Biowaffen II: Tödlicher Husten

Das Zeitalter der biologischen Kriegsführung hat gerade erst begonnen. Terroristen oder staatliche Labore werden die neuen Technologien nutzen. Zweiter Teil des Reports über den Stand der Biowaffen-Forschung

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Von
  • Mark Williams
Inhaltsverzeichnis

Das Zeitalter der biologischen Kriegsführung hat gerade erst begonnen. Terroristen oder staatliche Labore werden die neuen Technologien nutzen. Zweiter Teil des Reports über den Stand der Biowaffen-Forschung

Von Science-Fiction-Romanen hält Matthew Meselson wenig. Der Professor für Molekularbiologie an der Harvard University ist ein durch und durch nüchterner Wissenschaftler. Zusammen mit Frank Stahl war er für das historische Meselson-Stahl-Experiment von 1957 verantwortlich, das den Beweis für die semikonservative Replikation von DNA lieferte, wie Watson und Crick sie vorhergesagt hatten. Meselsons eigene Vorhersagen machen Schaudern: Bereits 2001 warnte er in den „New York Review of Books“ vor den neuen Möglichkeiten der biologischen Kriegsführung: „Unsere rasch wachsende Fähigkeit, in Lebensvorgänge einzugreifen, wird nicht nur neue Wege ermöglichen, wie Leben zerstört werden kann, sondern sie wird uns auch in die Lage versetzen, diese Vorgänge zu manipulieren – darunter auch die grundlegenden Prozesse der Kognition, der Entwicklung, Fortpflanzung und Vererbung.“

Als ich Meselson kürzlich besuchte, fragte ich ihn, ob er zu dieser Aussage noch immer stehe. „Ja“, sagte er. Ich erzählte ihm von Berichten, die Serguei Popov – einst Spitzenforscher der Sowjetunion im Bereich biologischer Waffen und heute Professor am National Center for Biodefense and Infectious Diseases an der George Mason University – aus Russland lieferte. Danach hätte es russische Versuche gegeben, neuromodulierende Krankheitserreger herzustellen. Ich erwähnte gegenüber Meselson meine Zweifel daran, dass eine solch gezielte Wirkung mit biologischen Waffen möglich wäre. „Warum?“, fragte Meselson unverblümt. Er glaube zwar nicht, das solche Waffen bereits existierten – aber er hielt sie für möglich.

Niemand kennt heute genau den Status quo in der Biowaffen-Forschung. Wann Waffen existieren werden, die mittels gentechnisch hergestellter, psychotroper Krankheitserreger Menschen angreifen können, lässt sich nur spekulieren. Aber seit Popov Russland vor knapp 15 Jahren verlassen hat, ist das biotechnologische Werkzeug, mit dem Forscher in genetische Kontrollschaltkreise eingreifen können, wesentlich wirkungsvoller und mannigfaltiger geworden. So versucht die Forschung derzeit, gezielt in die Signalwege des zentralen Nervensystems einzugreifen – prinzipiell könnte auf diesem Weg ein Mensch außer Gefecht gesetzt werden. Diese Zielgenauigkeit ließe sich selbstverständlich auch für biologische Waffen nutzen.

TERRORISTEN OHNE BOMBEN

Der jüngste Bericht der National Academies beschreibt viele unerfreuliche Szenarien aus dem Biowaffen-Bereich: Neben psychotropen Krankheitserregern halten die Autoren den Missbrauch von DNA-Interferenz für möglich, mit der die Genexpression beeinflusst werden könnte. Mittels Nanotechnologie ließen sich etwa Giftstoffe transportieren, oder Viren würden für die Verbreitung von Antikörpern sorgen, die sich gegen bestimmte ethnische Gruppen richten.

Vieles ist schon heute möglich. Popovs Myelin-Autoimmun-Waffe etwa könnte von Bioterroristen kopiert werden. Es wäre keine Kleinigkeit: Zwar sind die technischen Voraussetzungen nicht groß, dafür ist aber das erforderliche Wissen beträchtlich. Zumindest ein ausgebildeter Wissenschaftler müsste für die Terroristen arbeiten, zudem technische Assistenten, die mit DNA-Synthesemaschinen umgehen und Krankheitserreger kultivieren können. Die Terroristen müssten darüber hinaus eine Methode finden, ihre Krankheitserreger zu verbreiten. Der perfideste Weg: Bioterroristen infizieren sich selbst und spazieren anschließend durch Menschenmengen auf Flughäfen und Bahnhöfen: Ihr Husten und Niesen würde Bomben ersetzen.

Auch wenn die Biotechnologie noch einige Hürden bereithält, so wird es jedes Jahr leichter, ein Labor in der Garage einzurichten. Zu der Vorhut der Warner gehört George Church, Professor für Genetik an der Harvard Medical School. Church war es, der im Dezember 2004 bekannt gab, dass sein Team eine neue Hochdurchsatz-Synthesemaschine konstruiert hatte, die in einem Durchgang ein DNA-Molekül von 14 500 Basen produzieren konnte. Church sagt, dass seine Maschine die Produktion von Medikamenten und Impfstoffen weitaus effizienter machen könnte. Allerdings ist es auch möglich, damit das Genom sämtlicher Viren herzustellen, die auf einer Liste der US-Regierung mit ausgewählten Krankheitserregern stehen, die sich als Biowaffen eignen.