Steaks aus der Retorte

Für die Produktion von 100 Gramm Fleisch werden heute 7000 Liter Wasser verbraucht. Niederländische Forscher wollen das ändern: Sie züchten Schweine-Muskelmasse aus Stammzellen

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Von
  • Stephan Schleim
Inhaltsverzeichnis

Stellen Sie sich ein saftiges Schnitzel vor, bei dem Sie sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob es mit Hormonen oder Antibiotika vollgepumpt ist. Auch Meldungen über BSE und Vogelgrippe verderben Ihnen nicht mehr länger den Appetit. Selbst moralische Bedenken gegenüber der Massentierhaltung fechten Sie nicht an. Das Schnitzel auf Ihrem Teller ist durch und durch sauber – entstanden aus einer Zellkultur.

Was sich anhört wie aus einem Science- Fiction-Roman, ist das Ziel eines Forschungsvorhabens, das seit April 2005 mit 4,3 Millionen Euro gefördert wird: Das niederländische Wirtschaftsministerium, drei Universitäten und der Fleischproduzent Stegeman finanzieren die Forschung. Die prinzipielle Tauglichkeit des Verfahrens soll bis 2010 gezeigt werden – mit dem ersten Prototypen rechnen die Forscher im Jahr 2012.

„Wir suchen Zellen, die sich alle 10 bis 15 Stunden verdoppeln und 150 Teilungsprozesse überstehen, ohne ihr Verhalten zu ändern“, sagt Henk Haagsman, Professor an der Fakultät für Veterinärmedizin in Utrecht. Die Wahl fiel deshalb auf Stammzellen, die im Gegensatz zu anderen Körperzellen bei der Teilung keine DNA-Information verlieren. Gewonnen wird dieses Ausgangsmaterial durch künstliche Befruchtung schweinischer Eizellen vom Schlachthof oder direkt aus dem Knochenmark geschlachteter Schweine. In einer Nährlösung werden die Stammzellen dann zur Teilung angeregt; dabei gilt es zunächst zu verhindern, dass die Zellen sich zu anderen Zellarten entwickeln.

Haben die Forscher so genügend Biomasse erzeugt, regen sie sie mittels Wachstumsfaktoren dazu an, sich zu Myoblasten auszudifferenzieren – den Vorläuferzellen von Muskeln. Ist dies vollbracht, lassen sich die Schwein-Myoblasten durch mechanische und elektrische Stimulation zur Myogenese anregen, in der sich Muskelgewebe bildet. Darauf hofft zumindest Carlijn Bouten, Gewebeingenieurin an der Universität Eindhoven. Als Endprodukt hätten die Bauern der Neuzeit dann tatsächlich Schweinefleisch gewonnen – auch wenn die herangezüchtete Masse in ihrer Konsistenz eher an verarbeitete Formen von Fleisch erinnert. „Mit Mäusezellen ist uns das schon gelungen“, berichtet Bouten, „doch mit Schweinezellen hat es noch niemand geschafft.“

Die Idee des Steaks aus der Retorte ist nicht neu: Schon 1924 schrieb Winston Churchill, der damals noch als Journalist arbeitete, über die Absurdität, ein ganzes Hühnchen aufzuziehen, um dann seine Brust oder Flügel zu essen. Die Möglichkeit, die begehrten Stücke separat in einem geeigneten Medium zu züchten, sagte er in seiner Schrift „In fünfzig Jahren von heute“ für 1974 voraus.

In der Realität dauerte es dann doch ein wenig länger. Willem van Eelen, ein holländischer Industrieller und Forscher, hatte Anfang der 90er Jahre erste Experimente an der Universität Amsterdam durchgeführt und erwarb 1999 das weltweite Patent für die Fleischherstellung in vitro. Etwa zur gleichen Zeit weihte er Haagsman und weitere Forscher in sein Vorhaben ein. Noch heute, im Alter von mehr als 80 Jahren, steht er dem Projekt als Senior- Berater bei. Sein Ziel: den weltweiten Hunger zu bekämpfen.