Stadt auf Draht

In der amerikanischen Stadt Cambridge wird ein neuartiges Sensoren-Netzwerk aufgebaut, das intelligent und drahtlos Umwelt- und Wetterdaten melden kann. Außerdem dient es Wissenschaftlern als Großexperiment.

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Von
  • Kate Greene
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Ingenieure an der Harvard University und beim Netzwerkunternehmen BBN Technologies arbeiten an einem Projekt, bei dem das Stadtgebiet der US-Universitätsstadt Cambridge mit einem drahtlosen Sensorennetz überzogen werden soll. "Unser Netzwerk mit dem Namen 'CitySense' soll ein offenes Testlabor für all diejenigen werden, die interessante Experimente durchführen wollen", erklärt Matt Welsh, Professor für Informatik in Harvard, der an dem Projekt beteiligt ist.

100 so genannte "Mehrzweck-Knoten" sollen dabei insgesamt entstehen. Der Strom kommt aus der städtischen Infrastruktur. Zehn der Systeme sind bereits montiert - fünf auf dem Harvard-Campus und fünf auf dem Gelände von BBN. Jeder der Knoten wird verhältnismäßig groß sein - und einem Mac-mini-Rechner ähneln.

Im Gehäuse werkelt ein PC mit Linux-Betriebssystem und einigen Gigabyte-Flash-Speicher als Festplattenersatz. Als Vernetzungsinstrument setzt man außerdem nicht auf stromsparende Sensor-Protokolle wie Zigbee, sondern die gewöhnliche WLAN-Technik. Zwei entsprechende Funkchips sitzen dabei in jedem Knoten - einer für das Management und die Kontrolle des Netzwerkes, der andere für Experimente. Laut Welsh lässt sich außerdem nahezu jede Art von Sensoren an die Knoten anschließen.

Eine erste Sensorenlieferung wird Wetterdaten erfassen: Regenmengen, Windgeschwindigkeiten und barometrischen Druck. Sensorsatz Nummer 2 soll Umweltdaten sammeln - darunter die aktuelle Zahl von Feinstaub in der Luft. Mit den Wettersensoren könnten Meteorologen beispielsweise testen, wie sich Temperaturen und Windgeschwindigkeiten innerhalb der Stadt unterscheiden, erklärt Welsh.

Die Umweltdaten wiederum wären interessant für chronisch Kranke. Die Gesundheitsbehörden könnten Asthmatikern dann beispielsweise mitteilen, sich aus bestimmten Stadtgebieten zu bestimmten Zeiten fernzuhalten, wenn die Belastung besonders groß ist. Nach und nach sollen dann weitere Sensoren hinzukommen: Bewegungsmelder zur Messung des Verkehrsflusses beispielsweise oder Lichtsensoren zur Überwachung der belegten Parkplatzflächen.

All diese Daten landen dann in einem gemeinsamen Netz. "Mit einem Projekt wie CitySense können wir die ganze Stadt mit Sensoren überziehen und ein wesentlich vollständigeres Bild davon erhalten, was genau da draußen passiert", meint Welsh.

Neben der Erfassung von Sensordaten soll das Netz auch von IT-Forschern verwendet werden, um neue Protokolle und Netzwerk-Software-Modelle zu testen - etwa zur Verbesserung der bestehenden WLAN-Technik. Aktuell würden hierzu vor allem Computersimulationen verwendet, erklärt Welsh: "Aber CitySense könnte zu einem offenen Labor werden, in dem Forscher ihre Programme hochladen und laufen lassen können, um dann Ergebnisse aus der Praxis zu sammeln".

Thomas Little, Professor für Elektrotechnik und Informatik an der Boston University, ist von der Idee ziemlich begeistert. Ein solch offenes Netz als drahtloser Backbone sei "ein sehr wichtiges Gut" für eine Stadt. Er sieht neben den wissenschaftlichen Ideen auch geschäftliche Chancen. So könnten Verkehrsunternehmen mit Hilfe der Sensoren Positionsdaten ihrer Fahrzeuge erfassen oder Stausituation im Griff behalten. "Selbst Videokameras zur Erfassung der in der Stadt lebenden Wildtiere wäre möglich."

Videofunktionen planen Welsh und sein Team bislang allerdings nicht - wohl auch aus Datenschutzgründen. Er glaube dennoch, dass das Projekt eine große Chance sei, um zu überprüfen, zu welchen sozialen Veränderungen es komme, wenn man plötzlich Daten in der ganzen Stadt sammeln könne: "Wir können damit die Frage beantworten, was ein solches Sensorennetz für eine Stadt wie unsere bedeutet."

Drahtlose Sensoren-Netzwerke werden seit einigen Jahren immer populärer. Kommerziell einsetzbare Technologien wie die der Firmen Dust Networks oder Arch Rock, die beide als Spin-Offs der University of California in Berkeley entstanden, verkaufen sich ordentlich. Am stärksten verbreitet sind dabei Sensoren für Industrieanwendungen, bei denen sie zur Überwachung von Maschinen eingesetzt werden, an die man sonst nur schwer herankommt. Die einzelnen Knoten bestehen jedoch zumeist aus kleinen, batteriebetriebenen Kästchen, die verhältnismäßig unintelligent nur einen bestimmten Datentyp einsammeln.