Lektionen aus dem Montreal-Protokoll

1987 beschlossen die Nationen, gemeinsam gegen die Zerstörung der Ozonschicht vorzugehen - mit großem Erfolg. Lässt sich aus dem Abkommen etwas für den Kampf gegen Klimawandel lernen?

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Von
  • David Rotman

Bis in die frühen siebziger Jahre hinein war die Chemie, ähnlich wie die Politik, vor allem eine regionale Angelegenheit - negative Auswirkungen auf die Umwelt waren zumeist vor Ort oder zumindest im gleichen Land zu spüren. Das änderte sich dramatisch, als Wissenschaftler erstmals erkannten, welche globalen Auswirkungen eine Reihe von Chemikalien aus der Gruppe der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) hatten. Diese Stoffe spielten einst eine wichtige Rolle in der Chemieindustrie und ermöglichten seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts Innovationen wie die sichere Kühlung, kostengünstige Deos in Spraydosen und die weit verbreitete Nutzung von Klimaanlagen.

Der Chemieriese DuPont war das erste Unternehmen, das die FCKWs in den frühen dreißiger Jahren unter dem Markennamen "Freon" kommerzialisierte. Die Stoffe erwiesen sich als perfekter Baustein für die Industriechemie: Ungiftig, nicht brennbar und geruchlos. Dann, 1973, machten zwei Chemiker an der University of California in Irvine eine Entdeckung: Sie untersuchten, was mit den FCKW-Gasen passierte, wenn sie in die Atmosphäre entlassen wurden. Sherwood Rowland und Mario Molina brauchten nur wenige Monate, bis sie die Antwort hatten: FCKWs sorgten in der Atmosphäre dafür, dass die Ozonschicht zerstört wurde. Diese Schicht, die 15 Kilometer über der Erde beginnt und ungefähr 30 Kilometer weiter endet, absorbiert große Teile der tödlichen UV-Strahlen der Sonne.

Die Wissenschaftler fanden damals heraus, dass die FCKW-Stoffe ohne Probleme durch die untere Atmosphäre aufstiegen - zu stabil, um mit anderen Chemikalien in der Luft zu reagieren. Hatten sie dann aber die mittlere Stratosphäre erreicht und befanden sich ein Stück über der schützenden Ozonschicht, sorgten die starken Sonnenstrahlen für ein Aufbrechen der FCKW-Molekühle und setzten Chlor frei. Zwei einfache Reaktionen bestätigten Rowlands und Molinas schlimmsten Befürchtungen:

Cl + O3 = ClO + O2 sowie
ClO + O = Cl + O2

Ergo: Das Chlor reagierte mit dem Ozon und setzte Chlormonoxid (ClO) frei, das wiederum mit einem weiteren Sauerstoff-Atom reagierte und ein Chloratom freigab. Das Endergebnis: Das Chlor zerstörte das Ozon, ohne sich selbst abzubauen. "Als uns diese die Ozonschicht betreffende Kettenreaktion klar wurde", erinnert sich Rowland heute, "wurde aus den FCKW plötzlich ein Umweltproblem".

Das nächste Jahrzehnt verbrachten Rowland und Molina damit, sich den Anwürfen der chemischen Industrie und der Kritik aus Teilen der Wissenschaftsgemeinde zu erwehren. Wie könne es sein, fragte man damals, dass ein Gas, das aus einer Spraydose kommt, derartige signifikante Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Atmosphäre haben könnte? Damals stammten zwei Drittel der FCKWs aus solchen Deobüchsen. Und die sollten das Leben auf der Erde bedrohen? "Wenn man jemand auf der Straße dazu befragte, lachten die Leute einen aus - es könne doch nicht sein, dass ein einfaches Unterarm-Deo einen globalen Effekt haben kann", erinnert sich Rowland.

Bis 1978 verboten die Vereinigten Staaten dann schließlich die meisten FCKW in Spraydosen. In den frühen achtziger Jahren ergaben sich dann komplexere Modelle der Atmosphärenchemie in Verbindung mit FCKW. Daraus folgten sich neue wissenschaftliche Fragen - Rowland und Molina hatten erneut mit Zweiflern zu tun.

Bis 1985 wurden die beiden Wissenschaftler dann endgültig bestätigt. Britische Wissenschaftler nutzten erdbasierte Instrumente, um ein riesiges "Loch" in der Ozonschicht über der Antarktis zu ermitteln. Wenig später entdeckte auch die NASA, dass es eine Verdünnung der Ozonschicht über den besiedelten Gebieten der nördlichen Hemisphäre gab. Diese Ergebnisse bewiesen, dass Rowlands und Molinas Entdeckung korrekt war. Gleichzeitig zeigte dies, dass industrielle Chemikalien, die über den Industrieregionen in Nordamerika und Europa in die Luft gelangten, die Atmosphäre global verändern konnten.

All diese Erkenntnisse führten schließlich zum so genannten "Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen", das 1987 verabschiedet wurde. Der internationale Vertrag, in dem ein Einfrieren und schließlich ein gänzlicher Stopp der FCKW-Produktion beschlossen wurde, feiert im September 2007 sein 20. Jubiläum. Er besagte, dass die FCKW-Produktion bis 1998 in den Industrienationen halbiert werden sollte - eine Überarbeitung führte aber dazu, dass es noch schneller ging. So beendeten die USA beispielsweise die Produktion bereits 1996.

Das Montreal-Protokoll gilt weithin als Meilenstein. Sogar Präsident Reagan, den man wohl kaum als Freund von Umweltschutzgesetzen bezeichnen kann, hielt das Abkommen für eine "monumentale Leistung" und unterschrieb.

Heute, 20 Jahre später, scheint eine internationale Übereinkunft zur Kontrolle der Treibhausgase schwer zu erreichen - die Debatte stockt. Vergleiche zur FCKW-Diskussion liegen nahe - schließlich gibt es kaum noch Wissenschaftler, die die globalen Erwärmungseffekte durch Klimagase wie CO2 nicht unterschreiben würden. CO2 und FCKW unterscheiden sich allerdings in wichtigen Bereichen: So hängen von der Energieproduktion, von der die Treibhausgase stammen, ganze Wirtschaften in armen wie reichen Ländern ab. FCKW wurden zumeist nur von einer Handvoll großer Chemiekonzerne produziert; CO2 entsteht an vielen Orten. Das macht den Ausstoß wesentlich schwerer kontrollierbar - die potenziell negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft wirken für viele Politiker als großes Stoppschild.

Und dennoch: Ein Blick auf das Montreal-Protokoll lohnt sich. Es zeigt, wie man es schaffen kann, zahlreiche Länder und große internationale Firmen an einen Tisch zu bringen, um sich über eine Kontrollstrategie zu einigen. Richard E. Benedick, unter Reagan im Innenministerium für Umweltfragen, Gesundheit und Natur zuständig, beschreibt in seinem Buch "Ozone Diplomacy" aus dem Jahre 1991, wie es zu dem Kompromiss kam, der letztlich zum Erfolg führte. Auch damals gab es viele wissenschaftliche und technologische Unsicherheiten - und viel politischen Zwist. Benedick selbst, der damals die US-Delegation leitete, meint, dass viele Elemente dieser Geschichte heutigen Verhandlungsführern im Bereich des Klimaschutzes bekannt sein dürften - von den Grabenkämpfen in der Regierung bis hin zur Notwendigkeit, auch im Angesicht von Zweifeln zum Kompromiss bereit zu sein.

1998 überarbeitete Benedick das Buch nochmals und ergänzte es um ein Vorwort. "Diejenigen, die ihre Untätigkeit beim Klimaschutz heute entschuldigen wollen, verweisen gerne darauf, dass das Montral-Protokoll entweder zu einfach oder zumindest nicht wiederholbar sei. Der Klimawandel ist in der Tat komplizierter und schwerwiegender als das Ozonloch. Doch die Unterschiede sind eher quantitativer denn qualitativer Natur."

Und tatsächlich: Ein wesentlicher Aspekt der beiden Probleme ist vollkommen gleich. Diejenigen, die einen Wandel wollen, müssen die Industrie und insbesondere die großen Konzerne dazu bringen, die Technologien zu entwickeln, diesen Wandel auch zu erreichen. Eine der großen Leistungen des Montreal-Protokolls liegt darin, dass den Chemiefirmen sehr schnell klar wurde, welches Marktpotenzial letztlich für sie darin lag.

Der Chemiegigant DuPont fertigte laut eigenen Angaben Mitte der achtziger Jahre die Hälfte der in den USA produzierten FCKW und gab dann in den nächsten paar Jahren 500 Millionen Dollar dafür aus, Ersatzstoffe zu entwickeln. In den frühen neunziger Jahren begannen DuPont und seine Konkurrenten, die anderen großen Chemiekonzerne der Welt, mit der Auslieferung von Ersatzstoffen an die Hersteller von Kühl- und Klimaanlagen. Gleichzeitig wurden massive Kapazitäten aufgebaut, um diese Stoffe zu produzieren.

Auch hier gibt es wieder Unterschiede zwischen FCKWs und Klimagasen: So konnten die neuen Stoffe mehr oder weniger direkt den Ozonkiller ersetzen. Für das Verbrennen fossiler Brennstoffe gibt es hingegen keinen schnellen Ersatz. Dennoch lehrt Ende der FCKW-Nutzung auch hier Wichtiges. Die Industrie begann erst dann mit Investitionen in die Entwicklung neuer Technologien, als ein einfacher und unmissverständlicher Zeitplan zur Verfügung stand, den Stoff auszumustern. Das Montreal-Protokoll ermöglicht es den Firmen, genau vorherzusagen, wann Alternativen bereit stehen mussten. Dadurch konnte die Entwicklung beginnen.

Lässt sich dieser einfache Mechanismus auch in einem Abkommen zur Kontrolle der Klimagase anwenden? Wahrscheinlich nicht genau so, weil die Komplexität der Aufgabe und die vielen verschiedenen industriellen und technologischen Anwendungen Teil der Lösung sein müssen. Dennoch sollte man die Geschichte des Montreal-Protokolls nicht einfach ignorieren.

DuPont und die anderen FCKW-Hersteller ließen sich vor allem durch die Aussicht auf einen lukrativen neuen Markt motivieren - und eine solche Motivation sorgte auch dafür, dass ihre Forschungsabteilungen neue Technologien in ungekanntem Tempo entwickelten und in die Produktion schickten. Die Entwicklung einer Alternative zu fossilen Brennstoffen wäre zwar wesentlich komplexer. Gleichzeitig sind aber auch die Geschäftschancen und der potenzielle Markt wesentlich größer. So schätzt die "Stern Review on Economics of Climate Change", die kürzlich vom britischen Finanzministerium veröffentlicht wurde, den Markt für Energieprodukte mit wenig Klimaeffekt auf 500 Milliarden bis 2050 - es könnte noch mehr sein.

Die Wirksamkeit von Strategien gegen die Klimaerwärmung hängt also wohl hauptsächlich davon ab, ob neue Märkte entstehen - so viel kann man aus dem Montreal-Protokoll lernen. Die größte Lektion ist aber wohl auch die einfachste: Wenn die Wissenschaft uns zeigt, dass eine Umweltkatastrophe droht, müssen wir schnell und vor allem bestimmt reagieren - selbst wenn es wirtschaftliche und technische Unsicherheiten gibt.

Übersetzung: Ben Schwan. (nbo)