Der Reis ist kalt

Nicht nur für Computerdaten gibt es Sicherheitskopien – auch für mögliche künftige Erntedesaster wird vorgesorgt.

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Von
  • Peter Glaser

Nicht nur für Computerdaten gibt es Sicherheitskopien – auch für mögliche künftige Erntedesaster wird vorgesorgt.

Auf Spitzbergen, an einem der abgelegensten Orte der Welt, eisbedeckt und Hunderte Kilometer vom norwegischen Festland im Süden und Grönland im Westen entfernt, führt eine Tür in die Seite eines gefrorenen Bergs. Im Inneren, am Ende eines langen Gangs und durch eine eisige Kammer hindurch, liegt ein Raum, in dem es 18 Grad Minus hat und in dem lange Reihen von Containern stehen.

Im Svalbard Global Seed Vault, dem weltweiten Saatguttresor, werden seit Herbst 2007 Samen eingefroren und konserviert – hoffentlich für immer. Zur Eröffnung wurden 100 Millionen Samen aus über 100 Ländern in der Saatgutbank deponiert. Platz ist für bis zu viereinhalb Millionen Samenproben (wobei eine Probe 500 Samen enthält). Sie sind als Backup für den Fall gedacht, dass die Ernten auf der Welt, aus welchen Gründen auch immer, zerstört oder die landwirtschaftliche Vielfalt gefährdet sein sollte. Nachdem der Bunker befüllt ist, soll er ohne Personal vor Ort via Fernwartung beaufsichtigt werden.

Betrieben wird der Svalbard Global Seed Vault vom Global Crop Diversity Trust (auf deutsch etwas sperrig Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt), der seine Tätigkeit als "ultimative Versicherung für die weltweite Nahrungsmittelversorgung" sieht und künftigen Generationen die Möglichkeit geben will, den Herausforderungen von Klimawandel und Bevölkerungswachstum zu überwinden. Das rund 8,5 Millionen Euro teure Gewölbe wurde von der norwegischen Regierung errichtet und soll als "Backup des Backups" dienen: Viele Länder haben eigene Saatgut-Speicher oder "Genbanken" als Reserve für den Fall einer Erntekatastrophe. Im Svalbard-Gewölbe wiederum befinden sich Kopien der Bestände dieser nationalen Repositorien.

Der Trust möchte eine möglichst vollständige Kollektion der 21 wichtigsten Nutzpflanzenarten wie Reis, Mais, Weizen, Kartoffeln, Äpfel, Maniok, Wasserbrotwurzel oder Kokosnuss und deren Sortenvielfalt zusammenstellen und erhalten. Schon mit den ersten Einlagerungen kamen einzigartige Sorten zentraler afrikanischer und asiatischer Grundnahrungsmittel wie Augenbohnen und Sorghum-Hirse bis hin zu europäischen und südamerikanischen Varianten von Auberginen, Salat, Gerste und Kartoffeln ins Eis.Die genetische Vielfalt stellt unersetzliches Material für Pflanzenzucht und biologische Grundlagenforschung dar.

Warum bunkert die Welt so viele Samen? Der Crop Trust gibt darauf Antworten, die vor allem mit möglichen Umweltproblemen zu tun haben. Vieles hängt davon ab, wie sich die Bedingungen ändern und ob wir weiterhin in der Lage sind, aus herkömmlichem Bestand neue Pflanzensorten zu züchten, die beispielsweise in einer wärmeren Welt bestehen können. Oder in einen trockneren oder einer feuchteren Welt – was auch immer geschieht.

Dazu ist als Grundlage der Zugang zu so viel genetischer Vielfalt wie möglich wichtig – so dass Wissenschaftler, sofort, wenn etwas passiert ist, mit der Züchtung neuer Pflanzen beginnen können.

Diese Saatgutlager enthalten ein entscheidendes Stück der Geschichte der Menschheit. Seit den Anfängen der Landwirtschaft werden Pflanzen kultiviert und neue Eigenschaften durch Züchtung entwickelt. In den Saatguttresoren wird damit auch die jahrtausendealte Geschichte der Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen bewahrt, und die Kunst, Gene so verändert wie man das möchte.

Zu hoffen ist, dass wir diese Samen im Eis niemals brauchen werden. Ein langfristiger Klimawandel könnte im übrigen nicht nur die Ernten der Welt gefährden. Fachleute sehen durch die Erderwärmung auch Risiken für das Gebäude, das diese Gefahren eigentlich abwenden soll. Schon im Sommer 2008 taute der Permafrostboden am Eingang des Global Seed Vault auf und brachte die Statik ins Wanken – der Stahlmantel verformte sich und musste verbessert werden. (bsc)