Open-Source-Handy, nächster Versuch

Zwar läuft das freie Betriebssystem Linux längst auf Mobiltelefonen, wirklich durchgesetzt hat sich die Technik aber nicht. Mit dem Projekt "OpenMoko" des taiwanesischen Herstellers FIC soll sich das nun ändern.

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Sean Moss-Pultz hat einen Traum. Der Amerikaner, der sich selbst als "irgendwann in Taiwan an den Strand gespülten Surfer-Jungen" bezeichnet, arbeitet beim taiwanesischen Hardware-Hersteller First International Computer (FIC) als Produktmanager für die Mobilfunksparte. Und in dieser Position werkelt er an nichts geringerem als der "Revolution des Handy-Marktes", wie Moss-Pultz im November in Amsterdam auf der Konferenz "Open Source in Mobile" vor versammelten Branchenvertretern bekannt gab.

Derlei vollmundige Ankündigungen liegen Moss-Pultz - er ist bereits seit Jahren in der Open-Source-Geek-Szene unterwegs und gilt als Linux-Evangelist. Auf Open Source, Software mit freiem Quellcode, soll auch das Handy basieren, mit dem er und FIC den inzwischen stagnierenden Mobilfunkmarkt in eine "Mobile 2.0"-Ära mit ganz neuen Möglichkeiten führen wollen.

Cheerleader Moss-Pultz kann die Probleme, die Carrier wie Handset-Hersteller aktuell plagen, im Schlaf aufzählen. Während es im PC-Markt seit Jahrzehnten Standards gibt, auf die man sich in Sachen Benutzeroberflächen und Anwendungsarchitektur geeinigt hat, dümpelt die Mobilfunkwelt noch immer in einem Chaos an ungenutzten Möglichkeiten und Inkompatibilitäten. Smartphone-Oberflächen von Symbian über Palm bis Windows Mobile streiten sich um Anwender, Nutzungskonzepte und Bedieninterfaces sind grundsätzlich verschieden, viele Handy-Käufer können nur einen Bruchteil der ihnen gebotenen Funktionen überhaupt verwenden.

Gleichzeitig sinken bei den Handy-Bauern die Margen, so dass immer häufiger erst bei besonders hohen Stückzahlen ordentliche Profite gemacht werden. Auch die Netzbetreiber haben mit sich deutlich verlangsamenden Wachstumsraten zu kämpfen: Der Mobilfunk-Markt besonders in den westlichen Industriestaaten scheint längst saturiert.

Moss-Pultz und FIC haben für diese Probleme ihrer Meinung nach eine Lösung - und die nennt sich "OpenMoko Neo1973". Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich eine Art Manifest: "Open" steht für "offen", "Moko" für "Mobilkommunikation" und "Neo1973" für die Renaissance des alten Traums der perfekten Kommunikation überall, die anno 1973 mit dem ersten Mobiltelefonat des späteren Motorola-Forschungschefs Marty Cooper begann. (Cooper entwickelte mit dem berühmten "Motorola-Knochen" das erste Handy, das diesen Namen auch einigermaßen verdiente.)

Die OpenMoko-Plattform, die allen Carriern und Handy-Herstellern offen stehen soll, will die Probleme des heutigen Marktes laut Moss-Pultz "mit einem Schlag" lösen. Linux soll als zentraler Standard dienen, auf den sich alle Anbieter ohne Kompromisse einigen können - schließlich "besitzt" niemand die Open-Source-Technik. Eine eigene, offene wie frei lizenzierte Software-Schnittstelle, Entwicklerhilfe satt und ein Linux-Paketmanager sollen es möglich machen, dass auf jedem Handy grundsätzlich ähnliche Möglichkeiten bestehen, so dass sich Software endlich austauschen lässt.

"So werden die Anwender glücklicher - und das nutzt auch den Handy-Herstellern", glaubt Moss-Pultz. Netzbetreiber könnten hingegen aus der Stagnation treten, in dem sie zu Anwendungsverkäufern werden - "Applikationen sind die neuen Klingeltöne", gibt sich der FIC-Produktmanager überzeugt.

Sein taiwanesischer Arbeitgeber selbst sieht sich bei alledem offensichtlich als Geburtshelfer: FIC will die ersten Geräte auf den Markt bringen, hat aber bei weitem nichts dagegen, dass die Technik auch anderswo verwendet wird. "Je breiter, desto besser", hieß es von Moss-Pultz in Amsterdam.

Die OpenMoko-Attacke auf den Mobilfunkmarkt soll erstaunlich schnell kommen. Noch im Frühjahr, vermutlich Mitte März, sollen die ersten Entwicklergeräte von FIC vorliegen, mit denen Linux-Experten "spielen" können. In den Massenmarkt will man bereits im Herbst eintreten.

Die Hardware der ersten Version macht einiges her: Ein verhältnismäßig großes 2,8 Zoll-Display mit hoher Auflösung (480 mal 640 Pixel), ein Samsung-Hauptprozessor mit 266 MHz, 128 MB-Hauptspeicher plus 64 MB Flash, Bluetooth, Micro-SD-Slot zur Speichererweiterung, Touchscreen, eingebautes GPS-Modul. Funken soll das Handy allerdings vorerst nur im GSM/GPRS-Netz - UMTS-Technik ist zunächst nicht vorgesehen. Der Preis ist mit geplanten 350 Dollar im oberen Bereich angesiedelt.

Die Reaktionen von Carriern und Handy-Herstellern sind allerdings noch zurückhaltend. Laut FIC werden derzeit Gespräche mit Mobilfunkanbietern geführt, die Interesse an der Plattform hätten - welche das sind, sagt die Firma noch nicht. In Sachen Verhandlungen mit anderen Handy-Herstellern will man noch gar nichts Offizielles sagen - genau die haben aber auch über Jahre in eigene Plattformen investiert, von denen sie verständlicherweise nicht so schnell weg möchten, wie Branchenbeobachter meinen.

Das könnte noch andere Gründe haben: OpenMoko ist nicht der erste Versuch, die Mobilfunkbranche auf Linux-Füße zu stellen. Als Standard funktioniert hat das bislang noch nie - auch deshalb, weil Linux längst nicht "gleich Linux" ist, subtile Abweichungen zu Inkompatibilitäten führen. Moss-Pultz hofft, diesen Problemen diesmal aus dem Weg gehen zu können - mit Hilfe der weltweiten Open-Source-Entwicklergemeinde, die auch durchaus bereits Interesse an dem Projekt zeigt.

Eine mögliche Ladehemmung droht dem OpenMoko-Projekt auch von anderer Seite: Apple hat Anfang Januar angekündigt, mit dem "iPhone" im Sommer in den Mobilfunkmarkt einzutreten. Es bietet im Vergleich zu regulären Smartphones ein deutlich verbessertes Touchscreen-Interface; offen ist die Plattform allerdings nicht.

Erstaunlicherweise gleichen sich "Neo1973"-Prototyp und iPhone-Look ein wenig - Moss-Pultz betont denn auch, dass man "trotz Linux" auf ein gut verwendbares, "sexy" Nutzerinterface setzt. Ob das Konzept wirklich ankommt, wird man frühestens im März wissen, wenn FIC sein Entwicklerkit ausliefern kann. (nbo)