"Die Terroristen gewinnen in jedem Fall"

Sicherheits-Experte Bruce Schneier im Interview mit Technology Review über die realen Chancen, die wir gegen den Terrorismus haben.

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Der Kryptologe und Sicherheitsexperte Bruce Schneier hält die verschärften Sicherheitsmaßnahmen auf Flughäfen nach dem Londoner Terror-Plot für völlig übertrieben – im Gegenteil, sie seien sogar gefährlicher Selbstbetrug. Im Interview mit Technology Review spricht Schneier über die realen Chancen, die wir gegen den Terrorismus haben.

Technology Review: Herr Schneier, überraschen Sie die teils drakonischen Sicherheitsmaßnahmen, die die britische Regierung nach Aufdeckung des Londoner Terror-Plots ergriffen hat? Werden wir künftig Flugreisen als etwas extrem Unangenehmes empfinden?

Bruce Schneier: Das ist gut möglich. Jedes Mal, wenn es eine terroristische Bedrohung gibt, scheinen Regierungen und Fluglinien neue Sicherheitsregeln zu erfinden, unter denen wir dann alle zu leiden haben. Nur: Nichts wird dadurch sicherer. Statt dessen machen uns diese Regelungen das Leben schwer und machen das Fliegen komplizierter.

TR: Ergibt sich aus den Informationen, die über die Londoner Zelle bislang herausgegeben wurden, tatsächlich eine ersthafte Bedrohung? Es gibt inzwischen Chemiker, die meinen, es sei äußerst schwer, einen solch flüssigen Sprengstoff an Bord zu mixen.

Schneier: Je mehr wir über diesen "Plot" erfahren, desto weniger plausibel erscheint er. Unglücklicherweise wurden die Briten von den Amerikanern bedrängt, die Verdächtigen zu früh zu verhaften, dementsprechend kennen wir nicht viele Details darüber, was sie überhaupt wollten.

TR: Was kann die moderne Flughafensicherheit überhaupt erkennen und was nicht?

Schneier: Es geht hier nie um die richtige Technologie, sondern um die Menschen. Flughäfen sind schlicht und ergreifend zu komplex um sie wirklich vollständig abzusichern – es gibt viel zu viele Personen, die da jeden Tag rein und raus können. Es ist ein falscher Ansatz, sich auf gefährliche Gegenstände zu konzentrieren, die an Bord geschmuggelt werden könnten. Die heutigen Sicherheitsmaßnahmen fangen die Dummen und schlecht Vorbereiteten, was allein vielleicht okay ist, um sie beizubehalten. Aber der Fokus kann nicht darin liegen, gefährliche Gegenstände aus Flugzeugen fernzuhalten – wir müssen die Terroristen vorher fangen. Auch in den Gefängnissen schaffen wir es doch nicht, Waffen herauszuhalten. Wie soll das dann bei Flughäfen funktionieren?

TR: Leben wir also insgeheim in einem Status "akzeptierter Sicherheit", in der die Sicherheitsmaßnahmen von sich aus schon bestimmte Gefahren nicht abwehren können? Ist das nicht gefährlicher Selbstbetrug?

Schneier: Sicherheit ist nie perfekt, sie ist immer ein Kompromiss. Wenn man denkt, dass man bestimmte Materialien von einem Flugzeug fernhalten könnte, ist das durchaus gefährlicher Selbstbetrug. Man darf auch nicht vergessen, dass sich die Terroristen unsere Sicherheitsmaßnahmen ansehen. Pistolen und Messer sind verboten, also nehmen sie Teppichschneider. Wir verbieten Teppichschneider und Korkenzieher und sie verstecken ihre Bomben in ihren Schuhen. Dann röntgen wir Schuhe und die Terroristen nehmen Flüssigkeiten und Gels mit an Bord. Verbieten wir die, fällt ihnen garantiert noch etwas anderes ein. Das ist alles schlicht und ergreifend Zeitverschwendung.

TR: Sie haben Ihre Weblog-Leser kürzlich aufgefordert, Hollywood-reife Terror-Szenarien einzuschicken, die nicht zu stoppen sind. Was kam dabei heraus? Was waren die erschreckendsten?

Schneier: Diejenigen, die am plausibelsten waren. Wie sich zeigte, ist es es enorm einfach, gute Terrorplots zu erfinden. Aus diesem Grund kann funktionierende Sicherheit sich nicht nur auf solche Plots konzentrieren. Weil es für Terroristen so einfach ist, sich Alternativen auszudenken.

TR: Glauben Sie, dass die Terroristen derzeit gut zu lachen haben, wenn sie sich die Lage an unseren Flughäfen ansehen?

Schneier: Sie sind sicher sehr mit sich zufrieden. Wenn man sich unsere Reaktion so ansieht, könnte man meinen, dass sie erfolgreich gewesen wären.

TR: Wie würde die ideale Sicherheit am Flughafen aussehen? Gibt es die überhaupt?

Schneier: Idealerweise wäre die so wie vor dem 11. September. Seither gab es eigentlich nur zwei tatsächliche Verbesserungen: Verstärkte Cockpit-Türen und die Tatsache, dass die Passagiere nun wissen, dass sie sich gegen Terroristen wehren müssen. Alles andere war schlichtweg "Sicherheitstheater" – Sicherheit, die gut aussieht, aber nichts erreicht.

TR: US-Medien berichteten kürzlich, dass beispielsweise Ladegut, das regulär mit vielen Passagiermaschinen mitfliegt, nahezu nicht kontrolliert wird. Wie viele dieser großen Lücken gibt es noch?

Schneier: Es gibt Hunderte dieser Sicherheitslöcher und wir werden sie niemals alle schließen können. Die Lehre, die man aus den britischen Festnahmen ziehen kann ist doch folgende: Die beste Investition in Sicherheit bleiben effiziente Geheimdienste und Sicherheitsbehörden, die gut ermitteln. Im Gegensatz zu Sicherheitsmaßnahmen, die sich auf hypothetische Plots konzentrieren, müssen wir hier nicht raten, was passieren wird. Wenn wir Milliarden in die Flugzeugsicherheit investieren, attackieren die Terroristen eben gut besuchte Filmtheater. Dann haben wir nicht nur unser Geld verschwendet.

TR: Terroranschläge können viele Opfer haben, doch die Gefahr, tatsächlich einem solchen Plot zum Opfer zu fallen, ist verhältnismäßig gering, wenn man dies etwa mit der Rate an Verkehrsunfällen vergleicht. Sollten wir dies im Hinterkopf behalten?

Schneier: Tot ist tot. In den USA haben wir beispielsweise offiziell beschlossen, dass es okay ist, dass wir jedes Jahr 40.000 Verkehrstote haben. WIr könnten diese Zahl deutlich senken, in dem wir strikte Geschwindigkeitsbeschränkungen einführen würden und Alkohol am Steuer stärker verfolgen, aber wir haben uns eben anders entschieden. Terrorismus sollten wir ganz genauso betrachten. Sicherheit ist, wie ich bereits erwähnte, immer ein Kompromiss.

TR: Es gibt ein berühmtes Zitat des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, der am Ende der katastrophalen Weltwirtschaftskrise den Amerikanern zurief, dass das einzige, was sie zu fürchten hätten, die Angst selbst sei. Sollten wir uns daran heute wieder erinnern?

Schneier: Die einzige perfekte Abwehrmaßnahme gegen Terrorismus ist, sich nicht terrorisieren zu lassen. Stellen Sie sich eine Sekunde lang vor, den britischen Verdächtigen wäre es gelungen, zehn Flugzeuge in die Luft zu sprengen. Danach gäbe es ein Chaos auf den Flughäfen, Verbote von Handgepäck und Politiker, die ein hartes Durchgreifen fordern. Das ist exakt das gleiche, was wir jetzt erleben. Je mehr wir uns von solchen Terrorszenarien terrorisieren lassen, desto mehr spielen wir Terroristen in die Hände.

Und wenn wir es dann auch noch zulassen, dass wir deshalb unsere Freiheiten und Grundrechte aufgeben müssen, gewinnen die Terroristen sogar, wenn sie vor dem Anschlag geschnappt werden. Im Umkehrschluss gilt: Lassen wir uns nicht terrorisieren, verlieren die Terroristen selbst dann, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. (wst)