Web2.0-Konferenz: Im Info-„Dreck“ nach Gold graben

Transparente Online-Dienste krempeln langsam, aber sicher Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle weltweit um.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Steffan Heuer
Inhaltsverzeichnis

Das Geschäft im und mit dem Internet boomt wie seit Jahren nicht mehr und reißt dabei die gesamte „alte Wirtschaft“ mit. Die Gründe verbergen sich hinter dem handlichen Etikett „Web2.0“ – einem Sammelbegriff für interaktive Web-Dienste, bei denen Anbieter wie Amazon.com oder Google ihre Schnittstellen zu Daten und Programmen (APIs) offen legen, sodass sich Software mit Software austauschen kann. Das erlaubt jedem Nutzer nicht nur endlose Kombinationsmöglichkeiten, sondern bietet auch ungeahnt viele Chancen, die Augäpfel und Transaktionen von Web-Surfern zu Geld zu machen – von YouTube-Videos über dynamische Satellitenkarten bis zu sich selbst platzierenden Banneranzeigen.

Sammelpunkt der Web2.0-Gemeinde ist seit drei Jahren eine Konferenz gleichen Namens, die der Technologie-Verleger Tim O´Reilly 2004 ins Leben rief und damit dem Phänomen einen griffigen Namen gab. Inzwischen ist die Veranstaltung offiziell zu einem „Gipfeltreffen“ umbenannt, auf dem in diesem Jahr rund 1.500 zahlende Gäste in San Francisco erschienen. Weitere 5.000 Interessenten mussten abgewiesen werden, so dass O´Reilly und sein Mitveranstalter, der Hightech-Journalist John Battelle, für April 2007 eine zweite Konferenz namens Web2.0 Expo ins Leben gerufen haben.

„Der große Umsturz fängt gerade erst an“, erklärt O´Reilly in einem neuen Statusbericht, in dem auf gut 90 Seiten die wichtigsten Triebkräfte und Konsequenzen des Web2.0-Booms aufgelistet sind. Web-Anwendungen werden danach verstärkt in Unternehmen Einzug halten, nachdem sie sich bei Verbrauchern zu explosiv wachsenden Hits entwickelt haben.

Der neue Boom lässt sich in harten Dollar messen. Laut neuesten Zahlen von Dow Jones VentureOne und Ernst & Young flossen in den ersten neun Monaten dieses Jahres rund 455 Millionen Dollar Risikokapital an insgesamt 79 Web2.0-Firmen – mehr als doppelt so viel als im Vorjahreszeitraum. Damit ziehen Web2.0-Unternehmen inzwischen knapp ein Drittel aller VC-Investitionen in neue Verbrauchertechnologien in den USA auf sich. Die anhaltende Hausse an der Wall Street spült etablierten Online-Namen zudem mehr Geld in die Kriegskasse, um Startups zu schlucken. So liegt die Marktkapitalisierung der fünf größten Internetfirmen mit knapp 260 Milliarden Dollar um 50 Prozent höher als auf dem Höhepunkt des NASDAQ-Booms im März 2000.

O´Reilly identifiziert in seinem Statusreport sechs Faktoren, die den Markt für Web-Dienste vorantreiben. Die Nutzerbasis ist global, Kunden sind immer online und greifen von überall auf Web-Dienste zu. Sie sind viertens nicht nur passiv verbunden, sondern nehmen engagiert teil. Für die Anbieter haben sich nicht nur die Herstellungskosten dramatisch verringert, sondern auch neue Chancen aufgetan, um Umsatz zu generieren.

Wer dabei erfolgreich sein will, so O´Reilly, muss die „kollektive Intelligenz“ seiner Nutzer für die eigene Unternehmung einspannen, sodass Software und Services umso besser und wertvoller werden, je mehr Menschen sie nutzen. Man muss zudem bereit sein, sich auf kleinste Nachfrage-Nischen – den so genannten „Long Tail“ einzustellen – und im ständigen Beta-Zustand arbeiten, also kontinuierliche Verbesserungen vornehmen.

Das rasante Wachstum im neuen Web beginnt sich bereits zu rechnen. Zum Beispiel für das größte Social-Networking-Drehkreuz MySpace, dessen rund 56 Millionen monatliche Besucher für Bestückung und Unterhalt ihrer Seiten die eigene Zeit investieren. Sie bauen damit für die News Corp. Tochter Fox Interactive Media, die MySpace Ende 2005 für 580 Millionen Dollar kaufte, eine kostenlose Werbekundschaft auf, die beständig weiterwächst.

So richteten alleine im Oktober rund 320.000 Menschen pro Tag eine eigene Seite auf MySpace ein. „Die Zeit, die unsere Nutzer bei uns verbringen, ist im vergangenen halben Jahr um 30 Prozent gestiegen“, berichtete Ross Levinsohn, FIM General Manager. Auch wenn die Nutzer in europäischen Märkten wie Deutschland bislang ausbleiben – die Investition macht sich weniger als ein Jahr nach der Akquisition bereits bezahlt. Google zahlt News Corp. über die nächsten drei Jahre 900 Millionen Dollar, um dessen Surfern maßgeschneiderte Suchergebnisse und Anzeigen zu servieren.