Geschäft mit der Angst

Clevere Unternehmer haben einen lukrativen Markt entdeckt: das Einlagern von Nabelschnurblut für spätere Therapien. Ob es hilft, ist allerdings fraglich.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery
Inhaltsverzeichnis

Wenn Sie das nächste Mal mit einem ICE Richtung Leipzig fahren, kann es sein, dass im Abteil des Schaffners ungewöhnliche Fracht mitreist: Blut aus den Nabelschnüren Neugeborener. Häufiges Ziel der Reise ist der Deutsche Platz 5a in Leipzig, Firmensitz der Vita 34 AG – das Unternehmen hat sich auf die kostenpflichtige Lagerung von tiefgefrorenem Nabelschnurblut spezialisiert und nutzt die schnellen Züge, um die Blutbeutel von jedem Krankenhaus Deutschlands innerhalb von 24 Stunden nach Leipzig zu transportieren. Hier wird das Blut wie das Tausender anderer Babys in silbrig schimmernden Kühlbehältern zum späteren Gebrauch konserviert.

Damit die rote Fracht Leipzig unbeschadet erreicht, wird sie von isolierenden Gelkissen auf Raumtemperatur gehalten. So sollen die im Blut enthaltenen Stammzellen am leistungsfähigsten bleiben. Denn genau auf sie kommt es Vita 34 und den Eltern an, wie schon der Firmenname deutlich macht, der aus dem lateinischen Wort für Leben und dem für blutbildende Stammzellen typischen CD34-Rezeptor zusammengesetzt ist. In Leipzig werden die Blutproben auf Infektionen sowie ausreichende Zellmenge und -qualität für spätere Therapien getestet, bevor sie bei minus 180 Grad in Stickstoffdampf gelagert werden.

Die Zellen aus Nabelschnurblut gehören zu den sogenannten adulten Stammzellen. Sie können sich also nicht mehr wie embryonale Stammzellen in alle Gewebetypen entwickeln, aber immer noch in viele Zell- oder Gewebearten, etwa Nerven-, Blut- oder Muskelzellen. Entscheidet der behandelnde Arzt, dass ein Kind eine Stammzelltherapie braucht, reist das gefrorene Blutpräparat in die Klinik und wird dort intravenös verabreicht. Danach sollen die Stammzellen an den richtigen Ort im Körper wandern und den Heilungsprozess einleiten – und das nicht nur bei Kindern, sondern bis ins hohe Alter.

"Da die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung mit dem Alter zunimmt, ist in den kommenden Jahren mit steigenden Transplantationszahlen für Nabelschnurblut zu rechnen", heißt es auf der Webseite von Vita 34. Auch das spanische Kronprinzenpaar Felipe von Asturien und seine Frau Letizia hat sich vor kurzem entschieden, für alle Fälle Nabelschnurblut ihrer Tochter Sofia bei einem privaten Anbieter in den USA einlagern zu lassen. Doch ob das Geschäft mit dem Nabelschnurblut neben den Unternehmen wirklich auch den Kunden nützt, ist fraglich: Was als biologische Krankenversicherung vermarktet wird, betrachten manche Mediziner als bloßes Geschäft mit der Angst.

Das sieht Vita-34-Vorstand Eberhard Lampeter naturgemäß anders – Stammzellen aus Nabelschnurblut sind nach seinen Worten leichter zu gewinnen und zudem jünger und potenter als jene, die dem Körper später entnommen werden. Der Mediziner sieht drei große Einsatzgebiete für die biologischen Verwandlungskünstler: In Frage kämen erstens Therapien für manche Krebserkrankungen und Blutbildungsstörungen, bei denen bisher blutbildende Stammzellen aus dem Knochenmark oder aus dem peripheren Blut verpflanzt werden, zum Beispiel bei Tumoren, Lymphomen und Anämien. Zweitens sei Nabelschnurblut für die Züchtung von Ersatzgewebe interessant, zum Beispiel bei Herzklappenfehlern, nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Drittens könnten die wandlungsfähigen Zellen Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder Rheumatoide Arthritis behandeln helfen.

Das Geschäft mit dem Nabelschnurblut läuft jedenfalls prächtig. Die sechs privaten deutschen Blutlageristen kassieren pro Einlagerung bis zu 2400 Euro, ab Beginn des dritten Lagerjahrzehnts zuzüglich zweistelliger Gebühren pro Jahr (siehe Tabelle). Mehr als 40000 Nabelschnurblut-Präparate hat allein Vita 34 bislang schon gesammelt und beherrscht damit zwei Drittel des deutschen Marktes. Denn auch wenn die Chance verschwindend gering ist, dass das eigene Nabelschnurblut des Kindes einmal lebensrettend sein wird, gehen derzeit immerhin zwei Prozent aller werdenden Eltern auf Nummer sicher: "Ich sehe das wie einen Sicherheitsgurt. Ich wäre schön blöd, ihn nicht zu benutzen", sagt eine junge Mutter.