Das AKW aus der Fabrik

Der US-Reaktorhersteller Babcock and Wilcox will mit dem kleinen, modularen mPower-Modell erstmals Kernreaktoren in einer Fabrik fertigen und damit Bauzeit und Baukosten von AKWs senken.

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Von
  • Kevin Bullis

Inmitten der Debatte über die Zukunft der Energieversorgung wartet der Reaktorhersteller Babcock and Wilcox mit einer Neuentwicklung auf, die den Ruf nach einer „Renaissance der Kernenergie“ verstärken könnte. Anders als bisherige Kernreaktoren, die aufwändig am Kraftwerksstandort zusammengebaut werden müssen, soll der neue mPower-Reaktor in der Fabrik gefertigt werden. Das soll die Bauzeit von Kernkraftwerken halbieren und die Baukosten deutlich senken. Erfahrung mit kleinen Reaktoren hat das Unternehmen aus Virginia: Babcock and Wilcox baut bereits seit 50 Jahren Kernreaktoren für US-Kriegsschiffe.

Heutige AKWs sind riesige Anlagen mit einer Leistung von 1000 und mehr Megawatt. Im Vergleich zu mehreren kleinen Anlagen rechnet sich die Größe, weil wesentliche Komponenten des Kraftwerks wie das Containment oder der Kontrollraum nur einmal errichtet werden müssen. Andererseits ist allein die Finanzierung eines solchen Baus eine Herkulesaufgabe. Der neue Europäische Druckwasserreaktor in Finnland etwa wird – ausgelegt auf 1600 Megawatt Leistung – voraussichtlich knapp fünf Milliarden Euro kosten. Im Mittel kann man für den Bau eines Atomkraftwerks pro Kilowatt bereitgestellter Leistung zwischen 1500 und 2200 Dollar Baukosten rechnen – ein Gaskraftwerk kostet etwa die Hälfte. Hinzu kommt, dass es vom Baubeginn an fünf bis sechs Jahre dauert, bis die erste Kilowattstunde produziert wird. Eine Zeit, in der keine Umsätze gemacht, aber schon Zinsen gezahlt werden. Das hat neben dem Tschernobyl-Schock mit dazu beigetragen, dass seit den späten Achtzigern fast zwanzig Jahre keine neuen AKWs mehr gebaut wurden. Weltweit sind nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA derzeit 439 Atomkraftwerke im Betrieb. 2008 ist mit dem Bau von zehn neuen Atomkraftwerken begonnen worden – allein sechs davon befinden sich in China.

Die neue Konstruktion von Babcock and Wilcox könnte das Finanzierungsrisiko senken, meint Andrew Kadak, Nuklearingenieur am MIT. Der Reaktor ist wesentlich kleiner und hat eine Leistung von nur 150 Megawatt. Allerdings lassen sich mehrere solcher Reaktoren in einer Anlage zusammenschalten. Weil Babcock and Wilcox den Reaktordruckbehälter und den Dampferzeuger in einer einzigen Konstruktion integriert, ist der Reaktor klein genug, um mit einem Güterwaggon transportiert zu werden. Daher kann die Fertigung zentral in einer Fabrik erfolgen.

Andrew Kadak schätzt, dass manche Fertigungsschritte, die auf einer Kraftwerksbaustelle acht Stunden benötigen, in der Fabrik in einer Stunde zu erledigen sind. Ist der Reaktor fertig, kann er zusammen mit den Containment-Wänden, den Turbinen und den Steuersystemen an die AKW-Baustellen geliefert werden. Laut Christofer Mowry, CEO von Babcock and Wilcox, soll sich damit die durchschnittliche Bauzeit eines Kernkraftwerks von fünf auf drei Jahre verkürzen.

Dies würde nicht nur die Baukosten, sondern auch die Finanzierungskosten senken, weil die Anlage früher ans Netz geht. Ein weiterer Vorteil wäre für Energieversorger, dass der derzeitige Flaschenhals beim AKW-Bau entfällt: die Fertigung des Reaktordruckbehälters. Für die Großen gibt es weltweit nur wenige Spezialschmieden, keine davon jedoch in den USA. Kessel von der Größenordnung des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) können derzeit gar nur von Japan Steel Works hergestellt werden. Deren Jahreskapazität liegt bei fünf EPR-Reaktorkesseln.

Zwei weitere Neuerungen sollen die Betriebskosten senken. Zum einen soll das Containment, in dem sich der Reaktor befindet, so groß sein, dass sämtliche radioaktiven Abfälle aus 60 Jahren Betriebsdauer darin zwischengelagert werden können. Für AKW-Betreiber könnte damit das Problem, dass es bislang weltweit kein Endlager gibt, entschärft werden. Zum anderen müssen die Brennelemente nur alle fünf Jahre statt wie bisher alle zwei ausgetauscht werden. Damit könnten die Kraftwerksbetreiber die durchschnittliche jährliche Auslastung des Reaktors noch einmal erhöhen, weil der Reaktor seltener heruntergefahren werden muss.

Andrew Kadak hält das Konzept besonders für Schwellenländer für interessant, die weder eine Finanzierung über mehrere Milliarden stemmen können noch Elektrizitätsnetze haben, an die sie Kraftwerke mit 1000 Megawatt Leistung und mehr anschließen können. Ob sich die großen Energieversorger in den USA für den neuen Kleinreaktor begeistern können, sei im Moment schwer zu sagen, meint Kadak.

Die zugrunde liegende Technologie unterscheidet sich jedenfalls nicht von herkömmlichen AKWs: Es handelt sich um Druckwasserreaktoren. Christofer Mowry geht deshalb davon aus, dass der mPower-Reaktor nach den derzeit geltenden Bestimmungen zugelassen wird. Außer Babcock and Wilcox arbeiten zwei weitere US-Firmen, Westinghouse und NuScale, an kleinen, modularen Druckwasserreaktoren. Von Westinghouse stammt die Idee, Reaktordruckbehälter und Dampferzeuger in einer Konstruktion zu integrieren. Allerdings war die noch nicht für eine Fabrikfertigung vorgesehen.

NuScale will dagegen wie Babcock and Wilcox seine Reaktoren in einer Fabrik produzieren und dann ausliefern. Allerdings sollen sie nur eine Leistung von 40 Megawatt haben. Ingenieure wie Andrew Kadak vom MIT und einige andere Firmen entwickeln außerdem modulare Konstruktionen für neue Reaktortypen, die einer eigenen gesetzlichen Regulierung bedürften.

Laut Mowry soll die Zulassung für den mPower-Reaktor 2011 beantragt werden. Mit der Tennessee Valley Authority sei man bereits im Gespräch, um einen Standort für ein mPower-Kraftwerk zu finden. Ans Netz könnten die ersten Anlagen ab 2018, sagt Mowry. Angesichts des langwierigen Zulassungsverfahrens hält Mujid Kazimi, ebenfalls Nuklearingenieur am MIT, dieses Ziel für „sehr ehrgeizig“.

Auch die Kosten für den Abriss der irgendwann wieder still gelegten Reaktoren ließen sich so drücken. Mit welchem gewaltigen logistischen, technischen und finanziellem Aufwand der so genannte Rückbau alter, stillgelegter Kernkraftwerke verbunden ist, können Sie in der aktuellen Print-Ausgabe von Technology Review lesen (Heft 07/09 ist seit dem 18.6. am Kiosk oder portokostenfrei online zu bestellen): TR-Autor Reimar Paul hat das derzeit weltgrößte Abrissvorhaben eines AKW in der Nähe von Lubmin besucht – der Rückbau ist voraussichtlich 2013 beendet und wird rund drei Milliarden Euro kosten. (nbo)