Atomstrom für die Dritte Welt

Mit Reaktoren der dritten und vierten Generation könnten künftig auch ärmere Länder Atomstrom produzieren. Problematisch bleiben jedoch der Umweltaspekt und die Gefahr der nuklearen Proliferation.

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Von
  • Mark Williams
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Atomingenieur Atambir Rao, der fast 20 Jahre lang als Programmmanager für Reaktoren der nächsten Generation beim US-Konzerngiganten General Electric (GE) arbeitete, hat eine streitbare Meinung, was die zukünftige Kundschaft seines Unternehmens anbelangt. "Ich glaube, dass Entwicklungsländer wie meine Heimat Indien diejenigen sind, die neue Atomenergieanlagen am besten gebrauchen könnten", sagt er. Heutzutage seien es jedoch die westlichen Industrienationen, die dies verhinderten: "Und zwar mit Sanktionen.“

Das Reaktorprojekt, dessen Entwicklung Rao bei GE vorantrieb, ist der "Economic Simplified Boiling Water Reactor", kurz ESBWR, ein Siedewasserreaktor, der sich aufgrund technischer Vereinfachungen besonders kostengünstig bauen und betreiben lassen soll. Der ESBWR ist ein Reaktortyp der dritten Generation, der eine verbesserte Brennstofftechnologie sowie diverse passive Sicherheitssysteme enthält. Im Falle von Problemen fährt sich das System den Herstellerangaben zufolge einfach sicher herunter, ohne dass Mensch oder Elektronik eingreifen müssten. Das ESBWR-Projekt wird seit 25 Jahren vorangetrieben – und könnte aktuell an der Spitze einer atomaren Renaissance stehen. Länder wie Indien oder China nähern sich rapide den Lebensstandards der westlichen Welt an – mitsamt der CO2-Problematik, die den Klimawandel treibt. Atomenergie könnte als CO2-freie Alternative daher wieder interessant werden: Mit großer Stromausbeute und durchaus bewiesener Technologie. Fragt sich nur, ob die dabei notwendigen hohen Investitionen und langen Bauzeiten Sinn machen. Umweltgefahren und die Verbreitung nuklearer Waffentechnologie, die so genannte Proliferation, sind weitere Problemkomplexe.

Der ESBWR-Ansatz soll viele dieser Fragestellungen beantworten. Der Reaktortyp ist relativ kostengünstig und vergleichsweise einfach zu konstruieren. Es wäre also denkbar, dass die Technologie künftig das Rückgrat der Stromnetze in Ländern wie China und Indien bildet. Per Peterson, Professor für Kernkraftwerksbau an der University of California in Berkeley, war an der Entwicklung des ESBWR beteiligt. Die Kapitalkosten habe man dabei "um 25 bis 40 Prozent" senken können. "Wenn man dies mit den konkurrierenden Kohlekraftwerksansätzen vergleicht, ist das schon durchaus signifikant", sagt er. Peterson glaubt gar, dass die Technologie irgendwann billiger sein könnte als Kohle: "Im letzten Jahr sind die Kosten schon allein deshalb gestiegen, weil Brennstoffe teurer wurden. Wenn nun noch die Klimaschutz-Gesetzgebung verschärft wird, ändert sich die Rechnung deutlich."

Peterson betont, dass die Reaktortechnologie in den letzten Jahren sichtbar vorangekommen sei – immerhin baue man Atommeiler bereits seit 50 Jahren. Heutige Reaktoren der 3. Generation verhielten sich gegenüber ihren Vorgängern aus den Siebzigerjahren ähnlich wie ein heutiger Toyota Prius zu einem 30 Jahre alten Opel. Der Haupttrend liegt laut Peterson in der radikalen Vereinfachung und Reduktion mechanischer Teile, die in früheren Generationen das Bild der Atomanlagen prägten. So besitzt der ESBWR zur Wärmeabfuhr keine Pumpen oder angeschlossene Notstromgeneratoren mehr – er braucht sie einfach nicht. Das einzige bewegliche Teil, das noch verblieben ist, sind die neutronenabsorbierenden Steuerstäbe, die die Kernreaktion einleiten, wenn sie zur Hälfte aus dem Kern gezogen wurden. Die Kernreaktion bringt das Wasser im ESBWR wiederum zum Kochen. Der Dampf wird dann über obenliegende, große Röhren abtransportiert und die Energie schließlich an Turbinen weitergegeben. Anschließend kondensiert das Wasser wieder und fließt in flüssiger Form dank der Schwerkraft wieder nach unten zurück in den Kern. "Der ESBWR setzt vollkommen auf die natürlichen Zirkularkräfte. Einfacher könnte es nicht sein", erklärt Rao.