Der vierte Zustand

Ohne Plasma wird schon heute kein Mikrochip und kaum eine Fensterscheibe mehr hergestellt. Weitere spannende Anwendungen stehen in den Startlöchern.

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Drei Formen von Materie gibt es, wie jedes Kind in der Schule lernt: fest, flüssig und gasförmig. Doch im kosmischen Maßstab ist das nicht ganz korrekt: 99 Prozent der sichtbaren Materie im Universum existiert als Plasma, das oft als vierter Aggregatzustand bezeichnet wird. Und auch auf der Erde ist Plasma inzwischen fast allgegenwärtig: "Die Plasmatechnik ist eine Schlüsseltechnologie mit ausgesprochenem Querschnittscharakter für viele Branchen", schreibt das VDI Technologiezentrum in einer Evaluierungsstudie. Plasma versieht seinen Dienst bei der Herstellung von Mikrochips, der Beschichtung von Oberflächen, in Energiesparlampen oder in Luftreinigern (TR 09/06).

Physikalisch gesehen ist Plasma Gas, bei dem sich die Struktur seiner Bestandteile teilweise aufgelöst hat: Atome und Moleküle trennen sich von Elektronen und wabern als Ionen durch den Raum oder werden zu instabilen, hochreaktiven Radikalen; Teilchen werden auf ein höheres Energieniveau gehievt und senden Strahlung aus – kurz: Ein Plasma ist ein chemischer Hexenkessel. Allerdings ein Hexenkessel, der auch bei Zimmertemperatur funktioniert. "Da die Elektronen so energiereich sind, kann man chemische Reaktionen auslösen, die sonst nur bei einigen tausend Grad ablaufen", sagt Jörg Winter, Professor für anwendungsorientierte Plasmaphysik an der Ruhr-Uni Bochum. Das ist vor allem bei der Behandlung von hitzeempfindlichen Kunststoffen wichtig.

Über drei Stellschrauben können Ingenieure die Eigenschaften eines Plasmas bestimmen: Art der Energiezufuhr, Druck und Zusammensetzung des Gases. Die Energie wird bei industriellen Prozessen in der Regel durch elektromagnetische Wellen vom Kilo- bis in den Gigahertz-Bereich in das Gas geleitet. Je nach Frequenz ändert sich die Zusammensetzung des Plasmas. "Beim Ätzen ist hohe Ionenenergie gefragt, bei der Beschichtung eher ein großer Anteil an Radikalen", sagt Matthias Walker, Leiter der Abteilung Plasmatechnologie der Uni Stuttgart. Der Gasdruck entscheidet als zweiter Faktor darüber, ob sich Molekülbausteine ("Monomere") erst an der Oberfläche eines Werkstückes zu langen Ketten zusammensetzen ("polymerisieren") oder bereits in der Gaswolke. Die meisten Oberflächenverfahren arbeiten nahe dem Vakuum in Unterdruckkammern. Es gibt aber auch Verfahren, die bei normalem Luftdruck funktionieren – etwa zum Reinigen von Oberflächen.

Die Zusammensetzung des Gases schließlich ist eine Kunst für sich: Nur wenn es gelingt, das Ausgangsmaterial in einen gasförmigen Zustand zu bringen, kann es zu Plasma werden. Bei Kunststoffen ist das noch einfach – der Grundbaustein Methan ist bereits ein Gas. Das belgische Unternehmen Europlasma etwa benutzt Methan-Plasma, um Textilien mit einer wasserabweisenden Schicht zu überziehen. Wenn das Monomer kein Gas ist und es sich auch nicht so einfach verdampfen lässt, greifen die Ingenieure zu einem Umweg über andere Stoffe. Um etwa Siliziumdioxid als Gasbarriere auf Kunst-stoffe aufzutragen – wichtig beispielsweise für die Membranen von Batterien und Brennstoffzellen -, wird als Ausgangsmaterial Silikonöl verdampft.

Auf ähnliche Weise lässt sich auch eine transparente und kratzfeste Schutzschicht aus Kohlenstoff erzeugen ("Diamond-like carbon", DLC). Ausgangsstoff ist hier das Schweißgas Acetylen (C2H2), das im Plasma zum Radikal C2H zerlegt wird. Diese Radikale haben ein gutes Haftvermögen und bilden ein unregelmäßiges Kohlenwasserstoffnetz auf der zu beschichtenden Oberfläche. Durch intensiven Ionenbeschuss wird ein Teil der verbliebenen Wasserstoff-Atome ausgetrieben, und zurück bleibt eine reine und regelmäßige Oberfläche aus diamantartigem Kohlenstoff. Solche Schichten sitzen auf CDs oder im Inneren von Common-Rail-Dieseleinspritzpumpen. Plasma-Professor Winter bezeichnet DLC-Beschichtungen zudem als "erste Wahl für Implantate – die Schicht ist extrem widerstandsfähig, ultraglatt und biokompatibel".