Das Netz der Geister-Teilchen

Der italienische Pirelli-Konzern testet ein phantastische Hypothese: Lassen sich Nachrichten mit Hilfe von Neutrinos quer durch die Erde ĂĽbertragen?

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Mitte der 1980er Jahre hatte der US-Physiker Joseph Weber eine einfache Methode ersonnen, um spezielle Elementarteilchen, Neutrinos, nachzuweisen. Um seine Forschung zu finanzieren, versuchte er sogar die US-Marine zu gewinnen. Aber weder die wissenschaftliche Gemeinde noch das US-Militär ließen sich letzendlich von Weber überzeugen und nach seinem Tod im September 2000 gerieten die Experimente in Vergessenheit.

Der italienische Reifenkonzern fertigt nicht nur Autoreifen und freizügige Kalender, sondern auch Glasfasern für die Telekommunikation. Der Konzern wollte die phantastische Theorie daher auf die Probe stellen und schickte den Physiker Luca Gamberale in das verlassene Labor von Joseph Weber. Das ganze Labor wurde in Container gepackt und nach Italien verschifft. In den Pirelli Labs versuchen Gamberale und sein Chef, Flavio Fontana, die Theorie von Weber zu bestätigen.

In einem ultrasteifen idealen Kristall sind die Atome so eng miteinander verbunden, dass sie, so hoffte Weber, synchron schwingen, wenn auch nur ein Atomkern von einem Neutrino getroffen wird. Seinen Berechnungen nach sollte ein kleiner, einige Zentimeter großer Saphirkristall bereits ein messbares Signal erzeugen. Normalerweise ist ein unverhältnismäßig viel größerer Aufwand notwendig, um Neutrinos nachzuweisen, denn die von manchen Forschern flapsig auch "Geister-Teilchen" genannten Elementarteilchen gehen auch durch dickste Betonwände wie ein Messer durch Butter. Die "mittlere freie Weglänge", also die Wegstrecke, die ein Neutrino im Durchschnitt zurücklegt, bevor es mit einem Atom reagiert, beträgt ungefähr 1000 Lichtjahre.

Webers Idee klingt exotisch, ist aber nicht völlig abwegig. Bis 1958, als Rudolf Ludwig Mößbauer das Phänomen der rückstoßfreien Resonanzabsorption von Gammastrahlen entdeckte, galt es beispielsweise als unmöglich, Gammaspektroskopie an Festkörpern zu betreiben. Zwar spielt Webers Arbeit eigentlich auf einer physikalisch anderen Bühne, aber auch in seinem Fall könnte der Effekt tatsächlich auftreten.

Kommt unsere E-Mail also bald direkt durch die Erde aus Australien zu uns nach Europa? Luca Gamberale lächelt: "Es gibt noch keine Signale von Neutrinos. Wir sind noch immer dabei, die Apparaturen zu justieren." Flavio Fontana glaubt, dass es in etwa zehn Jahren Neutrino-Post geben könnte. Andere Physiker sind skeptischer. Lothar Oberauer etwa, Professor an der Münchner Technischen Universität und selbst Neutrinojäger, sieht zwar prinzipiell die Möglichkeit Neutrinos mittels Webers Kristallen zu messen, sieht aber auch ein Problem mit der Wellenlänge der energiereichen Neutrinos von der Sonne oder aus Reaktoren: "Die ist viel zu kurz. Da kann nichts mit dem Kristall wechselwirken." (wst)