Die Provider-Polizei
In den USA hat ein wichtiger Internet-Anbieter angekündigt, sein Netzwerk künftig selbständig von Piraterie freizuhalten. Fred von Lohmann von der Netzbürgerrechtsorganisation EFF kritisiert den Trend zum "klinisch reinen Online-Erlebnis" scharf.
In welchem Internet wollen wir "leben"? Es ist nicht allzu lange her, da stellte sich eine solche Frage gar nicht. Der Online-Anbieter, dem man Monat für Monat seine Gebühren überwies, lieferte zumindest in den westlichen Ländern einen ungefilterten Zugriff auf das Netz – was der User damit machte, war seine Sache.
Der Ansatz, dass Provider ihren Kunden allein als Anschlussvermittler für die weltweite Datenautobahn dienten, hat das Internet groß gemacht: Früher undenkbare Formen der weltweiten Kommunikation und Zusammenarbeit wurden ermöglicht – für kleines Geld. Das hatte und hat natürlich auch seine Schattenseiten: Online-Kriminalität und Piraterie machen Staat und Unternehmen im Netz zu schaffen.
Im amerikanischen Internet wollen erste Provider nun selbst als Strafverfolger auftreten: AT&T, der Netzanbieter mit der größten Infrastruktur des Landes, arbeitet an einer Technologie, mit der Online-Piraten auf Netzebene abgeblockt werden sollen – im Gegensatz zu bisher bekannten Verfahren zuverlässig und jedes Mal. Fred von Lohmann, Justiziar der Netzbürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), hält das für eine schlechte Idee.
Technology Review: Herr von Lohmann, im Juni hat der große US-Provider AT&T angekündigt, demnächst Polizei im eigenen Netzwerk zu spielen, um raubkopierte Inhalte künftig "herauszuhalten". Was ist da geplant?
Fred von Lohmann: So ganz genau weiß man das noch nicht – Konkretes wurde noch nicht preisgegeben. Die Firma sagte aber, sie werde "ihre Möglichkeiten prüfen". Wenn die vorliegen, werden wir reagieren.
TR: Was haben Sie dagegen, dass Provider gegen Piraterie vorgehen? Zumindest auf den ersten Blick scheint das doch die moralisch richtige Entscheidung zu sein.
Von Lohmann: Wenn wir aus den Providern die Copyright-Polizei des Internet machen, begeben wir uns schnell aufs Glatteis. Jeder mit etwas technischem Wissen wird Ihnen bestätigen, dass es eigentlich unmöglich ist, den Tausch von Dateien zu verhindern – wer Urheberrechte verletzen will, entwickelt einfach eine noch schlauere Methode, sich vor Entdeckung zu schützen. In der Zwischenzeit werden die Provider in einen nicht enden wollenden Teufelskreis aus immer schärferen Überwachungsmaßnahmen hineingezogen – und zwar bei der gesamten Kommunikation aller Nutzer. Das ist schlecht für den Schutz der Privatsphäre und wird außerdem technische Innovationen verhindern, weil darin enorme Ressourcen investiert werden müssen.
TR: Die Hollywood-Studios sprechen von sehr hohen Verlusten, die sie durch die Internet-Piraterie erleiden – mehr als zwei Milliarden Dollar jährlich.
Von Lohmann: Da sollte man sich nicht verwirren lassen. Die Filmkonzerne leiden keineswegs so sehr, wie etwa ihre Brüder aus der Musikindustrie. Die Verlustzahlen werden oft aufgeblasen und beziehen häufig kommerzielle Piraterie und gefälschte DVDs mit ein. Hollywood erlebt im Gegensatz dazu zusammengenommen gerade die bislang besten Jahre seiner Geschichte – sowohl beim Umsatz als auch beim Gewinn.
TR: Es ist recht neu, dass Internet-Provider in den USA bei der Piraterieverfolgung direkt mit großen Medienkonzernen und Hollywood zusammenarbeiten – bislang unterstützte man diese sogar eher ungern. Was motiviert AT&T dazu?
Von Lohmann: Das müssten Sie AT&T selbst fragen. Viele spekulieren aber, dass dies Teil einer Umwerbung Hollywoods ist, weil der Telekommunikationskonzern gerade in den digitalen Videomarkt einsteigt.
TR: IT- und Internet-Konzerne standen bislang oft in Opposition zu den großen Medienfirmen – Technologie ist ihnen wichtiger als Inhalteschutz-Maßnahmen. Wechselt AT&T hier die Seiten?
Von Lohmann: Das wird die Zukunft zeigen. Wir hoffen aber, dass AT&T sich bewusst wird, wer bei ihnen die Rechnungen zahlt – die Kunden und nicht Hollywood.
TR: Spielt das Thema Netzneutralität, gegen die AT&T mehrfach argumentiert hat, auch in die Debatte hinein?
Von Lohmann: Ich glaube nicht. Internet-Provider müssen bereits jetzt mitziehen, wenn sie von Urheberrechtsverletzungen erfahren – das US-Copyright-Gesetz DMCA macht es möglich. Hollywood hat bereits die Ressourcen, diejenigen zu verfolgen, von denen es annimmt, dass sie gegen Copyrights verstoßen. Tausende von Einzelpersonen wurden bereits verklagt, weil sie Filme herunter geladen haben. Es ist schwer zu verstehen, warum die Provider nun die Strafverfolger spielen sollen.