Auf den Glatzkopf zeigen

Einst schützte sich China mit der Großen Mauer vor Eindringlingen aus dem Norden. Heute umgibt sich das Reich der Mitte mit einem digitalen Schutzwall. Doch wie die reale bietet auch die virtuelle Mauer keine perfekte Absicherung

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Werner Pluta
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Das Geschrei war groß, als die chinesische Domainverwaltung CNNIC Änderungen an ihrem System für die Vergabe von Internet-Namen vermeldete: China wolle sich aus der weltweiten Adressverwaltung, dem Domain Name System (DNS), verabschieden, unkten westliche Medien. Über die Hintergründe wussten die Zeitschriften und Fernsehsender auch Bescheid: Die Regierung wolle die freie Informationsverbreitung behindern und die Bevölkerung noch stärker als bisher vom Internet abschnüren.

Was wie ein erneuter Akt schamloser Zensur chinesischer Bürokraten aussah, war in Wirklichkeit der überaus harmlose Versuch der chinesischen Domainverwaltung, für mehr Übersicht im Netz zu sorgen. Das CNNIC hatte lediglich verkündet, dass nun auch die Domains „.cn“, „.com“ und „.net“ in chinesischen Zeichen zur Verfügung stünden. Auch wenn in diesem Fall die westlichen Medien falsch lagen und die Meldung dem „fehlenden Verständnis“ eines Journalisten geschuldet war, wie CNNIC süffisant anmerkte – unberechtigt ist das Misstrauen gegenüber den chinesischen Behörden in puncto Internet nicht. Die Partei hält strikt an ihrer Haltung zur Presse- und Meinungsfreiheit fest. Weil sie sich vom Medium nicht die Inhalte diktieren lassen wollen, ließen die Mächtigen in Peking eine digitale Mauer gegen das unerwünschte Gedankengut aus dem Westen errichten.

Wie einst Wächter auf der Großen Mauer darauf achteten, dass die Mongolen hübsch auf ihrer Seite blieben, wachen heute Computer darüber, dass keine digitalen Eroberer die Mauer überwinden. Die Behörden haben ihre Straßensperren an verschiedenen Stellen auf dem Daten-Highway errichtet. Eine zentralisierte Netzwerkarchitektur vereinfacht die Kontrolle: Fünf Gateway- Rechner, die China an die internationalen Netze anbinden, sind der Dreh- und Angelpunkt der Zensurmaßnahmen. Auf ihnen sind Filter installiert, die die Internet-Adressen von Webangeboten oder Einzelseiten mit unerwünschten Inhalten blockieren. Auch Anfragen an Suchmaschinen mit verbotenen Stichworten scheitern an der digitalen Mauer.

Früher kamen die Filterprogramme von den einschlägigen amerikanischen Software-Schmieden wie Sun Microsystems, Nortel Networks, Cisco Systems oder Microsoft. Inzwischen haben auch einheimische Software-Hersteller entsprechende Produkte entwickelt, beispielsweise „Wangluo Shentang“ (Webdetektiv) des Shanghaier Unternehmens Rainsoft. Torwächtern gleich lassen sie nur passieren, was nach Ansicht der Regierung für das Reich der Mitte keine Gefahr darstellt. Die taiwanische Regierung, der Dalai Lama, Menschenrechtler wie Human Rights in China oder die Falun-Gong-Sekte sind nicht willkommen, ihre Websites bleiben draußen. Die Nutzer erhalten lediglich eine technische Fehlermeldung – oder werden auf Seiten umgeleitet, auf denen die Regierung ihre offizielle Sicht zum jeweiligen Thema bekannt gibt.

Das System funktioniert recht effektiv, wie Forscher herausgefunden haben. Zweimal bereits, 2002 und 2005, hat ein Team um Jonathan Zittrain, Jurist an der Harvard Law School, in großen Studien von verschiedenen Orten in China aus den Zugang zu unerwünschten Websites getestet. Von 200 000 Webangeboten waren bis zu 50 000 mindestens einmal blockiert. Es sei jedoch, sagt Zittrain, heute wie damals schwer, die Zahl der gefilterten Seiten zu schätzen. „Nach unseren Erfahrungen wird heute mindestens genauso umfassend gefiltert wie damals – wahrscheinlich sogar mehr, um mit der wachsenden Zahl an Websites Schritt zu halten.“ Allerdings gelingt es den chinesischen Behörden längst nicht immer, ihr Netz von kritischen Inhalten freizuhalten. So fand Zittrain beispielsweise ein großes CNN-Webspecial über die Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 frei zugänglich. Dabei wird dieses Ereignis in China konsequent totgeschwiegen.

Recht gelassen scheinen die chinesischen Behörden zu sein, wenn es um die Kommunikation der mehr als 111 Millionen Netizens geht: Zumindest in den Backbones, so die Erkenntnis der 2005er Studie von Zittrain, werden E-Mails nicht gefiltert. Allerdings hat das Ministerium für Informationsindustrie (MII) auch hier vorgesorgt – statt mit eigener Technik mittels Politik. Alle im Internet tätigen Unternehmen mussten bereits 2002 eine Selbstverpflichtung unterzeichnen, nach der sie sich an die vom MII definierten „grundlegenden Prinzipien“ für ein gutes Internet halten: „Patriotismus, Gesetzestreue, Fairness und Vertrauenswürdigkeit“. Ein ebenso geschickter wie perfider Schachzug, denn die Inhalte-Anbieter, Zugangsprovider und Internetcafé-Betreiber werden dafür verantwortlich gemacht, dass ihre Kunden nichts zu sehen bekommen, was gegen diese Prinzipien verstößt.

Die Anbieter allerdings legen die Vorgaben recht großzügig aus. Dorit Lehrack zum Beispiel, Mitarbeiterin der in Peking ansässigen unabhängigen Umweltorganisation Cango, erhält praktisch jede Mail – „egal was in der Mail steht“. Dabei wäre es naheliegend, dass auf den Mailservern der Provider Filterprogramme installiert sind. Ein solcher Flaschenhals ist relativ einfach zu kontrollieren. Das Forscherteam um Jonathan Zittrain bestätigt die anekdotischen Erfahrungen Lehracks: Sie verschickten zehn Testmails an Mail-Accounts bei fünf verschiedenen Anbietern, darunter Sina.com und NetEase, zwei der drei größten chinesischen Webportale. Die Mails enthielten politisch hoch sensible Inhalte – Berichte über die Verhaftung tibetischer Mönche oder die Zahl der Hinrichtungen in China, jeweils in Englisch und in Chinesisch. Während die englischsprachigen Mails fast ausnahmslos durchgingen, schlugen die Filter bei den chinesischen Mails zu. Allerdings höchst inkonsistent: Zwei der Testmails wurden von keinem der fünf getesteten E-Mail-Provider geblockt, keine einzige, die nicht mindestens bei zwei Anbietern durch die Maschen geschlüpft ist. Was gefiltert wird, ist zudem von der Kodierung der Schriftzeichen abhängig: Vier Filterprogramme reagierten auf Schriftzeichen, die mit dem offiziellen chinesischen Zeichensatz (GB 2312) kodiert waren, auf in Unicode gesetzte Schriftzeichen hingegen nur eines.