Mekka für den Klimaschutz

Wie werden wir leben, wenn das Öl verbraucht ist? Im Emirat Abu Dhabi wird gerade an einer Lösung dieser Frage gebaut.

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Von
  • Jan Oliver Löfken
  • Kevin Bullis

Wie werden wir leben, wenn das Öl verbraucht ist? Im Emirat Abu Dhabi wird gerade an einer Lösung dieser Frage gebaut: Masdar City soll die Musterstadt einer ökologischen Zukunft werden.

Die ersten Zeichen sind schon sichtbar: Eine dünne weiße Wand unterbricht den Horizont wie eine Schaumkimm über einem Meer von Sand. Dahinter Baukräne und ein Haufen rostroter Stahlträger. Ein hoher Maschendrahtzaun schützt Betonfundamente, auf denen weitläufige Reihen von Solarpaneelen montiert sind. In der Ferne wirbeln Staubwolken auf. Ein Bus mit getönten Scheiben bringt einen Trupp Arbeiter aus Indien, Palästina und Südostasien zur derzeit aufregendsten Baustelle der Welt.

Hier, an der Straße zwischen Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, und dem internationalen Flughafen, wagen die Scheichs ein ebenso ehrgeiziges wie teures Experiment: Masdar City, Hightech-Metropole vom Reißbrett, Klima-Oase unter sengender Sonne, Stadt der Zukunft. Die Projektbeschreibung klingt wie ein Märchen aus einem hypermodernen, ökologisch korrekten „1001 Nacht“: In Masdar City sollen 50000 Menschen leben, die ihre Umwelt weder mit Kohlendioxid noch mit Müll belasten, und die ihren Energiebedarf ausschließlich aus regenerativen Quellen decken. Im Zentrum der Stadt steht ein vom Architekturbüro Adrian Smith + Gordon Gill entworfener achtstöckiger, futuristischer Gebäudekomplex, der nicht nur seinen kompletten Energiebedarf aus regenerativen Quellen bezieht, sondern mehr Energie erzeugt, als er verbraucht. Der anfallende Müll wird komplett wiederverwertet oder kompostiert, die Abwässer für die Biogasgewinnung genutzt. Gebäude und Fußwege sollen auf Betonstelzen sieben Meter über dem Boden stehen – das erlaubt eine kühlende Luftzirkulation und gibt auf der unteren Ebene genug Raum für ein Verkehrsnetz ausschließlich für Elektroautos. Mit Benzin wird kein einziges Fahrzeug in Masdar City fahren.

„Wir setzen in jeder Hinsicht Standards“, ist Khaled Awad, Baudirektor von Masdar City, überzeugt. Denn das Leben in der Musterstadt soll seinen Bewohnern keinerlei Verzicht aufbürden, sondern ein Leben in ökologisch korrektem Luxus bieten. Dabei ist die Stadt gar nicht als Zufluchtsort für Superreiche mit schlechtem Gewissen geplant. Das Masdar-Projekt soll das Emirat in erster Linie zu einem globalen Zentrum für die Entwicklung regenerativer Energien machen und den Prototyp bilden für urbanes Leben nach dem Öl. Damit sich die Stadt mit Leben füllt, wollen die arabischen Planer, unter anderem durch eine Steuerbefreiung für ausländische Investoren, rund 1500 Cleantech-Unternehmen anziehen. Zudem soll Masdar City einer Universität und Forschungsstätte – dem Masdar Institute of Science and Technology – Standort und Forschungsfeld bieten. Im Jahr 2016 erwarten die Bauherren die Fertigstellung der vom Büro des britischen Star-Architekten Sir Norman Foster entworfenen Retortensiedlung mit gut sechs Quadratkilometern Fläche. Die Baukosten betragen geschätzte 22 Milliarden Dollar – vier Milliarden davon trägt das Emirat Abu Dhabi.

Eine grüne, klimatisierte Oase ohne CO2-Emissionen inmitten eines sengend heißen, aber märchenhaft reichen Ölstaates, dessen 2,5 Millionen Einwohner den Weltrekord im Ressourcenverbrauch pro Kopf halten? Masdar City reiht sich nahtlos ein in eine Liste der verschwenderischen Superlative der Golfregion: Kunstinseln in Form einer Weltkarte, das höchste Gebäude und der größte Flughafen der Welt, ein gigantischer Eisschrank zum Skifahren – nicht gerade leuchtende Beispiele für Nachhaltigkeit, mit denen das Nachbaremirat Dubai von sich reden macht. Trotzdem zeigen sich Experten optimistisch, dass sich Masdar City zu einem glaubwürdigen Testfeld für die Planung und Umsetzung von ökologisch nachhaltigen Städten entwickeln wird.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der ausgeklügelten Kombination von regenerativer Energieerzeugung und Energieeffizienz: Ein Solarkraftwerk mit zehn Megawatt Leistung wird Strom für die Bauarbeiten liefern – 87700 Module sind bereits montiert. Auf den Dächern der Stadt und auf weiteren Flächen werden noch Photovoltaikanlagen für 200 bis 240 Megawatt Leistung installiert werden. Ein ehrgeiziges Ziel: „In der arabischen Wüste herrschen andere Bedingungen als in den Laboren der Hersteller“, sagt der PV-Experte Sameer Abu Zaid, der für die Wahl der besten Zellen verantwortlich ist. Derzeit testen die Bauingenieure von klassischen Siliziumzellen bis zu Dünnschichtmodulen insgesamt 41 Anlagetypen von über 30 Solarfirmen aus aller Welt. Auf einem kleinen Testfeld müssen die Anlagen unter Temperaturen von bis zu 80 Grad und verschmutzt mit Wüstenstaub zeigen, wie viel Strom sie tatsächlich produzieren können. Obwohl diese Versuche schon seit mehreren Monaten laufen, hat Zaid noch keinen Favoriten.

Solarthermische Kraftwerke bilden die zweite Quelle für den Sonnenstrom. Eine erste 100-Megawatt-Anlage, Shams 1, soll schon kommendes Jahr in Betrieb gehen. Die Verhandlungen für zwei weitere Kraftwerke gleicher Größe, Shams 2 und 3, laufen derzeit. Einen Teil der verbleibenden Energielücke wollen die Planer über die Verbrennung anfallenden Mülls und gepresster Filtratrückstände aus den Kläranlagen stopfen. Nicht zuletzt denken die Stadtentwickler noch über ein Geothermie-Kraftwerk nach. Dass regenerativ erzeugter Strom – vor allem aus den Photovoltaik-Anlagen – etwa fünfmal teurer ist als Strom aus Gasturbinen, ist ihnen durchaus bewusst. Die höheren Kosten wollen sie daher durch eine bes- sere Energieeffizienz auffangen, die den Energieverbrauch von Masdar City auf nur ein Fünftel von dem einer konventionellen Stadt drückt. „Wir wollen, dass Masdar City profitabel wird“, sagt Khaled Awad. „Ein Grab für Investitionen ist nicht nachhaltig.“

Verbrennungsmotoren mit ihren Wirkungsgraden von unter 20 Prozent werden komplett aus Masdar City verbannt. Eine Bahnlinie wird die Stadt mit der Hauptstadt Abu Dhabi und dem benachbarten internationalen Flughafen verbinden – Fahrtzeit etwa 30 Minuten. Den individuellen Personennahverkehr im Stadtgebiet auf der unteren Verkehrsebene übernehmen Elektrofahrzeuge, sogenannte Pods, für vier bis sechs Personen. Mindestens alle 200 Meter sollen an eigenen Haltestellen diese Wagen des Personal Rapid Transit (PRT) stehen. Bequem und energieeffizient werden die Pods, die eher an Golfmobile als an Autos erinnern, die Passagiere ohne Zwischenstopp zum gewünschten Ziel bringen. Von einer Zentrale ferngesteuert, rollen sie über Fahrbahnen, die alle fünf Meter mit Magnetsensoren für eine optimierte Navigation ausgestattet werden.

Entwickelt wurden die Pods von der niederländischen Firma 2getthere. Die Elektromotoren erhalten Strom aus leistungsfähigen Lithium-Eisenphosphat-Batterien. Spezielle An- und Abfahrrampen vor den Haltestellen sorgen dafür, dass der rollende Verkehr auf den Hauptfahrbahnen möglichst störungsfrei fließt. Theoretisch können die Pods in Abständen von nur einer halben Sekunden fahren. Für den Testbetrieb im kommenden Jahrzehnt soll der Zeitpuffer zwischen den Wagen vorerst drei bis vier Sekunden betragen. Erfahrungen mit diesem Transportsystem, das ähnlich funktioniert wie die ferngesteuerten Fahrzeuge in Lagerhäusern oder Containerterminals, wollen die Entwickler parallel dieses Jahr in einem Pilotprojekt am Londoner Flughafen Heathrow gewinnen. Da sich die staatliche Investmentgesellschaft Aabar vor wenigen Wochen für zwei Milliarden Euro gut neun Prozent am Daimler-Konzern gesichert hat, könnte auch der Stuttgarter Autobauer beim Aufbau der Fahrzeugflotte eine Rolle spielen. Kommentieren will Daimler diese Spekulationen nicht, aber „die Zusammenarbeit für Fahrzeuge mit Elektroantrieb mit besonderem Schwerpunkt auf Projekten, die eine CO2-Reduzierung zum Ziel haben“, ist laut Daimler ein erklärtes Ziel der schwäbisch-arabischen Partnerschaft.

Für kurze Strecken zwischen den Büro, Cafés und Wohnhäusern auf der höhergelegten Stadtebene können die Bewohner zu Fuß gehen, auf Segways oder Fahrräder zurückgreifen. Platz für die Pods wäre bei der vorgesehenen recht engen Bebauung sowieso nicht: Die Straßen von Masdar City sind auf eine Breite von sieben bis zwölf Meter ausgelegt. Damit greifen die Planer von Foster + Partners in London auf die traditionelle Bauweise arabischer Siedlungen und Märkte zurück. Wegen der geringen Abstände können sich die Gebäude gegenseitig Schatten spenden und so den Strombedarf für Klimaanlagen senken. Trotzdem reicht die Straßenbreite aus, um genug Tageslicht in Büros und Wohnungen fallen zu lassen. Gegen die Hitze sehen die Planer zudem vor, die Häuser in eine 30 Zentimeter dicke Isolationsschicht zu hüllen. Zudem sollen Kupferfolien an den Mauern, die mit selbstreinigenden Teflon-ähnlichen Beschichtungen den Wüstenstaub abhalten, Licht und Wärme reflektieren.

Die Wasserversorgung in den Emiraten wird heute in der Regel durch das sehr energieintensive Entsalzen von Meerwasser gesichert. In Masdar City hingegen soll jeder Tropfen Abwasser aufbereitet werden. Mit Durchflussreglern an den Wasserhähnen und wasserfreien Urinalen soll zudem der Bedarf an Wasser um 75 Prozent gesenkt werden. Der Müll wird durch Vakuumröhren unter der Stadt zu einer zentralen Sammelstelle gesaugt, dort sortiert und so weit wie möglich wiederverwertet. Restabfälle werden verbrannt oder mit Fermentierungsanlagen in Biogas umgewandelt, die zurückbleibenden Feststoffe als Baumaterial genutzt. Ganz ohne fossile Brennstoffe wird Masdar City während der Bauphase und auch nachts, wenn die Solaranlagen keinen Strom liefern, nicht auskommen. Dennoch wollen die Stadtentwickler das Null-Emissions-Ziel durch ein lückenloses CO2-Monitoring erreichen. Der erhöhte Verbrauch an konventioneller Energie während des Baus soll durch den Überschuss an regenerativer Energieproduktion nach Fertigstellung aller Erzeugungsanlagen ausgeglichen werden. Das Gleiche wird für den Strom gelten, der nachts aus konventionellen Gaskraftwerken in die Stadt geleitet wird. Dafür liefern die Solarkraftwerke tagsüber ihren Überschuss an die Hauptstadt Abu Dhabi, die dadurch fossile Brennstoffe spart. Pooran Desai, Mitgründer der britischen Firma BioRegional, die an der Entwicklung eines Null-Emissions-Projekts in London beteiligt war, sieht weltweit kein vergleichbares Beispiel für ein so gründliches Budgetieren von CO2-Emissionen: „Die Planer jagen jedem einzelnen Kohlendioxid-Molekül nach.“ Allein die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern bleibt bei der Gesamtklimabilanz noch außen vor. Doch um die Importe von Fleisch, Gemüse und Obst von weither reduzieren zu können, werden eigene Anbauflächen in der Nachbarschaft nach der Fertigstellung der Stadt immerhin angedacht.

Ob sich die Stadtplaner nicht doch verrechnet haben, kann erst in einigen Jahren beurteilt werden. Denn ein Zusammenspiel von regenerativ erzeugtem Strom, Energieeffizienz und intelligenter Infrastruktur ist bislang noch nirgends in dieser Größenordnung realisiert worden – und in Computer-Simulationen nur ansatzweise darstellbar. „Ein Teil des Problems ist die Komplexität, die bei Bauten im großen Maßstab zunimmt“, sagt J. Michael McQuade, Vizepräsident für Wissenschaft und Technologie beim Unternehmen United Technologies im amerikanischen Hartford, das sich unter anderem auf Gebäudetechnik spezialisiert hat.

In großen Gebäuden etwa, in denen das Tageslicht zur Beleuchtung von Arbeitsplätzen genutzt wird, installiert man Helligkeitssensoren, die das Kunstlicht automatisch abschalten, wenn genügend natürliches Licht zur Verfügung steht. Dabei kann es aber vorkommen, dass die Beleuchtung einer Zone die Sensoren einer benachbarten zweiten Zone beeinflusst. In manchen Gebäuden habe das zu hässlichen Rückkopplungsschleifen geführt, die das Licht immer wieder an- und ausgeschaltet haben. Auch Heizung und Kühlung in benachbarten Zonen können sich gegenseitig stören, weiß McQuade. Ein sogenanntes „intelligentes Heizungssystem“ für ein nagelneues Bürogebäude in Paris beispielsweise, das 3000 verschiedene solcher Zonen koordinieren sollte, hatte sich bei der Inbetriebnahme des Gebäudes als Haupt-Energiefresser entpuppt. „Wir mussten die Steuerung völlig neu konzipieren, um dieses Problem zu lösen“, erinnert sich McQuade.

Null-Emissions-Projekte müssten von Anfang an funktionieren, um wirtschaftlich zu sein, argumentiert McQuade: „Wenn es nicht direkt richtig gemacht wird, wird es mit jeder folgenden Korrektur viel teurer.“ Dieses Risiko ist trotz umsichtiger Planung auch für Masdar City nicht auszuschließen. Doch auch wenn es erst im zweiten oder dritten Anlauf klappen sollte, wird diese Stadt wichtige Daten liefern, um Planungsmodelle zu verbessern. „Wenn Umwelt-Ingenieure mit den Erfahrungen, die sie aus dem Bau dieser Stadt gewinnen, viel produktiver werden, dann ist es nicht mehr Science-Fiction, sondern könnte auch auf konventionelle Städte wie Houston angepasst werden“, sagt Matthew Kahn, Wirtschaftsprofessor an der University of California in Los Angeles. Gil Freund, Geschäftsführer von Natural Logic, einer Planungsfirma für nachhaltige Projekte, stimmt ihm zu. „Ich sehe Masdar auf der einen Seite als eine Spielwiese für die Reichen“, sagt er, „und auf der anderen Seite als Testplattform für Technologien. Wenn alles gut läuft, werden wir die Technologien in Zukunft auch in anderen Städten finden.“

Masdar City als Leuchtturm-Projekt und Vorbild für viele nachhaltige Städte in Arabien, Indien oder China? Das ist allerdings nur eines der Ziele, das Abu Dhabi ins Auge gefasst hat. Der Bau der Null-Emissions-Stadt ist Teil einer weit umfassenderen Initiative. Masdar – arabisch für Quelle – soll den weltweit drittgrößten Exporteur von Erdöl zu einem Zentrum des Wissens machen: Abu Dhabi als Think-Tank für regenerative Energien, Masdar City als Quelle für Talente, Patente und erfolgreiche Start-ups, für die Zeit nach dem Öl. Es ist eine gewaltige Herausforderung, vor allem für eine Region, die laut Aussage von Baudirektor Khaled Awad „1000 Jahre lang nicht gerade für ihre Innovationen bekannt war“.

„Unser Ziel ist es, Abu Dhabi zu einem globalen Führer im Bereich der erneuerbaren Energien zu machen“, sagt Masdar-Chef Sultan Al Jaber. Cleantech-Firmen aus aller Welt sollen angelockt werden. Dem Ruf in das Steuerparadies Masdar folgt bereits der US-Konzern General Electric, der in der „Zero-Carbon-City“ ein Forschungszentrum für Energietechnik aufbauen wird. Parallel entsteht in Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology das sogenannte „Masdar Institute“, eine Art Graduiertenkolleg für technische und naturwissenschaftliche Fächer mit Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien. Bereits ab September dieses Jahres sollen die ersten 100 Studenten und Doktoranden ihre Arbeit inmitten der Baustelle aufnehmen. Etwa 800 Wissenschaftler werden bis 2016 erwartet. Angelockt aus aller Welt, sollen sie auf dem Campus Grundlagen für neue Solarzellen, Kraftwerke und intelligente Stromnetze legen. Das Institut, so hoffen die Masdar-Planer, wird für die Region dieselbe Bedeutung bekommen, wie es die Stanford University für das Silicon Valley in Kalifornien hat. Die Ideen der Absolventen sollen in neuen Firmen münden, die mit arabischem Startkapital gepusht werden könnten. Die gesamte Masdar-Initiative lässt sich das Emirat 15 Milliarden Dollar kosten. Davon fließen etwa viereinhalb Milliarden Dollar in die ersten Bauabschnitte und in die Infrastruktur der neuen Stadt – der weitaus größere Posten ist für eine weltweite Investition in Erneuerbare-Energien-Projekte vorgesehen, etwa eine Solarzellenfabrik in Deutschland und eine Windfarm in Großbritannien. Weitere 18 Milliarden erwarten die Araber von privaten Investoren.

Der Plan könnte aufgehen. Eine Milliardeninvestition in eine klimaneutrale, energieautarke Stadt für 50000 Einwohner trifft trotz Wirtschaftskrise – Klimawandel und drohende Ressourcenknappheit sei Dank – anscheinend den Nerv der Zeit. Schon bevor das erste Gebäude steht, gilt die Null-Emissions-Metropole als zukunftsweisendes Prestigeprojekt, mit dem sich zahlreiche Konzerne wie GE oder Daimler schmücken wollen. Auch Siemens hat seine Fühler ausgestreckt und verhandelt derzeit über enge Kooperationen im Bereich der „grünen“ Technologien. „Die Masdar-Initiative und damit auch Masdar City ist für Siemens ein interessantes Projekt und passt strategisch sehr gut zu unserem ,Energy efficiency and Environmental Protection‘-Programm“, sagt der für Masdar verantwortliche Siemens-Manager Tom Ruyten.

Ob das Engagement den Firmen neben dem sicheren Imagegewinn langfristig auch lukrative Aufträge im gesamten Mittleren Osten einbringen wird, ist allerdings keineswegs sicher. Denn anders als in den vergangenen Jahrzehnten kauft das Emirat nicht mehr schlicht Produkte aus den USA, Europa und Japan ein, sondern setzt auf Kooperationen und Technologietransfer. So kaufte Masdar für 120 Millionen Euro Anteile am finnischen Windturbinen-Hersteller WinWinD und sicherte sich 40 Prozent des spanischen Solarthermiebauers Torresol. Für den wachsenden Markt der Offshore-Windparks kooperieren die Araber mit E.on. Aufbauend auf dem Know-how deutscher Ingenieure baut die hundertprozentige Tochterfirma Masdar PV dieses Jahr sogar ohne Partnerunternehmen mit 300 Millionen Euro eine Fabrik für Dünnschicht-Solarzellen in Thüringen auf. Die geplante Kapazität der Fabrik beträgt 70 Megawatt pro Jahr. Bereits ab 2010 soll dann die doppelte Menge an Solarmodulen in einem weiteren Werk in Abu Dhabi selbst produziert werden.

Ohne Joint-Venture-Abkommen kaufte das Emirat die Solarmodule für das Zehn-Megawatt-PV-Kraftwerk vom US-Unternehmen First Solar und Suntech in China – allerdings nur für die Startphase von Masdar City. Auch Schott Solar (Absorberrohre), Flabeg (Spiegel) und MAN (Dampfturbine) konnten sich Aufträge für das 100-Megawatt-Solarthermiekraftwerk „Shams 1“ sichern, die nicht an einen Technologietransfer gekoppelt waren. Die Verhandlungen für zwei weitere Kraftwerke – Shams 2 und 3 – werden zeigen, ob die Unternehmen diese Position halten können oder sich vielleicht doch auf eine Kooperation einlassen werden.

Die bereits heute größte Messe für regenerative Energien, das World Future Energy Summit (WFES), ist ein weiterer Baustein in der Masdar-Strategie. Mit über 15000 Teilnehmern, etwa 300 Firmen und zahlreichen Regierungsdelegationen strömten Anfang des Jahres 25 Prozent mehr Energieexperten als im Vorjahr nach Abu Dhabi. Einige sprachen bereits von einem „Davos für Energie“, das sich hier etablieren könnte. Zwar wurden auf dem Mammutkongress kaum millionenschwere Vertragsabschlüsse präsentiert, wie es beispielsweise auf der führenden Industrieausstellung, der Hannover-Messe, üblich ist. Dennoch zeigten nahezu alle wichtigen Unternehmen der Energiebranche Präsenz – von Siemens über ABB und General Electric bis hin zu BP, Statoil, Schott und Vestas.

So hochgesteckt das Ziel von Abu Dhabi sein mag, selbst zum wichtigen Entwickler und Produzenten von Energietechnik zu avancieren, die eingeschlagene Strategie könnte aufgehen. Die einzelnen Komponenten – Energiemesse, Prestigeprojekt „Masdar City“, Kooperationen mit führenden Technologieträgern und Aufbau einer eigenen Forschungsinfrastruktur – ergänzen sich ideal. Da ist es nur konsequent, dass Abu Dhabi mit seiner Masdar-Initiative Anfang Juni in Bilbao beim „European Future Energy Forum“ noch engere Kontakte zu europäischen Unternehmen und Forschern knüpfen will. Denn Europa, insbesondere Deutschland, Spanien und Dänemark, steht – noch – an der Weltspitze auf dem Feld der erneuerbaren Energien.

Für die Fachwelt gilt das Masdar-Projekt bislang als glaubwürdig. Dass die Emirate, allen voran Dubai und Abu Dhabi, heute zu den größten Energieverschwendern weltweit gehören, scheint niemanden zu stören. Mit einem anderen Mammutprojekt – nur wenige Kilometer von der Null-Emissions-Stadt entfernt – könnten die Araber nun aber doch noch ihr Öko-Image aufs Spiel setzen: Auf der Al-Yas-Insel wächst derzeit der Ferrari-Themenpark auf einer Fläche von 2,5 Quadratkilometern. Neben einer knapp sechs Kilometer langen Formel-1-Rennstrecke sind ausgedehnte Wasserspiel-Landschaften, Hotels, Golfplätze und eine Super-Shopping-Mall auf 300000 Quadratmetern geplant. Von nachhaltigen Energiekonzepten spricht dort niemand. (wst)