Netzneutralität: Holzauge sei wachsam

Ist die Diskussion um die mögliche Aufhebung der Netzneutralität tatsächlich nur ein Hype? Entwicklungen in den USA sprechen dagegen.

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Anfang Mai forderte mein Kollege Sascha Mattke an dieser Stelle, in der aktuellen Diskussion um die Beibehaltung der Netzneutralität Gelassenheit walten zu lassen. Der Markt, so Mattke damals, wirke stabilisierend: Entscheide sich die Telekom beispielsweise, in ihrem kommenden Highspeed-VDSL-Netz manche Webanbieter nur gegen Bezahlung durch diese durchzulassen, könne der Kunde ja dann zu einem "liberaleren" Provider wechseln.

Ich muss zugeben, dass ich diesen Gedankengang zur potenziellen Beruhigung der Internet-Massen nicht teilen kann. Ganz davon abgesehen, dass wir uns zum Glück noch nicht in der üblen Position befinden, unsere Internet-Anbieter nach jeweiligem Durchlassverhalten auswählen zu müssen: Die Argumentation hinkt zumindest für die USA deutlich. Dort wird der Breitbandmarkt durch eine Zahl kaskadierter Übernahmen inzwischen nur noch von einer Hand voll DSL- und Kabel-Providern kontrolliert, deren Bosse nahezu geschlossen über die letzten 12 Monate Antinetzneutralitätsideen aufs Tableau brachten. Zu welchem "liberalen" Provider soll man dann noch wechseln?

Dass sie es ernst meinen mit der haarsträubenden Idee, das Internet-Grundprinzip umzukrempeln (Webanbieter zahlen für die Anbindung ihres Servers ins Netz, Endkunden zahlen für ihren Internet-Anschluss, beide Leitungen treffen sich an den großen Austauschknoten), zeigt eine aktuelle Pseudo-Guerilla-Kampagne, die im US-Internet herumgeistert. Unter dontregulate.org für das gezielt in Weblogs geworben wird, zeigt die so genannte "Hands Off the Internet"-Koalition ein Flash-Filmchen, das die Debatte um die Netzneutralität auf den Kopf stellt und mich persönlich an einen anderen Industrie-Spot erinnert, mit dem die US-Energiekonzerne derzeit versuchen, CO2 als Naturgas darzustellen. Kein Wunder eigentlich: "dontregulate.org" und "Hands Off the Internet" werden von den großen US-Breitbandanbietern wie AT&T und Bellsouth finanziert – ergänzt durch aufstrebende Mobilfunk-Betreiber wie Cingular (die gerne große Breitband-Provider wären) und einige Netzwerkgerätehersteller wie Alcatel, die von einem "tiered Internet", in dem Datenpaket plötzlich nicht mehr gleich Datenpaket ist, massiv mit dem Verkauf neuer Routing-Technik profitieren würden.

Vertreter der Netzneutralitäts-Community werden in dem "dontregulate.org"-Spot als Wirrköpfe dargestellt, die mit ihren Forderungen nach einer gesetzlichen Festschreibung einer Nichtdiskriminierung des Internet-Datenverkehrs zum Endkunden nur für Bürokratie und Regulierungswahn einträten. Der Ausbau der neuen Highspeed-Netze, die ja nicht viel mehr als einfache beschleunigte Zugangswege auf dem kurzen Abschnitt zum Endkunden sind, wird auf "dontregulate.org" plötzlich zur Gemeinschaftsaufgabe des gesamten Netzes verklärt – dabei zahlt kein Provider irgendeinem Webserver-Betreiber Geld für dessen Inhalte, verdient aber trotzdem an Internet-Abos. Angeblich, so der Spot weiter, könnten große Website-Anbieter es gar nicht abwarten, über diese neuen Datenautobahnen zu flitzen: "Sie werden Milliarden machen", heißt es dazu im Flash-Filmchen, "und sie wollen nichts dafür zahlen." Dass jeder Website-Anbieter Kilobyte für Kilobyte an abgehenden und ankommenden Traffic ins Internet zahlt, wird mal eben unter den Tisch gekehrt – die Inhaltelieferanten, aufgrund derer die Kunden überhaupt ihr DSL-Abo bei den großen Telekommunikationskonzernen bestellen, sollen plötzlich zweimal zahlen. (Bekommt der Kunde ein schnelleres Internet, zieht er sich auch mehr Inhalte vom Server, was den Inhalteanbietern wiederum ständig höhere Kosten verursacht.)

Der "dontregulate.org"-Spot enthält noch weitere Unwahrheiten. So sei angeblich geplant, gigantische neue Gesetzeswerke zu formulieren, um die Netzneutralität zu sichern, die es doch gar nicht brauche. Doch neu ist die Netzneutralität in den USA überhaupt nicht – sie galt bereits im Modemzeitalter, wurde dann von der Regulierungsbehörde FCC aber (leider) nicht in die Breitband-Zukunft überführt.

Gefährlich wirds, wenn man bedenkt, dass AT&T, Bellsouth, Verizon und ihre Kabelbrüder wie Comcast in den USA anderen Telekommunikationskonzernen in Europa als Vorbild dienen. Telekom-Chef Ricke hatte bereits Sympathien für Pläne geäußert, etwa Google für die VDSL-Anbindung zahlen zu lassen. Der deutsche Breitband-Markt ist derweil auch nicht so frei, wie er sich anfühlt: Er hängt größtenteils an Telekom-Infrastruktur, die über Resale-Deals an andere Provider weitergereicht wird. Dass der schöne offene DSL-Markt keineswegs gottgegeben ist, zeigen die Bestrebungen der Bundesregierung, VDSL tatsächlich von der Regulierung auszunehmen – dabei ist das keineswegs eine neue Technik, allein eine Beschleunigung. (Noch nicht einmal "Fiber to the Home"/Glasfaser ins Haus betreibt die Telekom bei VDSL – stattdessen läuft weiterhin brav altes Kupfer von den für VDSL aufgerüsteten Verteilern in die Wohnungen.)

Es geht hier im Übrigen nicht um Marktgiganten von Google, die ausgeblendet werden sollen, wenn sie nicht im Sinne der Telkos spuren. Nein, ein "tiered Internet", in dem womöglich nichtzahlenden Site-Betreibern nur die Kriechspur bleibt, haut den neuen Internet-Firmen und kleinen Webdiensten auf den Kopf, die derzeit in ungeahnter Anzahl erneut erblühen. Es geht auch um nutzergenerierte Inhalte wie Weblogs, die auf der Strecke bleiben könnten, wenn das Netz in die Bereiche "Webserver hat bezahlt" / "Webserver hat nicht bezahlt" eingeteilt würde. Mit dem Ende der Netzneutralität bzw. einer fehlenden Festschreibung derselben könnte sich außerdem die Zensurfalle öffnen: Wenn die Provider tatsächlich erst einmal bestimmen, was die Nutzer sehen dürfen, haben zum Beispiel gegenüber der Betreiberfirma kritische Blogpostings womöglich keine Chancen mehr.

Aber vielleicht liegen die Telekoms dieser Welt ja nur in den letzten Zügen. Bandbreite wird immer billiger, sie ist eine Commodity in immer mehr Ländern der Welt. Wenn man da jetzt einen großen Stunk anzettelt und sich wieder wichtig macht ("Wir haben die Leitungen zum Endkunden!"), könnte dies auch zu Abwehrreaktionen der Nutzer führen. Vielleicht steht uns ja dann das Aufblühen von Alternativnetzen über WLAN (Freifunk!) bevor, die das freie Internet weiter garantieren. Doch so weit sollte es eigentlich nicht kommen: Das Internet funktioniert, wie es heute ist, hervorragend, auch die Telkos, die nun zur Kasse bitten wollen, verdienen nach wie durchaus ordentlich. Eine Veränderung dieser Verhältnisse ist so unnötig wie ein Kropf, jede Einschränkung des freien Inhalteflusses bedenklich. (Warum soll man beispielsweise gezwungen werden, Telekom-DSL-Abonnent zu werden, um deren IPTV zu sehen? Ist doch alles Internet!)

Solange die Telkos mit Propaganda wie dem "dontregulate.org"-Spot zu Werke gehen, muss erlaubt sein, genauso leidenschaftlich für die Netzneutralität zu argumentieren. Ich persönlich kann da nicht gelassen bleiben – das freie Internet ist mir einfach zu wichtig, wir haben lange genug dafür gekämpft.

Ben Schwan schreibt seit 12 Jahren über Internet-Technologie und kann sich noch genau an die Zeit erinnern, als Provider wie AOL und T-Online nur eingeschränkten Webzugriff ermöglichten. (wst)