Sind acht Stunden genug? Streit um starre Regeln zur Arbeitszeit

Starre Arbeitszeiten passen nicht mehr in die durchdigitalisierte Arbeitswelt, finden die Arbeitgeber. Doch neue Regeln, die auch die Interessen der Beschäftigten berücksichtigen, sind schwer zu finden.

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Von
  • Christian Ebner
  • dpa
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Nach acht Stunden Arbeit fällt der Hammer, und ausnahmsweise sind zehn Stunden erlaubt, wenn das schnell wieder mit Freizeit ausgeglichen wird. Diese Grundsätze gelten zwar faktisch für immer weniger Beschäftigte in Deutschland – sie stehen aber im Arbeitszeitgesetz aus dem Jahr 1994. In einem Rundumschlag haben die Arbeitgeber nun eine Reform verlangt, die der digitalisierten und globalisierten Arbeitswelt entspricht. Doch schnelle Lösungen sind hierbei auch wegen des gewerkschaftlichen Widerstands nicht in Sicht.

Es geht um den Schutz der Arbeitnehmer. Wöchentliche Arbeitszeiten von deutlich mehr als 40 Stunden schaden der Gesundheit und auch der Arbeitssicherheit, sind sich Arbeitsmediziner sicher. Zahlreiche Studien hätten Zusammenhänge zwischen langen Arbeitszeiten und gesundheitlichen Problemen wie Magen-Darm-Beschwerden, Rückenschmerzen oder Stressempfinden ermittelt, berichtet die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund. Statt körperlicher Erholung von Schwerstarbeit steht inzwischen der Abbau psychischer Belastungen im Vordergrund der arbeitsmedizinischen Forschungen.

Sicherlich längst nicht mehr komplett, denn Hunderttausende Arbeitnehmer haben mit der zunehmenden Digitalisierung ihrer Jobs erlebt, wie die einst selbstverständliche Grenze zwischen Arbeit und Freizeit immer weiter geschwunden ist. Die schnelle Mail am Abend, die Video-Konferenz am freien Tag, der dringende Anruf zu jeder Zeit gehören vor allem für Angestellte längst zum Alltag. Einzelne, stark mitbestimmte Unternehmen haben zwar Off-Zeiten für ihre Mitarbeiter definiert. Doch auf der anderen Seite wächst in der globalisierten Arbeitswelt die Zahl (schein)selbstständiger Crowdworker, die ohne Mindestlohn oder soziale Schutzvorschriften Aufträge von IT-Plattformen abarbeiten. Klassische Acht-Stunden-Jobs finden sich noch häufig in der Produktion oder auch in öffentlichen Verwaltungen.

Konkret setzen sie sich für eine an der EU-Arbeitszeitrichtlinie orientierte Höchstgrenze für die Wochenarbeitszeit von 48 Stunden ein, die an die Stelle der deutschen Acht-Stunden-Regel für den Einzeltag treten solle. Details etwa zu Arbeitszeitkonten und zu den Bedingungen von Heimarbeit sollten vorzugsweise auf betrieblicher Ebene geregelt werden. Ein Papier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) geht noch deutlich weiter. Darin sprechen sich die Arbeitgeber gegen gesetzliche Regeln zur Bekämpfung psychischer Belastungen (Stress) aus und wollen den bestehenden Arbeitsschutz auf keinen Fall auf Crowdworker ausweiten. Auch kürzere Fristen bei der Ankündigung von Mehrarbeit und weniger Einschränkungen an Sonn- und Feiertagen wären dem BDA willkommen. Zudem tritt der Verband für eine leichtere Vergabe von Werkverträgen und Leiharbeit ein.

Zunächst einmal mit schroffer Ablehnung des "Nein-Sager-Papiers mit neoliberaler Färbung", wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) den umfassenden Vorstoß bewertet. DGB-Chef Reiner Hoffmann nannte die Idee im MDR ein "No-Go". Den Abbau von Schutzrechten der Arbeitnehmer wollen die Gewerkschaften nicht hinnehmen, sondern diese vielmehr in die digitale Arbeitswelt fortschreiben. Darüber hinaus verlangen sie eine bessere Berücksichtigung privater Interessen der Beschäftigten, die tariflich abgesicherte Freiräume für Bildung, Familie oder Ehrenamt erhalten sollten. "Der Arbeitgeber muss das kostbare Gut Zeit teilen. Er muss es teilen mit Familie, Partnern, Freunden, Nachbarn, aber auch mit Ehrenamt, Politik, Vereinen und Kultur", schreibt der Sozialökonom Ulrich Mückenberger in der Metallzeitung.

Die IG Metall hat angekündigt, die Arbeitszeit weiterhin zum Gegenstand von Tarifverhandlungen zu machen. "Auch mobile Arbeitszeit muss erfasst und vergütet werden", sagt der Zweite Vorsitzende Jörg Hofmann. Für die große Koalition ist das Thema in dieser Legislaturperiode offensichtlich ein zu dickes Brett. Änderungen am Gesetz seien aktuell nicht geplant, ließ Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wissen. Ihr Haus will erst Ende 2016 ein "Weißbuch" zum Thema herausgeben, in dem Fakten und Einschätzungen sämtlicher Beteiligter gesammelt sind. Erst auf dieser Grundlage wolle man über mögliche Änderungen im Arbeitszeitgesetz nachdenken. (js)