestimmt nicht ausgelöst hätten.

(Wie Mashups funktionieren, können Sie selbst mit dieser interaktiven Konsole ausprobieren. Die Vocals stammen unter anderem von ABC, Diana Ross und anderen, die Instrumentals von Daft Punk, Rick James und Sister Sledge.)

Doch nicht alle seiner Kollegen haben Respekt vor Gillis' Kunst. "Was er da in seine Tracks packt, scheint mir ein ewiges "Kennst Du den Song, kennst Du den Song, kennst Du den Song?" zu sein", meint Tim Baker, der den Fachpodcast "Radio Clash" betreibt. "Es ist so, als würde man Fernsehen gucken und irgendjemand schaltet alle 30 Sekunden den Kanal um."