Copyleft-Lizenzen am Scheideweg

Inkompatibilitäten zwischen verschiedenen Copyleft-Lizenztypen könnten letzlich verhindern, dass auf diese Weise kreative Inhalte verbreitet werden können.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Michael Fitzgerald

Niemand käme auf die Idee, den Cyberlaw-Experten Lawrence Lessig mit Homer Simpson zu vergleichen – dem allgemein anerkannten Symbol für die Dummheit in Amerika. Dennoch musste sich der bekannte Stanford-Rechtsprofessor in letzter Zeit viel mit einem Problem beschäftigen, zu dem Homer wohl nur "Oh nein!" sagen würde: Lessig wurde klar, dass die verschiedenen Lizenztypen für geistiges Eigentum, die er in den letzten Jahren zusammen mit anderen schuf, möglicherweise das Gegenteil von dem bewirken, was sie sollten. Lessigs Arbeiten sind Teil der so genannten "Copyleft"-Bewegung. Die trägt diesen Namen, weil sie es sich im Gegensatz zur "Copyright"-Fraktion zur Aufgabe gemacht hat, Werke möglichst weit zu verbreiten, ohne dass die Menschen etwas dafür zahlen müssen.

Das Problem mit den "Copyleft"-Lizenzen, zu der auch der Bereich der "Free Software"-Lizenzierungen gehört: Sie verlangen zumeist, dass vom Ursprungsmaterial abgeleitete Werke ebenfalls unter gleichen Bedingungen lizenziert werden müssen. Sammlungen voller freier Texte, Audio- und Video-Dateien, die Lessig und seine Kollegen als Grundlage einer neuen, freien Kultur sehen, können also eigentlich keine Inhalte enthalten, die auf Grundlage verschiedener Lizenztypen erstellt wurden – selbst wenn diese jeweils breite Nutzungs- und Verteilrechte einräumen. So kann ein Text aus der Wikipedia, der unter einer Lizenz namens "Free Documentation License" (FDL) steht, im Grunde nicht als Erzählstück für einen Film verwendet werden, der nach den Regeln der "Creative Commons"-Lizenz verteilt werden soll.

Lessig gehörte 2001 zu den Gründern der "Creative Commons"-Bewegung, deren Ziel es war, eine flexiblere Version des Urheberrechtes zu schaffen, mit der es einfacher sein würde, Elemente kreativer Arbeiten wie Texte, Videos oder Töne mit anderen zu teilen. Die Idee entstammt aus der "Free Software"-Bewegung des ehemaligen MIT-Informatikers Richard Stallman, der das freie GNU-Betriebssystem (und viele Tools) entwickelte. Laut Stallmans Definition ist Software frei, wenn sie frei verändert und frei verteilt werden darf. Das bekannteste Beispiel für freie Software ist Linux, das aus der Bewegung rund um Linus Torvalds entstand.

Menschen, die ihre kreativen Arbeiten unter flexibleren Bedingungen als den traditionellen Urheberrechtsregelungen lizenzieren wollen, können nun unter insgesamt sechs Hauptvarianten der "Creative Commons"-Lizenz wählen: Von der breiten "Urhebernennung"-Variante, bei der man Werke für jeden Zweck verwenden kann, so lange man den Urheber nennt, bis hin zur Variante "Urhebernennung, nichtgewerblich, keine abgeleiteten Werke", die zwar eine erneute Verwendung, jedoch weder Veränderungen noch kommerzielle Nutzungen erlaubt. Daneben bietet die "Creative Commons"-Bewegung auch einige Nischenlizenzen für Bereiche wie das Audio-Sampling an.

Obwohl die "Creative Commons"-Macher nicht zählen, wie viele Menschen ihre Lizenzen verwenden, werden so genannte "Linkbacks" statistisch erfasst, die von den Websites derjenigen kommen, die die Lizenzen verwenden. Inzwischen sollen es 45 Millionen Stück sein – eine Verzehnfachung innerhalb eines Jahres.

Doch die "Creative Commons"-Lizenzen sind nicht die einzige "Copyleft"-Initiative, die breite Verwendung findet. Die von der Free Software Foundation stammende FDL, die von der Wikipedia verwendet wird, unterscheidet sich von der "Creative Commons"-Lizenz nicht nur in ihrer Sprache, sondern auch in ihrer Grundabsicht – sie wurde eigentlich zur Lizenzierung von Handbüchern entwickelt, die freier Software beiliegt, und eignet sich vor allem für Textinformationen.

Genauso wie die "Creative Commons"-Lizenz verlangt die FDL, das abgeleitete Arbeiten unter den gleichen Bedingungen vertrieben werden. Das kann selbst dann zum Problem werden, wenn man keinen Mix aus verschiedenen Lizenztypen verwenden will. "Wenn wir ein Foto auf unserer Seite hätten, aus dem jemand eine Postkarte machen will, hätte er die Schwierigkeit, dass die Lizenz auf ihre Rückseite gedruckt werden müsste – und die ist acht Seiten lang", sagt Jimmy Wales, Mitbegründer der Wikipedia und Vorsitzender der Wikimedia-Initiative mit Sitz in Florida.

Wales erwartet, dass das Kompatibilitätsproblem umso schlimmer wird, je mehr Video- und Audio-Dateien kostenfrei online gestellt werden. Das Problem könnte letztlich zu Klagen führen, die aus einer fehlerhaften Verwendung der Inhalte resultieren, meint Lessig. Dies beträfe wohl vor allem große Institutionen wie Universitäten, wenn sie Informationen bereitstellten, die Lizenztypen vermischen (und damit letztlich gegen sie verstoßen).

Bislang ist das allerdings nur ein hypothetisches Problem. Nervig (und peinlich) sind die möglichen Schwierigkeiten dennoch. Lessig meint, er habe einen echten Homer-Simpson-Moment erlebt, als ihm das Problem der Inkompatibilitäten im letzten Sommer auffiel, während er sich mit Wales auf einer Konferenz in Spanien unterhielt. Er habe sich dabei an die alten Zeiten der Mainframe-Computer erinnert, als Maschinen aufgrund von Inkompatibilitäten einfach keine Daten austauschen konnten. Lessig glaubt, dass das alles nur passieren konnte, weil sich auch die Rechtskultur noch in derart alten Zeiten befinde: "Wir müssen das Prinzip der Netzwerke auf das Recht anwenden", meint Lessig.

Das ist leichter gesagt als getan. Eine Teillösung des Problems könnte recht einfach sein, meint Eben Moglen, Professor an der Columbia Law School und Gründer des Software Freedom Law Center. Es sei vergleichsweise einfach, die Sprache der Lizenzen so anzupassen, dass ein Mix bestimmter "Copyleft"-Ansätze möglich werde, ohne die Originallizenzen zu kompromittieren. Allerdings fehlt es derzeit noch an allgemeinen rechtlichen Grundlagen für solche Lizenzen, was bei Mischwerken womöglich dazu führen könnte, dass sie dann doch nicht mehr frei weiterzugeben sind.

Die "Creative Commons"-Bewegung will dieses Problem nun angehen. Im Januar 2006 sollen sprachlich angepasste Lizenzen vorgestellt werden, die eine Art Einweg-Kompatibilität zur FDL schaffen – Menschen, die ihre Werke unter die FDL stellen, sollen auch "Creative Commons"- Inhalte verwenden dürfen.

Laut Lessig kursieren bereits Entwürfe innerhalb der "Creative Commons"- Gemeinschaft. Wales versucht derweil, die Free Software Foundation zu Veränderungen bei der FDL zu bewegen, damit FDL-Inhalte auch in "Creative Commons"-Werken enthalten sein können.

Lessig und seine Kollegen arbeiten auch am Start eines Beraterkreises namens "CC: Lab", der aus sechs bis acht Experten auf dem Gebiet der Lizenzierung besteht. Er soll zu einem Standardisierungsgremium für "Copyleft"-Lizenzen werden, das festlegt, wie man Lizenzen strukturieren muss, damit man Inhalte, die man mit anderen teilen will, auch tatsächlich miteinander teilen kann. Laut Lessig kommen die Gründungskosten für das neue Gremium zunächst aus dem "Creative Commons"-Topf, er will aber auf längere Sicht Forschungsgelder einwerben. Er hofft, dass der neue Beraterkreis bereits im Frühling 2006 erstmals zusammentreten kann.

Lessig glaubt, dass der Designfehler in den "Copyleft"-Lizenzen noch früh genug entdeckt wurde, um behoben zu werden, bevor die ersten Klagen drohen. Dennoch hält er das Problem für ziemlich komplex: "Es ist nicht leicht zu beheben, aber es ist durchaus machbar", meint er. Es bedürfe nur genügend anwaltlichen Geschicks und des guten Willens aller Beteiligten, die verschiedene freie Lizenzen entwickelt haben.

Von Michael Fitzgerald; Übersetzung: Ben Schwan. (wst)