"Mit Leuten starten, die von Haus aus halbwegs schreiben können"

Der Saarbrücker Informatik-Professor Reinhard Wilhelm über die Darstellung der Informatik in den Medien - und wie man sie seiner Meinung nach verbessern kann.

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Reinhard Wilhelm ist seit 1978 Professor für Informatik an der Universität Saarbrücken. Seit 1990 ist Wilhelm zudem Wissenschaftlicher Direktor des Internationalen Begegnungs- und Forschungszentrums für Informatik in Schloss Dagstuhl. Mit Technology Review sprach Wilhelm über die Darstellung der Informatik in den Medien - und wie man sie seiner Meinung nach verbessern kann.

TR: Professor Wilhelm, Sie haben auf dem "Tag des Wissenschaftsjournalismus" beklagt, dass in der aktuellen Wissenschaftsberichterstattung großer Tageszeitungen und Zeitschriften in der Regel Informatik und Ingenieurswissenschaften überhaupt nicht vorkommen. Was denken Sie denn, müsste dort vorkommen?

Rheinhard Wilhelm: Zunächst mal habe ich ja auch gesagt, dass es Ausnahmen gibt. Die so genannten Wirtschaftsflüchtlinge zum Beispiel - also Artikel, die eigentlich auf die Wirtschaftsseite gehören und aus irgendwelchen Gründen auf der Wissenschaftsseite landen. Zum Beispiel Artikel mit der Überschrift: Wann kommt Vista? Das gehört einfach da nicht hin, das gehört auf die Wirtschaftsseite. Dann gibt es gewisse griffige Themen, typischerweise kommen die aus dem Bereich der KI, die sind leicht zu vermitteln und brauchen keine großen Vorkennntnisse und Grundlagen, und kommen auch beim Leser an.

Die Berichterstattung über die Informatik im Kern als Wissenschaft leidet darunter, dass man vermutet, dass der Leser die Grundlagen nicht besitzt. Also wenn man beispielsweise etwas über Kryptografie schreiben würde, was ja durchaus relevant ist, dann nimmt man an, dass der Leser beispielsweise Begriffe wie Komplexität nicht kennt. Die Artikel, die man über Physik oder Biochemie findet, sind eigentlich nicht weniger komplex. Aber die Journalisten gehen davon aus, dass mittlerweile so viel darüber geschrieben wurde, dass ein gewisses Grundverständnis da ist. Bei der Informatik vermuten sie dieses Grundverständnis überhaupt nicht.

Halten Sie das für falsch?

Wilhelm: Das halte ich für falsch. Wenn man nicht anfängt, darüber zu schreiben, wird sich das nie ändern.

TR: Also ein klassisches Henne-Ei-Problem?

Wilhelm: Genau!

TR: Welche Themen aus der Informatik-Forschung sollten denn Ihrer Meinung nach in der Berichterstattung unbedingt vorkommen, weil sie für den sprichwörtlichen Mann auf der Straße relevant sind?

Wilhelm: Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass ein Thema motivierbar wäre wie: Wenn Quantencomputing funktioniert, dann ist unsere gesamte kryptografische Infrastruktur beim Teufel. Aber man müsste dann erklären, dass die bisherigen Komplexitätsmodelle für Quantencomuter nicht mehr gelten und das deswegen Probleme, die im Augenblick als schwierig angesehen werden, mit Quantencomputern in annehmbarer Zeit zu lösen sind. Ein anderes Thema wäre das wahrscheinlich bekannteste offene Problem der Informatik: Ist P gleich NP? Was ist die Mächtigkeit von Nicht-Determinismus? Ist ja eine hochspannende Frage. Die Lösung wird mit einer Million Dollar belohnt, vom Clay Institute of Mathematics. Das haben eine Menge Leute versucht, dieses Problem zu lösen - und es hätte eine Menge praktischer Konsequenzen, wenn es gelöst würde. Aber ich habe noch nicht einen einzigen Beitrag in der Wissenschaftsberichterstattung darüber gelesen.

TR: Da muss ich selber zugeben, dass ich zwar schon davon gehört, aber das Problem bisher nicht wirklich verstanden habe. Und wenn sie einfach nur die Frage "Ist P = NP?" in den Raum werfen, dann haben sie wahrscheinlich in der Tat ein Vermittlungsproblem.

Wilhelm: Das ist klar. Das braucht natürlich einen gewissen Anlauf. Aber ich denke, es ist erklärbar: Also, was heißt es, wenn ein Algorithmus raten darf? Wenn er Lösungen erzeugt, die er dann in einer polynomiellen, also akzeptablen, Zeit überprüfen können muss.

TR: Nun hat ja die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Informatik im vergangenen Jahr eine ganze Menge versucht, um die Informatik der Bevölkerung näher zu bringen. Hat das überhaupt nichts gebracht?

Wilhelm: Also überhaupt nichts, würde ich nicht sagen. Wenn Sie das Presseecho anschauen, dann war das nicht so viel. Der Robocup hat zwar eine Menge Presseecho gebracht, das bringt der aber jedes Jahr. Und wahrscheinlich hat der mehr Berichterstattung gebracht, als der gesamte Rest des Informatikjahres.

TR: Um dieses Vermittlungsproblem zu lösen, haben Sie vorgeschlagen, Studierenden der Informatik das Schreiben beizubringen. Meinen Sie, das ist einfacher, als Journalisten Informatik beizubringen?

Wilhelm: Ich denke schon. Man muss natürlich mit Leuten starten, die von Haus aus halbwegs schreiben können. Man kann nicht erwarten, dass man Leuten, die nicht schreiben können, weil sie oft nicht schreiben wollen - weil sie nicht kommunizieren wollen -, das Schreiben in einem Crash-Kurs beibringen kann. Aber gerade weil der Anlauf, den man braucht, um schwierige Informatikprobleme zu beschreiben, relativ groß ist, befürchte ich, dass, wenn man Journalisten darauf ansetzt, die den Anlauf nicht nehmen. Dass man also entweder nichts kriegt oder Blödsinn. Und ich will hoffen, wenn man kommunikationsfähige Informatiker findet, dass die das dann besser machen.

TR: Also ist eine ihrer Grundvoraussetzungen, dass sie kommunikationsfähige Informatiker finden. Dagegen steht ja aber in der Öffentlichkeit das Klischeebild des introvertierten Computerfreaks, der nur mit seiner Maschine kommunizieren kann.

Wilhelm: Gut, den werden wir nie dazu kriegen, dass er sich mit großer Begeisterung verständlich äußert. Es ist uns klar, dass wir ein gewisses Publikum anziehen, das oftmals technisch interessiert und ein wenig introvertiert ist, und ich denke, dass die wenigsten Studiengänge es schaffen, dieses zu ändern. Man legt natürlich Wert auf Teamarbeit, auf Präsentationstechniken und vernünftige Darstellung der Ergebnisse von Arbeiten, aber wir werden die Leute natürlich in ihrem Charakter nicht ändern. Wir haben da einfach ähnlich wie die Mathematiker und die Ingenieurswissenschaften ein Problem, was die Population angeht, die wir bekommen.

TR: Nun gibt es ja auch Leute, die sagen, dass Forschung so dröge daherkommt, weil sie in Form von kleinen Detailarbeiten stattfindet und die Forschenden sich in den wenigsten Fällen das Thema ihrer Diplom- oder Masterarbeiten frei aussuchen können. Halten Sie es für möglich, dass man mit so einer freien Wahl zu interessanterer Forschung kommen könnte?

Wilhelm: Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass sie ihre Diplom- oder Masterarbeiten nicht frei aussuchen können. Wenn sie in einer guten Gruppe aufgehängt sind mit einem gescheiten Projekt, dann gibt es spannende Arbeiten. Aber es ist natürlich vollkommen klar, dass man in einem 6-Monats-Zeitraum nur einen kleinen Puzzlestein beitragen kann. Da gibt es keine revolutionären Ergebnisse.

Wenn Sie aber eine Ebene höher schauen, bei den Projekten, da gibt es schon mitunter fantastische Ergebnisse. Ich erinnere mich an ein gemeinsames Projekt, das ein französischer Kollege zusammen mit Airbus aufgezogen hat. Der hat da zusammen mit seinen Doktoranden den Prototypen eines Werkzeuges gebaut, das Software für Flugzeuge verifizierte. Und darüber wurde in Le Monde berichtet. Das lässt sich also machen.

Ich war an dem Projekt beteiligt. Wir haben hier in Saarbrücken ein anderes Problem gelöst - die Ableitung von Echtzeitgarantien für Airbus. Diese Technik ist inzwischen beim A380 in der Zertifizierungsphase für mehrere zeitkritische Subsysteme. Und das ist eine ähnlich komplexe Problematik. Und wir haben es tatsächlich bis in die Saarbrücker Zeitung damit geschafft. (wst)