Die Google-Dystopie

Der Science Fiction-Autor, Blogger und Netzbürgerrechtler Cory Doctorow beschreibt in einer Kurzgeschichte eine Zukunft, in der die große Suchmaschine ihr "Don't Be Evil"-Motto aufgibt und zur Datenkrake des Sicherheitsstaats wird.

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Der Science Fiction-Autor, Blogger und Netzbürgerrechtler Cory Doctorow beschreibt in einer Kurzgeschichte eine Zukunft, in der die große Suchmaschine ihr "Don't Be Evil"-Motto aufgibt und zur Datenkrake des Sicherheitsstaats wird.

Dass Google mächtig ist, ist allgemein bekannt. Als populärste Suchmaschine der Welt, als größter Vermarkter von Suchmaschinenwerbung, bedeutender E-Mail-Dienstleister, meistbesuchter Online-Video-Anbieter - schlicht und ergreifend mit wenigen Ausnahmen in nahezu allen wichtigen Bereichen des Internet. Dabei fallen gigantische Datenmengen an, die der Internet-Konzern speichert: Das Unternehmen verarbeitet nicht nur große Teile des Web und macht sie durchsuchbar, sondern sieht als populärster Informationsorganisator auch direkt, wie die Nutzer mit diesen interagieren.

Das inoffizielle Firmenmotto des inzwischen fast 180 Milliarden Dollar schweren Unternehmens lautet nach wie vor "Don't Be Evil" - sei nicht böse, auch und vor allem aufgrund der großen Verantwortung. Doch wie vertrauenswürdig ist ein solcher Spruch noch, wenn Google etwa in China Anforderungen der Behörden zur Web-Zensur klaglos nachkommt, nur um dies dann als adäquaten Kompromiss auf dem Markt im Riesenreich zu verbrämen? Oder wie sieht es mit den gesammelten Suchdaten einzelner Nutzer aus, die das Unternehmen mitsamt IP-Adressen und Cookie-Informationen bis vor einigen Monaten noch unendlich lange speichern wollte? (Inzwischen wurde die Frist nach Protesten auf anderthalb bis zwei Jahre verkürzt.)

Cory Doctorow, Open-Source-Aktivist, Netzbürgerrechtler bei der Electronic Frontier Foundation und profilierter Science Fiction-Autor, hat die möglichen Gefahren, die von einem "bösen" Google ausgehen könnten, nun in eine Kurzgeschichte für das US-Magazin "Radar" gepackt. Die lesenswerte Story enthält Elemente, die durchaus fantasievoll sind, enthält aber einen inneren Kern, der Netzbenutzer aufhorchen lassen sollte. Dieser Kern hat mit den Daten zu tun, die Google über uns alle bereit hält - und wie sehr sich der moderne Sicherheitsstaat, der der Terrorabwehr inzwischen mehr Gewicht als den Bürgerrechten einzuräumen scheint, für sie interessiert.

In "Scroogled" (ein Kunstwort zusammengesetzt aus dem Namen des "A Christmas Carol"-Protagonisten Ebenezer Scrooge und dem Namen der Suchmaschine) geht es um einen Ex-"Googler", der, durch seine Aktienoptionen reich geworden, einen Monat lang im mexikanischen Urlaubsparadies verbracht hat, nur um dann bei der Rückreise in die USA festzustellen, dass Google zum Dienstleister des US-Heimatschutzministeriums geworden ist. In dieser Dystopie verwenden die Behörden interessanterweise anfangs nicht die von Google erfassten, intimen Suchanfragen eines potenziell Verdächtigen, sondern arbeiten mit Kombinationsdaten.

Sie googeln Personen bei der Einreise und können sich außerdem ansehen, welche kontextsensitive Werbung erschien, wenn der Befragte Googles Mailsoftware und die Suchmaschine benutzte. Erst wenn tatsächliche Verdachtsmomente vorliegen, darf der Staat dann durch ein neues Gesetz vollständig auf Googles Datenschatz zugreifen.

Doctorows erzählerische Vorgehensweise ist damit so geschickt, dass sie aus dem Spielbuch heutiger Innenpolitiker kommen könnte. Was ist denn bitte schön kontextsensitive Werbung? Die kann doch nicht so persönlich sein? Dabei haben wir uns längst schon daran gewöhnt, dass Google die E-Mails, die wir mit seinem Webmail-Dienst lesen, automatisiert nach Schlüsselbegriffen durchsucht werden, um passende Reklame einblenden zu können. (Anfängliche Proteste sind inzwischen völlig erlahmt.)

Andere Themenbereiche, die Doctorow in "Scroogled" anspricht, ist das Weißwaschen der Google-Daten. Ein entsprechendes Werkzeug existiert leider nicht: Man kann zwar den eigenen Server aus der Suchmaschine herauslöschen lassen, doch das, was beim Eintippen des eigenen Namens erscheint, ist nicht zu kontrollieren. In "Scroogled" nutzt die "böse" gewordene Suchmaschine schließlich ein solches Werkzeug, um ihr genehme politische Kandidaten zu befördern - keine negativen Google-Einträge mehr, keine schlechte Presse.

So sehr sich ein heutiger Konzern Google abweisend gegenüber einer solchen Horrorvorstellung zeigen dürfte - so etwas ist weit weg, wir sind ja die Guten - die Daten für die Erfüllung eines solchen Albtraums hat das Unternehmen längst auf seinen Servern. Derzeit wird die lange Vorhaltzeit der Daten unter anderem damit begründet, dass man seinen Dienst verbessern wolle. Aber ein Google, das keinen Anlass zum Verfassen derlei ausreichend realistisch klingender Dystopien geben würde, wäre wohl am allerbesten.

Cory Doctorow: "Scroogled", Radar Online, September 2007. (bsc)